Zürcher Stadtparlament will 35-Stunden-Woche testen

Donnerstag, 16. März 2023
Weniger arbeiten zum gleichen Lohn: Die Zürcher Stadtverwaltung wird in einem Pilotprojekt die 35-Stunden-Woche testen. Der Gemeinderat hat am Mittwoch einen entsprechenden Vorstoss von AL und SP an den Stadtrat überwiesen.

Die links-grüne Mehrheit im Parlament überwies die Motion mit 60 zu 57 Stimmen an den Stadtrat. Dieser muss nun, gegen seinen Willen, ein Versuchsprojekt für eine 35-Stunden-Woche ausarbeiten.

Weniger Arbeitsstunden für Schichtarbeitende

Getestet werden soll die Arbeitszeitreduktion mit jenen Angestellten, die im Schichtbetrieb arbeiten und deswegen besonderen Belastungen ausgesetzt sind. Neben Mitarbeitenden in Pflege und Betreuung sind dies etwa jene in der Reinigung, bei der Polizei oder bei den Verkehrsbetrieben.

«Wir müssen dringend entschleunigen», begründete AL-Gemeinderat David Garcia Nuñez den Vorstoss. Viele Angestellte würden heute unter Stress leiden oder gar monatelang wegen Burn-out ausfallen. «Wer, wenn nicht die reiche Stadt Zürich, kann sich einen Versuch mit der 35-Stunden-Woche leisten.»

Der Versuch soll wissenschaftlich begleitet werden. Die Stadt wird dabei in erster Linie ermitteln, wie sich der Gesundheitszustand der Angestellten verändert, aber auch die Produktivität und der CO2-Ausstoss durch reduzierte Pendlerwege sollen analysiert werden.

Stress für Personalabteilung

Wie viel dieser Versuch kostet, ist noch unklar. Der Grüne Finanzvorsteher Daniel Leupi warnte in der Debatte vor einem «hyperaufwendigen Versuch, der alle stresst». Die städtische Personalabteilung könne so etwas kaum bewältigen. Würde die Arbeitszeitreduktion bei gleichem Lohn in der gesamten Verwaltung eingeführt, würden auf die Stadt geschätzte Mehrausgaben von bis zu 110 Mio. Franken zukommen. Zudem müssten bis zu 1500 zusätzliche Angestellte gefunden werden, um die Lücken zu stopfen.

Auch private Unternehmen sollen Versuch wagen

Zusätzlich zum «Selbstversuch» soll die Stadt zudem auf private Unternehmen zugehen und diese quasi zum Mitmachen motivieren. Auch diese Erfahrungen sollen dann wissenschaftlich ausgewertet werden. Dagegen waren die Bürgerlichen einschliesslich der GLP. Letztere fand die Idee zwar «gut gemeint, aber utopisch». Die Mitte fand den Vorstoss zwar ebenfalls «sympathisch», wie es Christian Traber ausdrückte. «Aber wer zahlt das?»

Positive Erfahrungen in Island

Auch auf Bundesebene war die Forderung «Weniger Arbeit für gleichen Lohn» schon Thema, unter anderem wegen einer Motion der SP. Der Bundesrat hält die Arbeitszeitreduktion jedoch für eine schlechte Idee. Er fürchtet gar um den Wohlstand im Land.

Keine Angst vor Wohlstandsverlust haben offenbar die Isländerinnen und Isländer: Dort stellte das ganze Land im Jahr 2021 auf die 35-Stunden-Woche um. Heute arbeiten 90% der Isländerinnen und Isländer bei gleichbleibendem Lohn mit reduziertem Pensum. Produktivität und Steuererträge gingen bisher nicht zurück.

Auch andere Länder starteten oder planen neue Arbeitszeitmodelle, etwa Belgien, Spanien, Neuseeland, Frankreich oder Grossbritannien. (sda)

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