Vorsorgelücken erkennen und schliessen - Was alle Erwerbstätigen wissen müssen

Donnerstag, 24. Juli 2025 - Pedro Fischer
Teilzeiterwerbstätigkeit, Erwerbsunterbrüche, Scheidungen, Todesfälle oder Krankheit: Vorsorgelücken können vielfältige Ursachen haben. Wie Mitarbeitende vorbeugen können.

Trotz stabilem Drei-Säulen-System fallen viele Menschen im Schweizer Vorsorgemodell durch die Maschen: besonders Frauen mit Teilzeitpensen oder nach familiären Einschnitten. Doch auch Männer sind nicht davor gefeit: Krankheit, selbständige Erwerbsarbeit oder Scheidung bringen das Gleichgewicht ins Wanken. Dieser Beitrag zeigt in drei Teilen, wie Vorsorgelücken entstehen – und welche konkreten Schritte helfen, sie rechtzeitig zu erkennen und wirksam zu schliessen.

Teil 1: Wo Vorsorgelücken entstehen – und warum es uns alle betrifft

Die Altersvorsorge in der Schweiz beruht auf dem Drei-Säulen-System. Doch selbst dieses durchdachte System schützt nicht vor Vorsorgelücken – insbesondere nicht in der 2. Säule. Wer denkt, nur Frauen seien davon betroffen, irrt: Auch Männer laufen Gefahr, im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit mit zu tiefen Leistungen dazustehen. Der Unterschied liegt jedoch im Risiko: Frauen sind durch spezifische Lebensereignisse deutlich häufiger betroffen – und das beginnt bereits früh.

Wo Vorsorgelücken entstehen

In der 2. Säule basiert die Vorsorge auf dem Erwerbseinkommen. Verdient jemand weniger als den Mindestjahreslohn von 22680 Franken (Eintrittsschwelle, Stand 2025), wird er oder sie gar nicht versichert. Wer Teilzeit arbeitet – oft Frauen mit Betreuungspflichten –, verliert zusätzlich durch den fixen Koordinationsabzug (26460 Franken) wertvolles Sparkapital. Eine Frau mit einem 60%-Pensum und einem Jahreslohn von 45000 Franken spart so auf lediglich 18540 Franken – statt auf dem vollen Lohn.

Mutterschaft, Erwerbsunterbrüche und Scheidung

Vorsorgelücken entstehen nicht nur durch tiefe Einkommen. Auch Erwerbsunterbrüche – etwa für Kinderbetreuung oder Weiterbildung – führen dazu, dass in dieser Zeit keine Beiträge einbezahlt werden. Nach der Mutterschaft ist der Wiedereinstieg oft nur in Teilzeit möglich. Das wirkt sich über Jahrzehnte negativ auf das Altersguthaben aus. Scheidungen verschärfen die Situation: Zwar wird das vorhandene BVG-Guthaben hälftig geteilt, doch der verbleibende Teil reicht in vielen Fällen nicht mehr für eine genügende Rente aus.

Verwitwung und Invalidität – die unterschätzten Risiken

Ein Schicksalsschlag kann jeden treffen. Laut einer aktuellen Studie des VZ (2025) sinkt die Rente nach einem plötzlichen Todesfall oder einer Invalidität dramatisch – insbesondere bei Paaren mit ungleichen Einkommen oder klassischer Rollenteilung. Stirbt der besser verdienende Partner oder wird invalid, klafft oft eine massive Versorgungslücke. Hier zeigt sich: Auch Männer, etwa nach einer Trennung mit Alleinerziehendenrolle oder bei gesundheitlicher Erwerbsunfähigkeit, können tief in die Lücke rutschen.

Lücken schliessen – jetzt handeln

Um dem vorzubeugen, lohnt sich eine vorausschauende Vorsorgeplanung. ­Lösungen gibt es viele:

  • Überobligatorische Pensionskassenbeiträge: Manche Arbeitgeber ermöglichen höhere Sparbeiträge – ein oft unterschätzter Vorteil.
  • Einkäufe in die 2. Säule: Wer Lücken hat, kann diese steuerlich begünstigt auffüllen – auch etappenweise.
  • 3. Säule (Säule 3a und 3b): Freiwilliges Sparen ergänzt die Vorsorge gezielt. ­Besonders bei Teilzeit oder Erwerbsunterbrüchen ist das essenziell.
  • Risikoversicherungen: Lebens- und Erwerbsunfähigkeitsversicherungen schützen bei Schicksalsschlägen und helfen, existenzielle Lücken zu überbrücken.

