Safe, well & happy

Montag, 25. März 2024 - Karen Heidl
Das wollen eigentlich alle in ihrem Job sein. Warum wir heute mehr darüber sprechen (müssen) und warum die Berufsbildung mehr Marketing braucht, erklärt der Luzerner Jungunternehmer Yannick Blättler, der sich mit seiner Employer-Branding-Agentur auf Nachwuchs-Recruiting spezialisiert hat.

Yannick Blättler

ist CEO und Founder von Neoviso, einer Agentur, die sich auf die Ansprache junger Zielgruppen spezialisiert hat. Er hat einen Master of Business Innovation der Universität St. Gallen HSG. Mehr Informationen im Neoviso-Blog: neoviso.ch/stories

Ihre Agentur Neoviso beschäftigt sich mit Erwartungshaltungen und Einstellungen der jüngeren Generation. Welche Bedarfslücke schliesst Neoviso?

Eine der häufigsten Fragen, mit denen Unternehmen an uns herantreten, lautet: «Sind wir heute oder in naher Zukunft als Unternehmen und mit unseren Marken als Arbeitgeber überhaupt (noch) relevant für eine junge Generation?» Es geht häufig um alle Themen rund um Rekrutierung, Arbeitgeber-Branding, Bindung der Mitarbeitenden und Führung. Es werden auch ­umfassendere Marketing-Themen im Zusammenhang mit der Gen-Z- und Gen-Alpha-Kommunikation an uns herangetragen. Aber bisher umfassten rund zwei Drittel der Projekte die genannten Fragestellungen im HR-Bereich.

Diese Anfragen kamen direkt aus den HR-Abteilungen oder auch aus der Kommunikation?

Es ist schon interessant, dass sich die HR-Verantwortlichen mittlerweile mit Branding auseinandersetzen müssen – mit allem, was dazugehört: Marketingziele, Kampagnen-planung, Videoproduktion, Gestaltung von Landing Pages. Häufig arbeiten wir in den Projekten auch mit anderen Abteilungen zusammen, aber der Lead ist inzwischen offensichtlich auf dem Tisch der HR-Abteilung gelandet. Früher war Rekrutierung vergleichsweise einfach. Ein paar Anzeigen schalten – und fertig. Heute ist es ein Marketingjob. Deshalb ist es von Vorteil, wenn die HR-Verantwortlichen gewisse Erfahrungen mit Beratungs- oder Agenturdienstleistungen haben oder in einem sehr wohlwollenden Verhältnis mit den Abteilungen Kommunikation und Marketing stehen. Das zahlt auf Synergien ein und es finden Verknüpfungen zu anderen Projekten statt.

Gibt es in Ihrem Kundenkreis Unterschiede zwischen Unternehmenstypen und Branchen?

Die Herausforderungen sind oftmals über die Branchen und Unternehmensgrössen hinweg sehr ähnlich. Wenn sich allerdings ein Job gut visualisieren lässt, ist das von Vorteil. Die junge Generation ist eine visuelle Generation. Ein Handwerk ist einfacher darzustellen als die Arbeit eines Treuhänders, für die man andere Wege finden muss, um eine Story zu erzählen und eine Arbeitgebermarke zu vermitteln. Herausfordernd wird es, wenn das Mindset des Unternehmens und seine Kultur sehr konservativ ausgerichtet sind oder wenn es nur wenige junge Mitarbeitende gibt.

Nun war es schon immer ein Thema, dass Ältere ein Verständnis für die Jüngeren aufbringen müssen, während die Jüngeren lernen, sich in einer Erwachsenenwelt einzuleben.

