
Was lernst du gerade?
Zwei Unternehmen, zwei Strategien, ein Ziel: Lernen nah am Arbeitsalltag zu verankern. Zwei Agile-Learning-Beispiele zeigen, wie die Integration von selbstbestimmtem Lernen und Arbeit unterstützt werden kann.
Was braucht es, um Organisationen zukunftsfähig zu machen? Zwei Learntec-Vorträge liefern praxisnahe Antworten: Während Nicklas Kinder für eine radikale Vereinfachung in der Kompetenzentwicklung plädierte, zeigte Dr. Birgit Stelzer, wie Innovationskraft in Teams durch Haltung, Vertrauen und kulturelle Vielfalt entsteht.
Nicklas Kinder, Manager bei The Company Journey Guides in München, kennt die Herausforderungen klassischer Führungskräfteprogramme. In einem Projekt mit einem DAX-Konzern sollten ursprünglich 140 Kompetenzen über 24 Monate hinweg vermittelt werden – ein enormer Aufwand. «Der Retail war teilweise überfordert mit dieser Komplexität», so Kinder. Die Lösung: Eine Transformation des Programms hin zu einem modularen, weltweit einsetzbaren Format, das sich auf wenige, aber wirksame Future Skills konzentriert.
Das neue Konzept basiert auf Learning Journeys, die individuell auf die Lernenden zugeschnitten werden. «Wir starten mit einer psychometrischen Erhebung, daraus ergibt sich ein persönlicher Lernpfad», erklärte Kinder. Die Teilnehmenden durchlaufen vier Phasen: Sensibilisierung, Wissen, Anwendung und Transfer – jeweils abgestimmt auf ihre individuellen Entwicklungsfelder.
Im Zentrum stehen sogenannte Metakompetenzen, die als Future Skills definiert werden: Kompetenzen, die es Individuen ermöglichen, in hoch dynamischen, unsicheren Kontexten selbstorganisiert Probleme zu lösen. «Wir brauchen keine 140 Einzelthemen, sondern Skills, die langfristig stabil bleiben und wirklich Wirkung entfalten», betonte Kinder.
Statt sich auf technische oder kurzfristige Fachthemen zu fokussieren, setzen die Learning Journeys auf personale, soziale und kreative Kompetenzen. Kinder nennt das Beispiel Empathie: «Da hilft ein standardisierter Workshop wenig – Coaching ist hier oft der sinnvollere Weg.»
Nicklas Kinder verweist in seinem Vortrag auf die sogenannte «Theorie U» von Otto Scharmer, Senior Lecturer am MIT, die dem Projekt als Entwicklungsmodell zugrunde liegt. Die Theorie beschreibt einen Veränderungsprozess in sieben Phasen – von der Reproduktion alter Denkmuster (Downloading) bis hin zur Umsetzung neuer Handlungsmuster (Performing). Im Zentrum steht dabei das sogenannte «Presencing»: Die Verbindung mit der eigenen inneren Quelle, um aus einer Haltung tiefer Reflexion und Kreativität heraus zu agieren.
«Wir tendieren dazu, unsere Muster und Fehler ständig zu wiederholen. Wenn wir da rauswollen, müssen wir erstmal mit uns selbst arbeiten», so Kinder. Genau das bildet die erste Ebene des Programms: die persönliche Auseinandersetzung mit sich selbst. Die Teilnehmenden lernen, ihre Identität zu klären, Resilienz aufzubauen und Selbstführung zu praktizieren. Erst dann geht es weiter mit der sozialen Interaktion, der kollektiven Wirksamkeit im System und schliesslich der Gestaltung von Zukunft.
Die Future Skills im Programm sind entlang dieser vier Entwicklungsfelder konzipiert: Person, Interaktion, System und Kreation. «Wer eine echte Zukunftsfähigkeit entwickeln will, muss alle Ebenen durchlaufen – vom Selbstzugang über gemeinsames Handeln bis zur Umsetzung eigener Ideen», erklärt Kinder. Die Theorie U bietet dafür einen strukturierten, praxisnahen Orientierungsrahmen.
Ein zentraler Punkt des Programms ist der Nachweis der Wirksamkeit. Gemeinsam mit der Universität Salzburg und einem Pilotmarkt wurde ein wirkungsorientiertes Design mit Test- und Kontrollgruppen entwickelt. Dabei kommen Pre- und Posttests sowie eine Wartekontrollgruppe zum Einsatz.
Erste Ergebnisse zeigen deutliche Effekte. Teilnehmende berichteten von einem durchschnittlichen Kompetenzzuwachs von 23%, die Führungskräfte bestätigten dies mit 21%. Auch auf der Verhaltensebene sei ein Transfer erkennbar. Kinder: «Das zeigt, dass sich wirklich etwas getan hat – sichtbar im Arbeitsalltag.»
