Sharing is Caring

Donnerstag, 13. April 2023
Karin Ricklin-Etter und Stephanie Briner haben eine Mission: Sie betreiben gemeinsam die Online-Plattform WEshare1. Der Name ist Programm.

Das Online-Angebot WEshare1 ist eine Anlaufstelle für Jobsharing in der Deutschschweiz. Es fokussiert sich auf drei Schwerpunkte: Im ersten geht es um Information und Forschung. In der Forschung sei das Thema Jobsharing bisher noch wenig präsent, erklären die beiden Leiterinnen von WEshare1, sodass es im Moment um Basisthemen wie die quantitative Erfassung von Jobsharing in Unternehmen und die Analyse der Erfahrungen gehe. Bisher griffen qualitative Forschungsberichte auf eine nur geringe Anzahl von Fällen zurück.

In einem zweiten Schwerpunkt werden in einem Blog konkrete Fälle vorgestellt und Unternehmen sichtbar gemacht, die sich für Jobsharing einsetzen. Schliesslich bietet WEshare1 Angebote im Bereich der Sensibilisierung und vermittelt bei Bedarf weitere zusätzliche Angebote im Rahmen ausgewählter Kooperationen.

Karin Ricklin-Etter verfügt über Erfahrung als HR-Leiterin in einem Topsharing (Jobsharing in einer Führungsposition), Stephanie Briner arbeitet in Teilzeit in einer Führungsposition als Recruiterin für eine Schweizer Personalberatung. Sowohl persönliche Erfahrungen als auch Beobachtungen in ihren Berufen gaben den Impuls, als Botschafterinnen für das Thema Jobsharing aktiv zu werden.

«Ich habe in meiner HR-Laufbahn immer wieder Menschen kennengelernt, die viel Potenzial haben, dies aber aus verschiedenen Gründen nicht vollständig ausschöpfen können. Das hat mich sehr beschäftigt. Ich bin dann auf das Konzept des Topsharings gestossen, das mir als Lösung für dieses Problem erschien. Ich selbst konnte nach der Geburt meines Sohns beruflich nicht Vollzeit wiedereinsteigen. Ich hatte zuvor sehr viele Weiterbildungen gemacht und ein kleines Team geführt, um dann festzustellen, dass es mit einem 60%-Pensum nicht viele Möglichkeiten der Weiterentwicklung gibt. So ist bei mir das Bedürfnis entstanden, das Konzept der Führung im Tandem bekannter zu machen», schildert Karin Ricklin-Etter ihre Beweggründe.

Zur Person

Karin Ricklin-Etter (links) verfügt über langjährige HR-Erfahrung und ist ausgebildete HR-Leiterin. Sie studierte Psychologie an der Universität Zürich und ist Mitglied im Fachrat Nachhaltigkeit mit dem Themenschwerpunkt ­Diversität & Chancengleichheit bei der Thurgauer Kantonalbank. Zusammen mit Stephanie Briner leitet sie die Informationsplattform weshare1.com.

Stephanie Briner (rechts) ist als Teilzeit-Führungskraft Niederlassungsleiterin und Mitglied der Geschäftsleitung bei einer Schweizer Personalberatung. Zuvor war sie mehrere Jahre im Bereich der digitalen Kommunikation tätig. Stephanie Briner hat Kommunikationswissenschaften studiert. Zusammen mit Karin Ricklin-Etter führt sie die Informationsplattform weshare1.com.

Jobsharing-Modelle

Beim Begriff Jobsharing werden derzeit zwei Herangehensweisen unterschieden: Das Jobsplitting und das eigentliche Jobsharing, bei dem eine Position gemeinsam mit einem Partner oder einer Partnerin im Tandem ausgefüllt wird, während beim Splitting ein Aufgabenbereich in zwei separate Tätigkeitsbereiche auf Teilzeitbasis aufgeteilt wird. Der Begriff Topsharing bezieht den Führungsaspekt mit ein. Häufig werden damit Führungsrollen mit grosser Verantwortung und Führungsspanne bezeichnet. «Die gemeinsame Verantwortung ist ein wichtiges Element des Jobsharings», erläutert Briner, «aber auch die Freiwilligkeit, mit der die Personen in diesem Modell arbeiten. Beide müssen gemeinsame Werte vertreten und mit einer Stimme nach aussen auftreten.» Das klingt nach einer grossen persönlichen Herausforderung. Ricklin und Briner erleben das Jobsharing als bereichernde Erfahrung, die natürlich aufgrund der besonderen Konstellation Herausforderungen mit sich bringt, aber gleichzeitig sehr viele Vorteile bietet.

