Ostschweizer Personaltag: Führung statt «New Work Bullshit»

Donnerstag, 29. September 2022 - Karen Heidl
Der 18. Ostschweizer Personaltag ging in diesem Jahr der Frage nach der Zukunft der Arbeit nach. Stichworte wie New Work und Digitalisierung durften dabei nicht fehlen. Mit gekürztem Format – am Nachmittag statt bisher morgens startend – trugen vier Referentinnen und Referenten ihre Einsichten zu diesen Themen bei.

Der Ostschweizer Personaltag wird seit jeher geschätzt für spannende Praxisberichte der vortragenden HR-Fachleute und Führungskräfte, sodass auch dieses Jahr das Auditorium wieder gut gefüllt war.

New Work – ein Klassiker unter den Führungsthemen

Jedoch muss man bedenken, dass bereits seit 40 Jahren über New Work gesprochen wird; mit der ersten Dot-Com-Welle Ende der neunziger Jahre schwappten die ersten Kicker, Köche und Baristas in die guten Arbeitsstuben innovationstüchtiger Start-ups und Nicht-Start-ups.

Nachdem also auf dem Personaltag der wachsende Wert von Sozialflächen – die neu dann ca. 50 % der Bürofläche einnehmen werden, so der Architekt Peter Camenzind in seinem Vortrag – als Folge hybrider Arbeitsweisen zwischen Remote- und Office-Work erläutert worden war und die dazu passenden Möbel kurz gestreift wurden, holte Dr. Sarah Genner, Dozentin und Studiengangsleiterin für den neuen CAS «New Work» an der HWZ, aus. Sie warf aus einer eher wissenschaftlich geprägten Perspektive die Frage in den Raum, ob neue Technologien Haupttreiber der neuen Arbeitswelt seien. Eine Antwort blieb sie zwar schuldig – warum sollte man auch über dieses Henne-Ei-Szenario länger nachdenken –, aber Tatsache sei, dass Technologien und Arbeitsweisen einander bedingen. Dies könne man auch historisch zurückverfolgen. Die technischen und damit verbundenen gesellschaftlichen Evolutionsstufen dürften hinreichend bekannt sein.

Elke Thamm, Head of Corporate Personnel Development bei der Bühler AG, wurde leider – mit Ausnahme der Erwähnung eines wohl recht beliebten Baristas im Hause Bühler – hinsichtlich der Wirksamkeit kulturbildender Massnahmen nicht konkreter. Sie stellte die enge Verzahnung von Werten, Engagement, Performance, Innovation und Führung dar und kam auch auf die Aktivierungsinstrumente in den Komplexen lebenslanges Lernen, betriebliches Gesundheitsmanagement, Wiedereingliederung und Inklusion zu sprechen. Zudem seien noch Purpose und Nachhaltigkeit wichtige Faktoren und nicht zu vergessen die zwischenmenschlichen Interaktionen, die vor allem in der Führungsarbeit vorgelebt werden müssten. Zusammenfassend: «HR matters.» Die Verantwortung für Menschen stehe im Zentrum des Führungshandelns. Dies hat sicherlich den meisten Teilnehmenden aus dem Herzen gesprochen.

Die nachfolgende Diskussion der Speaker, moderiert von Sabine Bianchi, Beraterin bei der Leif AG, plätscherte denn auch durch wohlbekannte Themen und erzeugte das bekannte New-Work-Buzzword-Grundrauschen, das HR-Professionals seit Jahrzehnten vertraut ist. Durch Corona haben diese Begrifflichkeiten wieder Auftrieb bekommen, denn sie wirken sich selbstverständlich auf das Rollenverständnis der Anwesenden aus und werfen Fragen auf.

Dass sich HR-Verantwortliche dabei allerdings mitunter in einem Zerrspiegel reflektieren, machte der letzte Referent des Nachmittags deutlich.

New Work Bullshit

Erfrischend beherzt – nomen est omen – räumte Carlos Frischmuth von der Hays AG, der ein faktenorientiertes Buch mit dem Titel «New Work Bullshit» geschrieben hat, mit einigen New Work-Glaubenssätzen auf. Falls sich jemand an dieser Stelle über die Ausdrucksweise in diesem Artikel mokieren möchte: Das Buch heisst wirklich so.