Die Zufriedenheit der Teilnehmenden war hoch: 9.3 von 10 Punkten für das Gesamtprogramm, 9.8 für das Coaching. Auch die harten Zahlen überzeugen: In einem Pilotmarkt stiegen die Umsätze um 19%, Stückzahlen sogar um 25%. «Wir waren selbst überrascht, wie stark die Zielerreichung war – 115% im Schnitt», berichtet Kinder.
Ziel ist es nun, in weiteren Märkten die Korrelation zwischen den Metakompetenzen und konkreten Unternehmenskennzahlen systematisch zu analysieren. Der Aufwand sei hoch, aber lohnend: «Wenn wir nachweisen können, welche Skills wirklich entscheidend für den Erfolg sind, ist das ein Game Changer für jede HR-Strategie.»
Doch wie lässt sich Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens überhaupt definieren? Laut Kinder geht es um drei Dimensionen: Robustheit, Unabhängigkeit und Antizipationsfähigkeit. Ziel sei es, «nicht nur auf Krisen reagieren zu können, sondern sie auch vorherzusehen und selbstbestimmt zu agieren.»
Die Verbindung von individuellen Kompetenzen zu organisationaler Zukunftsfähigkeit ist dabei der nächste Schritt im Forschungsprojekt. Erste Hypothesen sollen mit konkreten Kennzahlen verknüpft und validiert werden. «Vielleicht darf ich in zwei bis drei Jahren wiederkommen und die Ergebnisse vorstellen», sagte Kinder augenzwinkernd zum Abschluss seines Vortrags.
Dr. Birgit Stelzer eröffnete den zweiten Tag der Learntec 2025 mit einer persönlichen und pointierten Keynote zur Innovationskraft in Teams, mit der sie die Ausführungen von Nicklas Kinder im Prinzip unterstrich. Ausgehend von eigenen Erfahrungen als Wissenschaftlerin, Gründerin und Innovationscoach betonte sie, dass Innovationsfähigkeit keine exklusive Gabe, sondern erlernbar sei.
Eine von ihr durchgeführte LinkedIn-Umfrage unter Innovationsexpertinnen und -Vordenkern zeige, dass Innovationskraft zwar mehrheitlich als erlernbar wahrgenommen werde – entscheidend seien dabei Mut, Neugier, Offenheit für Unsicherheit und die Bereitschaft, ungewöhnliche Wege zu gehen. Es gebe aber eben auch häufig noch den gegenteiligen Glaubenssatz, dass es sich um eine angeborene Begabung handle. Sie ist überzeugt: «Innovationskraft ist vor allem eine Haltung». Fünf reale Use Cases aus ihrem Netzwerk unterstrichen, dass Innovationskraft durch Selbstorganisation, Netzwerke und neue Lernkulturen entsteht – nicht durch starre Prozesse oder klassische Karrierewege.
Sie plädierte für ein Umdenken im Innovationsverständnis: Nicht Tools oder Methoden allein machten innovativ, sondern soziale Interaktion, Reflexionsfähigkeit und kulturelle Vielfalt. Mit Blick auf Führung betonte sie: «Gute Führung schafft Räume, statt sie selbst auszufüllen.» Teams brauchten Vertrauen, klare Visionen und wechselnde Rollen – nicht Kontrolle von oben.
Besonders eindrucksvoll war ihre Botschaft zur «Accountability». Verantwortungsübernahme sei kein Druckmittel, erklärte sie, sondern der Nährboden für Eigeninitiative und kreative Energie. «Accountability ist keine Drohung, sondern ein Lerninstrument», so Stelzer. Und weiter: «Führung entsteht in Bewegung – nicht im Status.»
Dr. Stelzer schloss mit einem Plädoyer für mehr Mut, systemisches Denken und das Loslassen von Gewohntem: «Innovation beginnt dort, wo wir bereit sind, Sicherheiten hinter uns zu lassen – gemeinsam, experimentierend, mit Haltung.»
Nicklas Kinder ist Psychologe und Manager bei The Company Journey Guides in München, einer auf Organisationsentwicklung spezialisierten Boutique-Beratung. Zuvor war er als HR Business Partner tätig. Sein Schwerpunkt liegt auf der Konzeption wirkungsorientierter Lernarchitekturen, insbesondere im Bereich Future Skills. Gemeinsam mit Hochschulen und Konzernen entwickelt er systematische Qualifizierungsansätze, die auf strategische Relevanz und messbare Ergebnisse ausgerichtet sind.
Dr. Birgit Stelzer ist Innovationscoach, promovierte Wissenschaftlerin und Gründerin mit internationaler Erfahrung. Sie unterstützt Organisationen dabei, Innovationskraft durch Haltung, Selbstorganisation und Lernkultur zu entfalten. Ihre Arbeit basiert auf systemischem Denken, emotionaler Intelligenz und langjähriger Praxis im Bereich Leadership-Entwicklung und New Work.
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