Teil 2: Strategien, die sich lohnen – für heute und morgen

Vorsorgelücken betreffen in der Schweiz fast jede zweite Person – Frauen häufiger als Männer, aber längst nicht exklusiv. Wie im ersten Teil dargestellt, entstehen sie durch Teilzeitpensen, Erwerbsunterbrüche, Scheidungen oder gesundheitliche Einschnitte. Doch der gute Teil der Geschichte: Es gibt wirkungsvolle Wege, um solche Lücken zu erkennen und gezielt zu schliessen. Dieser Beitrag zeigt praxisnahe Lösungen für unterschiedliche Lebenssituationen.

Einkauf in die 2. Säule – steuerlich attraktiv und langfristig wirkungsvoll

Wer Teilzeit gearbeitet oder einige Jahre keine Pensionskassenbeiträge einbezahlt hat, kann freiwillig in die berufliche Vorsorge (2. Säule) einkaufen. Diese Beiträge sind steuerlich abziehbar und erhöhen direkt das Altersguthaben. Ein Rechenbeispiel: Eine 45-jährige Frau mit einem Pensum von 60 % und rund 30000 Franken Einkaufspotenzial zahlt den Betrag gestaffelt über drei Jahre ein. Ihre zu erwartende Altersrente steigt dadurch je nach Umwandlungssatz um rund 100 bis 150 Franken pro Monat. Gleichzeitig profitiert sie – je nach Kanton und Einkommen – von einem jährlichen Steuervorteil.

Überobligatorische Leistungen des Arbeitgebers – nachfragen lohnt sich

Nicht alle Pensionskassen sind gleich aufgebaut. Gute Vorsorgeeinrichtungen bieten überobligatorische Leistungen, die über das gesetzliche Minimum hinausgehen: tiefere Koordinationsabzüge, bessere Umwandlungssätze, Sparbeiträge bereits ab dem ersten Franken. Gerade für Arbeitnehmende mit tieferen oder unregelmässigen Einkommen können diese Vorteile entscheidend sein. Wer die Wahl hat – etwa bei einem Jobwechsel –, sollte auch die Qualität der Vorsorge vergleichen.

Die 3. Säule – flexibel, individuell und unverzichtbar

Private Vorsorge ist ein zentrales Element zur Schliessung von Lücken. In der gebundenen Säule 3a können jährlich bis zu 7258 Franken (2025, für Erwerbstätige mit Pensionskasse) steuerbegünstigt einbezahlt werden. Für Selbständige oder Personen ohne Pensionskassenanschluss liegt der Betrag höher. Beispiel: Ein Mann arbeitet seit der Scheidung in einem 50%-Pensum. Durch regelmässige Einzahlungen in die 3. Säule sichert er sich eine zusätzliche Rente – und einen soliden Kapitalstock für Notlagen oder den vorzeitigen Rücktritt.

Risikoversicherungen – Schutz bei Invalidität, Krankheit oder Todesfall

Schicksalsschläge können die beste Vorsorgeplanung zunichtemachen. Darum lohnt es sich, gezielt Lücken bei Todesfall- und Invaliditätsleistungen abzusichern. Gerade Alleinerziehende oder Familien mit ungleichem Einkommen profitieren von privaten Risikoabsicherungen. Für ein Paar mit zwei kleinen Kindern kann eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung mit 2000 Franken Monatsrente im Ernstfall die finanzielle Existenz sichern – zu einem monatlichen Prämienbetrag von rund 100 Franken, wenn günstige Parameter vorliegen (jung, gesund, lange Karenzfrist).

Lebensphasen bewusst planen – und nicht aufschieben

Vorsorgeplanung ist keine Frage des Alters, sondern der Weitsicht. Wer früh beginnt, kann mit kleinen Beträgen grosse Wirkung erzielen. Wer spät beginnt, sollte keine Zeit verlieren: Selbst mit 50 lässt sich durch Einkäufe, freiwillige ­Beiträge oder gezielte Risikoabsicherung noch viel bewirken. Wichtig ist dabei der regelmässige Abgleich der Lebenssituation mit dem eigenen Vorsorgeprofil – idealerweise mit fachkundiger Begleitung.

Finanzielle Selbstbestimmung sichern

Vorsorge ist nie statisch. Lebensläufe sind vielfältiger geworden – und damit auch die Risiken für Vorsorgelücken. Doch ebenso vielfältig sind die Möglichkeiten, gezielt gegenzusteuern. Wer handelt, schützt nicht nur sich selbst, sondern entlastet im Ernstfall auch Angehörige. Und schafft damit vor allem eines: finanzielle Selbstbestimmung im Alter und bei unvorhergesehenen Lebensereignissen.