«In unserer Co-Leitungs-Arbeit für WEshare1 erleben wir die Komplementarität unserer verschiedenen Ausbildungen – Psychologie und Kommunikation – als sehr bereichernd. Allgemein wichtig ist bei der Zusammenarbeit innerhalb eines gemeinsamen Verantwortungsbereichs die Transparenz. Man muss sich immer gegenseitig in die Karten schauen können. Man teilt extrem viel Informationen und Wissen mit der anderen Person. Die Kollegin ist ständige Sparringpartnerin.» Jobsharing sei allerdings kein Konzept, das man nur im Beruf antreffe: «Mein Mann und ich arbeiten beide im gleichen Teilzeitpensum und übernehmen zu gleichen Teilen die Familienverantwortung – ein Topsharing@home. Da gibt es viele Parallelen zum beruflichen Jobsharing», führt Briner weiter aus.

Auch Karin Ricklin lebt Topsharing@home und stimmt zu, dass die Abstimmung im Tandem mitunter anspruchsvoll sein kann, man aber auch viel bewirken könne: «Man muss sich im Klaren sein, dass man auch voneinander abhängig ist. Auch ist es wichtig, sich bewusst zu überlegen, ob und wie wichtig einem die eigene Visibilität ist. Wenn sich jemand sehr stark profilieren will, kann dies im Tandem zu Konflikten führen. Im Tandem ist Balance gefragt. Mal geht man in den Lead, mal lässt man der anderen Person den Vortritt. Konkurrenzdenken hat im Topsharing keinen Platz.»

Trotz dieser Herausforderungen werden andere Dinge wie beispielsweise eine Slash Career (engl.: Nebenberuf) auch erst möglich, weil man die Arbeitslast besser situativ verteilen könne.

Topsharing entlastet

Je nach Führungskultur und Persönlichkeit der Führungskraft sei Delegation im Team und gegenseitige Unterstützung durchaus auch in der Einzelführung üblich, doch gebe es Unterschiede, so Ricklin: «Im Tandem werden wichtige Entscheide gemeinsam gefällt und Pros und Contras entsprechend offen miteinander diskutiert. Die Verantwortung für den Entscheid tragen am Ende beide. Gerade in einem Umfeld ständig steigender Komplexität kann dies Stress reduzieren. Kurzum: Topsharing entlastet. Die grundlegenden Voraussetzungen müssen jedoch erfüllt sein. So müssen zum Beispiel beide Personen im Tandem Offenheit und Toleranz gegenüber der anderen Person im Allgemeinen, aber auch gegenüber ihrem Arbeitsstil, anderen Ideen oder anderen Vorgehensweisen leben wollen. Ebenso gilt es, Vertrauen stärker zu gewichten als Kontrolle. Zu den Basiskompetenzen gehören Kommunikations- und Organisationstalent sowie Flexibilität und Selbstreflexion.»

Wie offen sind Unternehmen beim Thema Jobsharing?

Noch falle es Mitarbeitenden und Unternehmensleitungen schwer, sich in das Konzept des Jobsharing hineinzudenken, führt Briner aus. Doch die Entwicklungen stimmen optimistisch.

«Wir merken, dass die Offenheit für alternative Arbeitsmodelle generell zunimmt. Die Situation am Arbeitsmarkt fördert diese Offenheit, man will sich als attraktive Arbeitgebende präsentieren. Geschlechterdiversität auch in Kaderstufen gehört dazu. Wir denken, dass es heutzutage mehr Erwerbstätige gibt, für die Jobsharing eine Option wäre, als Jobsharings derzeit angeboten werden», analysiert Briner die aktuelle Situation im Arbeitsmarkt. «Wenn man die Beschäftigten unabhängig ihrer aktuellen Lebensphasen im Unternehmen halten möchte, dann braucht es Flexibilität. In jeder Lebenssituation möchten Menschen ihr Potenzial entfalten können und nicht in eine Rolle zurücktreten, für die sie überqualifiziert sind. Das ist ja auch wirtschaftlich nicht sinnvoll.»

Zudem wirkten sich gemäss Ricklin die stressreduzierenden Faktoren wie Teilzeit und gemeinsames Schultern von Verantwortung günstig auf die Gesundheit der Mitarbeitenden aus, was Krankheitsfolgekosten für das Unternehmen reduziere. Ausserdem: «Weniger gestresste Mitarbeitende sind motivierter, gesünder und letztlich produktiver», ergänzt Ricklin und kommt auf das Risikomanagement zu sprechen: «Gerade für KMU ist auch die operative Sicherheit aufgrund der Transparenz im Tandem ein wichtiger Aspekt. Einarbeitungsaufwände und Wissensverlust werden reduziert.» Und schliesslich: Die Arbeit im Tandem könne sich positiv auf die Innovation auswirken.

Glaubenssätze der Führung

Jobsharing ist kein Konzept, das man in jede Unternehmenskultur einfach einpflanzen kann, denn bei allen Vorteilen, die die beiden Expertinnen nennen, gibt es Glaubenssätze in der Führung, die eine Akzeptanz verhindern können: Als Führungskraft muss man «Leitwolf»-Qualitäten haben und die Richtung vorgeben. Zudem erzeugen Doppelspitzen mehr Aufwand für Koordination, sind oft weniger entscheidungsfreudig, neigen dabei zu Kompromissen und stehen sich auch mal gegenseitig im Weg.

