Vaterschaftsurlaub – Tücken in der Praxis

Mittwoch, 01. Dezember 2021 - Jeannette Ming
Seit fast einem Jahr ist der Vaterschaftsurlaub in Kraft. In der Praxis stellen sich Fragen, die über die reine Umsetzung des Gesetzes hinausgehen. Zum Beispiel: Wie grosszügig möchte das Unternehmen erscheinen?

Die am 27. September 2020 mit 60.3% Ja-Stimmen angenommene Volksabstimmung betreffend bezahltem Vaterschaftsurlaub trat am 1. Januar 2021 in Kraft. Damit können Väter innerhalb von sechs Monaten ab Geburt eines Kindes zwei Wochen bezahlten Urlaub beziehen. Finanziert wird der Urlaub wie die Mutterschaftsentschädigung über die Erwerbsersatzordnung (EO). Die Eckpunkte sind zusammengefasst die Folgenden:

  • Innerhalb von sechs Monaten nach Geburt (nicht bei Adoption).
  • Zehn bezahlte Arbeitstage, am Stück oder verteilt auf einzelne Tage.
  • Es ist verboten, im Gegenzug die Ferien zu kürzen.
  • Anspruchsberechtigt ist, wer kumulativ die folgenden drei Voraussetzungen erfüllt:
    • zum Zeitpunkt der Geburt erwerbstätig (AN oder SE);
    • in den neun Monaten vor Geburt in der AHV obligatorisch versichert;
    • in diesen neun Monaten mindestens fünf Monate lang erwerbstätig.
  • Entschädigt werden 80% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens vor Geburt; höchstens aber 196 Franken pro Tag, für 14 Tage – die Entschädigung erfolgt je Kalendertag; d.h. ein Höchstbetrag von 2744 Franken für diese 14 Kalendertage.

Die Entschädigung geht entweder direkt an den Arbeitnehmer oder an den Arbeitgeber, wenn dieser den Lohn während des Urlaubs weiterbezahlt. Die EO-Entschädigung muss indes entsprechend bei der zuständigen Ausgleichskasse beantragt werden. Wird der Urlaub wochenweise bezogen, so werden pro Woche sieben Taggelder ausgerichtet. Bezieht der Vater seinen Urlaub tageweise, so werden pro fünf entschädigte Tage zusätzlich zwei Taggelder für die Wochenendtage ausgerichtet.

Klärungsbedarf

Obiger Tatbestand hat zur Folge, dass die im Betrieb bis Dezember 2020 gültigen Regelungen betreffend bezahlter Absenzen bei Vaterschaft validiert werden mussten und gegebenenfalls das Personalreglement anzupassen war. Zudem wäre die künftige Handhabung betreffend Taggeldantrag und -abrechnung zu klären gewesen.

Wurden bis zur Einführung keine bezahlten Absenzen gewährt, waren sodann auch keine formellen Massnahmen nötig. Aufgrund dessen wurde meistens die künftige Handhabung nicht festgelegt:

  • Sollen die Väter während des Urlaubbezugs die Taggelder durch den Arbeitgeber abgerechnet erhalten oder wird für diese Zeit kein Gehalt abgerechnet und der Arbeitnehmer erhält die Taggelder direkt?
  • Wird den Vätern administrative Unterstützung betreffend Taggeldantragsformalitäten geboten?

Die Übernahme bestehender Regelungen für andere EO-Taggelder wie beispielsweise die Handhabung während Zivil- und Militärdienst, wirft indes die Frage der Gleichberechtigung auf. So bezahlen viele Firmen während des WKs den vollen Lohn, um die Lohnadministration zu entlasten.

Sollen nun Väter während dem Vaterschaftsurlaub den vollen Lohn bekommen, während Müttern während den 14 Wochen Mutterschaftsurlaub lediglich das Taggeld entrichtet wird?