Er begann mit der Auflistung von Bullshit-Alarmen, die eine Disruption behaupten, die sich bei genauerer Betrachtung eher als eine Serie von Transformationen darstellt. Weiter ging es mit der Kritik an der gern kolportierten Behauptung, dass das Ende der Erwerbsarbeit nahe. In Wirklichkeit gebe es sowohl in der deutschen als auch schweizerischen Arbeitsstatistik eine steigende Zahl von Angestellten und eine sinkende Zahl von Gründungen. Mit anderen Worten: Nicht jeder wolle wohl selbstbestimmt arbeiten.

Die nächste These, die dem Bullshit-Alarm anheimfiel: Agilität ist Trumpf. Scrum Master, Product Owner, Retros und was es sonst noch im Köcher der agilen Techniken und Rollen gebe, bezeichnete Frischmuth rundum als «Scrumismus», ohne damit agile Arbeitsweisen und Kulturen per se infrage zu stellen. Frischmuth kritisierte in seinem Vortrag den Nachahmungskult, der die wesentlichen Funktionsprinzipien agiler Techniken mitunter kaum erfasse. Und weiter ging es mit den Bullshit-Alarmen aus der Welt der New-Work-Rhetoriker: Holokratie als Zukunftsmodell – Unsinn, so Frischmuth, keine Statistik zeige annähernd eine durchschlagende Durchsetzungsfähigkeit holokratischer Modelle. Arbeitsnomaden seien ebenfalls eine selten gesichtete Spezies, auch wenn sie in der Bildsprache von Werbetreibenden noch so gerne platziert würden. Auch der Nachweis gesteigerter Produktivität im Homeoffice könne wissenschaftlich nicht belegt werden, eher sei diese – so die Studienlage – gleich geblieben. Allerdings: Wer messe schon ernsthaft Produktivität?

Beim häufig zitierten Stichwort Purpose müsse man unterscheiden: Was ist der Unternehmenssinn, was ist der individuelle Lebenssinn? Häufig werde eine Passung von Unternehmen, die sich mit Sinngebungen überhöhen möchten, nicht reflektiert.

Frischmuths schliessende Ausführungen darüber, was wirklich zählt, dürften so manchen im Auditorium wieder geerdet haben.

Führung, Kultur, Kommunikation

Führung, Kultur, Kommunikation sind keine New Work-Erfindungen. Führung und Kultur sind eng verzahnt, und jeder, der führt, weiss, dass diese Verknüpfung nur gelingt, wenn die eigene Einstellung, die Selbstführungskompetenz und das Mindset stimmen. Dieser Einsicht folgte auch Frischmuth und führte weiter aus: Kommunikation sei unterstützend und habe die zwei Funktionen, Erwartungen und Enttäuschungen zu managen. Man dürfe Mitarbeitenden keine Schimären über den Unternehmenssinn und Arbeitsbedingungen anbieten, sondern müsse klarmachen, worum es gehe. Er warnte vor einem «Talking Action Gap» und riet zu mehr Gelassenheit und Fokus auf das Wesentliche. Eine Zusammenarbeit basiere auf klaren Abmachungen, vom Referenten so genannten Job-Deals, die die genauen Bedingungen hinsichtlich Arbeitsweisen, Bezahlungen und Entwicklungsmöglichkeiten regelten. Berechenbare und klare Führung sowie verlässliche Deals schafften Bindung und damit eine Job-Heimat. Das HR habe die Rolle von Lotsen.

Fokus auf das Wesentliche

Dieses Schlusswort kann als Mahnung an HR-Professionals verstanden werden, die eigene Rolle nicht zu breit zu verstehen, was angesichts der Themenvielfalt im Debattenhorizont der New Work leicht angemahnt zu sein scheint. Am Ende des Tages, und da waren sich alle Partizipanten wohl einig, sind es die Führungskräfte, die das Kultur- und New-Work-Thema führen müssen.

Die Präsentationen des Personaltags hier

 

Informationen zum Buch «New Work Bullshit»


Carlos Frischmuth: New Work Bullshit – Was wirklich zählt in der Arbeitswelt
1. Auflage, August 2021, ISBN: 978-3-96251-096-1

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