Karin Ricklin erläutert, wie solche Glaubenssätze die Unternehmenskultur reflektieren. Heute müsse man sich allerdings fragen, ob Entscheidungen einsamer Wölfe wirklich besser seien und ob dieses Führungsprinzip wirklich noch nachhaltig sei. Je mehr sich die Arbeitskultur verändere, entwickelten sich auch die Erwartungen an die Führung. Das Kollaborative und eine gute Fehlerkultur prägen die Erwartungen vor allem jüngerer Menschen, die auch schon in diese Richtung an den Schulen anders sozialisiert worden sein – anders als ältere Menschen, die von einem traditionellen Bildungssystem geprägt wurden. Das heisse nicht, dass es die starken, visionären Führungspersonen nicht mehr geben werde. Wenn man als Unternehmen für jüngere Menschen attraktiv sein wolle, müsse man diesen Entwicklungen allerdings Rechnung tragen.

Rahmenbedingungen für Jobsharing in Führungspositionen

Das Führungshandeln müsse im Tandem sorgfältig reflektiert werden, erläutert Briner. Es sei wichtig, bewusst den Führungsstil, die Handlungsprinzipien und den Werterahmen zu diskutieren, damit das Team eine klare Orientierung habe. Auch Doppelspurigkeiten bei Prozessen oder mangelnde Synchronisation des Führungshandelns könnten zu Irritationen führen. Briner fasst die entscheidenden Faktoren wie folgt zusammen: «Eine der wichtigsten Massnahmen ist, dass man das Modell im Team gut kommuniziert. Selbstverständlich bedarf dieses Jobmodell der Unterstützung des Topmanagements, aber auch die Akzeptanz durch das Team muss gleichermassen gewährleistet sein. Die Unternehmenskultur muss Kollaboration und Teamarbeit unterstützen. Eine Philosophie, in der man der Meinung ist, dass Entscheidungen von einzelnen Verantwortlichen alleine getroffen werden müssen, ist kontraproduktiv. Es muss Entscheidungsfindungsprozesse geben, die mehrere Personen involvieren. Dies hat mit Vertrauenskultur zu tun und betrifft auch die Arbeitsorganisation. Wenn die Führungskraft nicht anwesend ist, sollten die Mitarbeitenden trotzdem handlungsfähig sein.»

Für die Teamführung und deren disziplinarische Unterstellung gebe es keine allgemeingültiges Best Practice, so die Expertinnen. Wie Gespräche mit Mitarbeitenden und HR-Prozesse am besten organisiert würden, hänge stark vom Kontext ab, z. B. der Grösse des Teams.

Topsharing – ein realistisches Konstrukt?

«Akzeptanz entsteht, wenn Jobsharing nicht mehr eine seltene Ausnahme ist. Rolemodels helfen dabei», sagt Stephanie Briner. Aber ist Topsharing mit breiten Führungsspannen und komplexen Aufgaben ein realistisches Konstrukt? «Eigentlich sind die Voraussetzungen dafür keine anderen als diejenigen, die wir bereits erwähnt haben. Die Hierarchiestufe, auf der das stattfindet, ist nicht matchentscheidend», sagt Karin Ricklin. «Bei echter Co-Leitung teilt man sich aber nicht nur die Arbeit, sondern auch den Bonus oder die Misserfolge. In einem Haftungsfall sind beide Personen gleichermassen verantwortlich. Das ist ein wichtiger Unterschied zwischen Sharing und Splitting. Auf CEO-Stufe geht es schliesslich auch um Stimmrechte. Auch diese Strukturen müssen echtes Sharing widerspiegeln. Praxisbeispiele zum Topsharing findet man im Blog der Plattform weshare1.com.

Take Aways

  • Beim Jobsharing wird derzeit zwischen verschiedenen Varianten für spezielle Konstellationen unterschieden. Neben dem Jobsharing, bei dem eine Position gemeinsam mit einem Partner oder einer Partnerin im Tandem ausgefüllt wird, gibt es das Jobsplitting. Dabei wird eine Funktion in zwei separate Tätigkeitsbereiche auf Teilzeitbasis aufgeteilt. Der Begriff Topsharing bezieht den Führungsaspekt mit ein. Häufig werden damit Führungsrollen mit grosser Verantwortung und Führungsspanne bezeichnet.
  • Die Expertinnen empfehlen, bewusst den Führungsstil, die Handlungsprinzipien und den Werterahmen zu diskutieren, damit das Team eine klare Orientierung hat.
  • Transparenz ist im Jobsharing unabdingbar.
  • Jobsharing muss zu den Persönlichkeiten der Jobsharer passen. Die Kooperationsfähigkeit und die Bereitschaft, Erfolge zu teilen, werden voraus­gesetzt.
  • Die Unternehmenskultur muss mit ihren Werten und Rahmenbedingungen Jobsharing unterstützen.

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