Wurde bis zur Einführung freiwillig, auf einem Personalreglement basierend bezahlter Vaterschaftsurlaub gewährt, hätte diese Regelung hinterfragt und im Detail neu formuliert werden sollen:

  • Sollen die bisher gewährten Tage zusätzlich zu den 14 durch die EO finanzierten Tage gewährt werden?
  • Soll während der bisher gewährten Tage 100% Lohn und für die restlichen Tage die 80% Taggeld mit max. 196 Franken pro Kalendertag entrichtet werden?
  • Oder sollen die bis anhin gewährten bezahlten Absenztage vollständig gestrichen und auf die 14 Tage EO-Taggeld für Väter verwiesen werden?

Lohnkürzung – kann oder will ich mir das leisten?

Wird das Taggeld durch den Arbeitgeber entrichtet und folglich der Lohn um 20% respektive für Mehrverdiener die 14 Tage auf 2744 Franken gekürzt, stellt der Bezug des Vaterschaftsurlaubs weitere Fragen in den Raum:

Kann ich mir die Lohnkürzung leisten?
Beispielsweise würde bei einem Jahreseinkommen von brutto 60000 Franken die Kürzung rund 460 Franken ausmachen.

Will ich mir die Lohnkürzung leisten?
Liegt das Jahreseinkommen bei brutto 120000 Franken, macht die Kürzung rund 1860 Franken aus. Diese überproportionale Kürzung entsteht aufgrund des maximalen Tagesansatzes von 196 Franken und entsteht progressiv ab einem Bruttojahreseinkommen von über 89425 Franken.

Wird der Lohn durch den Arbeitgeber gekürzt respektive nur das Taggeld entrichtet, liegt es nahe, dass sich ein junger Vater die Frage stellt, ob er sich den Vaterschaftsurlaub leisten kann oder will.

Vertraglich schlechter gestellt?

Da die Bestimmungen im Personalreglement meistens zum integrierten Bestandteil des Arbeitsverhältnisses erklärt wurden, können sie nicht beliebig angepasst werden; es bedarf der Zustimmung jedes Mitarbeitenden. Daher ist bei Verweigerung der Anpassungsannahme der Weg der Änderungskündigung zu prüfen.

Soll eine Änderungskündigung ausgesprochen werden, damit die Neuregelung der bezahlten Absenzen – aufgrund eines neuen Gesetzes – eingeführt wird?

Zusammenfassend

Neben dem bereits während des Abstimmungskampfes intensiv diskutierten Thema der zusätzlichen Abwesenheit, die vor allem für kleine- und mittelgrosse Betriebe eine organisatorische und operative Herausforderung darstellt, kommen einmalige wie auch wiederkehrende administrative Mehrarbeiten hinzu, die vorab auf oberster Ebene Entscheidungen verlangen respektive verlangt hätten. Dass die Auswirkungen dieser Entscheide sodann weder die Administration noch das Finanzielle, sondern vielmehr die Softfaktoren eines Unternehmens – grosszügig oder knausrig? – prägen, wurde wohl vielerorts unterschätzt.

Dass ein Unternehmen, das sich an die gesetzlichen Vorschriften hält, seitens Gesellschaft jedoch als knausrig bezeichnet wird, zeigt meiner Meinung nach auf, dass wir in diesem Thema hinterherhinken und mit der Einführung des Vaterschaftsurlaubs erst die Basis für weitere Regelungen gelegt wurde.

Take-Aways

  • Seit dem 1. Januar 2021 haben Väter Anspruch auf vierzehn Tage Vaterschaftsentschädigung. Diese beträgt 80% des Lohns, jedoch maximal 196 Franken pro Tag.
  • Die Väter sollten sich je nach Einkommenshöhe überlegen, ob sie sich den Vaterschaftsurlaub respektive die Einkommenseinbusse leisten können respektive wollen.
  • Unternehmen sind gefordert, ihre internen Regelungen mit den neuen Gesetzesbestimmungen in Einklang zu bringen. Dabei stellen sich z.B. folgende Fragen, die Einfluss darauf haben, wie grosszügig der Arbeitgeber erscheint: Erfolgt der Antrag auf die Entschädigung durch das Unternehmen oder den Arbeitnehmer? Soll der volle Lohn weiter entrichtet werden? Werden vorbestehende Regelungen ergänzend zum gesetzlichen Vaterschaftsurlaub weitergeführt?

Artikel teilen


Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.

Folgen sie uns auf