Teil 3: Finanzielle Vorbereitung auf Scheidung, Verwitwung, Teilzeit

Lebensläufe verlaufen selten linear. Sie sind geprägt von Veränderungen – und manchmal von Brüchen. Eine Scheidung, der Verlust des Partners oder eine reduzierte Erwerbstätigkeit verändern nicht nur den Alltag, sondern auch die finanzielle Ausgangslage grundlegend. Wer nicht rechtzeitig vorsorgt, läuft Gefahr, in eine Vorsorgelücke zu geraten, die sich später nur schwer schliessen lässt.

Scheidung – gerechte Teilung mit Langzeitfolgen

Bei einer Scheidung wird das während der Ehe angesparte Pensionskassenguthaben hälftig geteilt. Was nach Fairness klingt, kann für die weniger gut verdienende oder in Teilzeit tätige Person drastische Konsequenzen haben. Besonders betroffen sind Frauen, die wegen der Kinderbetreuung jahrelang nur reduziert oder gar nicht erwerbstätig waren. Die Teilung verringert ihr ohnehin schon kleineres Vorsorgeguthaben zusätzlich – ohne dass automatisch ein Nachhol­effekt einsetzt.

Was tun? Bereits während des Scheidungsverfahrens lohnt sich eine gezielte Beratung. Es ist möglich – aber nicht selbstverständlich –, auch überobligatorische Guthaben aufzuteilen. Aber wichtig: Das Prinzip der hälftigen Teilung gilt auch für den überobligatorischen Teil, wenn er eindeutig der Ehezeit zugeordnet werden kann. Zudem sollten Betroffene nach der Trennung gezielt über freiwillige Einkäufe oder die 3. Säule ihre Vorsorgesituation verbessern.

Verwitwung – emotionale und finanzielle Unsicherheit

Der Tod eines Partners verändert alles. Neben der Trauer stellen sich oft existenzielle Fragen: Reicht das Einkommen? Was bleibt an Witwen- oder Witwerrente? Wie ist die Altersvorsorge künftig aufgebaut?

Besonders schwierig ist die Situation, wenn der verstorbene Partner den Hauptteil des Einkommens geleistet hat – und keine ausreichenden Risikoabsicherungen bestanden. Die 2. Säule kennt nur unter bestimmten Voraussetzungen eine Witwen- oder Witwerrente. Lebenspartnerinnen oder -partner ohne Trauschein gehen häufig leer aus, wenn keine vertraglichen Regelungen oder Begünstigungen getroffen wurden.

Was tun? Wer in einer Partnerschaft lebt – mit oder ohne Trauschein –, sollte frühzeitig die gegenseitige Absicherung prüfen. Dazu gehören neben einer Pensionskassenanalyse auch die Ergänzung mit privater Risikoabsicherung (z. B. Todesfallversicherung) sowie klare testamentarische Regelungen.

Teilzeitarbeit – ein unterschätzter Risikofaktor

Teilzeitpensen sind in der Schweiz mehrheitlich, aber nicht ausschliesslich Frauensache – mit bekannten Folgen: tieferes Einkommen, tiefer versicherter Lohn, geringere Sparbeiträge in der Pensionskasse. Die Eintrittsschwelle und der Koordinationsabzug können wie eine versteckte Strafe für Teilzeitangestellte wirken, da sie im BVG-Obligatorium unabhängig vom Pensum fix bleiben. Viele Pensionskassen setzen jedoch auf pensumsabhängige oder prozentuale Koordinationsabzüge, um Teilzeitmodelle fairer abzubilden. Besonders heikel ist dies bei mehreren kleinen Anstellungen ohne Koordination: Oft wird man in keiner einzigen Pensionskasse versichert – und spart somit gar nichts in der 2. Säule.

Was tun? Prüfen, ob eine Zusammenlegung der Pensen bei einem Arbeitgeber möglich ist. Bei mehreren Teilzeitanstellungen lohnt es sich zu hinterfragen, ob eine freiwillige Versicherungslösung (z.B. über eine Sammelstiftung) greift. Auch ein gezielter Einkauf oder Beiträge in die Säule 3a können helfen, die drohenden Lücken zu kompensieren.

Vorsorge bedeutet Sicherheit

Scheidung, Tod und Teilzeitarbeit sind Lebensrealitäten – keine Randthemen. Sie treffen Frauen wie Männer, wenn auch mit unterschiedlichen Intensitäten. Entscheidend ist, vorbereitet zu sein. Wer rechtzeitig Massnahmen ergreift und seine persönliche Vorsorgesituation kennt, bleibt auch in turbulenten Zeiten finanziell handlungsfähig. Denn eines ist sicher: Vorsorge bedeutet nicht nur Geld, sondern vor allem Sicherheit – für heute und für morgen.

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