Das stimmt, ein Verständnis für die junge Generation – und umgekehrt für die ältere Generation – aufbringen zu müssen, ist ja nichts Neues. Diese Annäherungsleistungen finden in jeder sozialen Gruppe statt. Es gibt heute allerdings einige Faktoren, die neuartige Situationen schaffen. Hier ist sicher die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu nennen, die sehr stark in die Hände der Jungen spielt. Der Arbeitsmarkt ist ausgetrocknet und die Jungen werden gesucht. Sie können auswählen, wo sie arbeiten wollen, und Forderungen formulieren. Das stösst auf Unverständnis. Die Älteren waren zum Teil noch froh, einen Job zu haben, und konnten nicht so fordernd auftreten. Der zweite Faktor ist die Technologie. Die jüngere Generation ist sehr stark von den schnellen Digitalisierungsfortschritten der letzten Jahre geprägt worden. Deshalb hat sie auch ein anderes Verständnis von Kommunikation, Storytelling und Interaktion. Auch die Art und Weise der Informationsbeschaffung kann sich zwischen den Generationen unterscheiden. Der dritte Faktor ist der Wohlstand, in dem wir hier in der Schweiz leben. Dieser Wohlstand ist von der Generation X und den Babyboomern aufgebaut worden. Jetzt haben wir die Situation, dass die Jungen sehr viel Wahlfreiheit haben und einfach ihrem Herz folgen können.

Okay, es gibt allerdings Studien, die zeigen, dass sich beispielsweise bestimmte Bedürfnisse nach Work-Life-Balance, Mitbestimmung, Autonomie, Flexibilität usw. über die Generationen gar nicht unterschiedlich verteilen. Werden den Generationen Z und Alpha von den Medien bestimmte Eigenschaften angedichtet?

Da ist sicher etwas dran. Heute finden emotionale Diskussionen um das richtige Mindset statt. Für die Zeitungen und Medien ist das ein gefundenes Fressen, um Kommentare und Klicks zu generieren. Das passt auch sehr gut ins Geschäftsmodell. Es ist nicht alles falsch, was geschrieben wird, aber einiges wird hochgeschaukelt. Viele Bedürfnisse sind über alle Generationen hinweg ähnlich, doch wir müssen die richtigen Fragen stellen: «Was heisst Flexibilität in der Arbeitswelt für Dich im Alter von 52? Was bedeutet sie für Dich im Alter von 30?» Darüber müssen wir nachdenken, denn in jeder Lebensphase gibt es eigene Bedürfnisse. Je nach Alter gibt es zudem verschiedene Interessen und unterschiedliches Mediennutzungsverhalten.

Und schliesslich stelle ich noch die Frage: «Wenn alle Generationen ähnliche Bedürfnisse haben, warum gibt es dann mit den Jungen ein Problem?» Wagt man mit dieser Frage einen Blick hinter die Kulissen eines Unternehmens, hat man die Kulturthemen auf dem Tisch.

Wie machen sich diese Themen bemerkbar?

Allgemein ist ein Bedürfnis nach einem Wertewandel feststellbar – nach mehr Flexibilität oder Sinnhaftigkeit beispielsweise. Es werden auch neue Wünsche an die Führung herangetragen. Psychologische Sicherheit und Bedürfnisse nach Identifikation und Community werden geäussert. Das klingt leicht nach einer Beschwörung einer heilen Arbeitswelt, aber ich glaube, letztlich wollen die Leute vor allem zufrieden sein. Das merken auch die Unternehmen. Die Jungen fordern dies jetzt ein.

Nicht nur die Jungen.

Richtig. Die psychologische, mentale Gesundheit ist ein Riesenthema, über das ich viel sagen könnte. Um es kurz zu machen: Sie ist eine Challenge für die junge Generation. Die öffentliche Diskussion dazu ist spannend. Da heisst es oft: «Die Jungen sind nicht mehr belastbar und die wollen einfach nicht.» In einer unserer Umfragen unter Personen der Generation Z mit über 1000 Teilnehmenden gaben 53% an, dass sie sich Sorgen um ihre mentale Gesundheit machen. Sie haben keine Probleme, aber sie machen sich Sorgen. Auch vorhergehende Generationen haben über Stress und Burnout geklagt. Die jungen Leute wollen dies verhüten. Fast ein Drittel der GenZ sagt, sie machten sich Druck bezüglich ihrer beruflichen akademischen Weiterentwicklung. Ich glaube, die Vergleichbarkeit in sozialen Medien spielt hier eine Rolle. Zudem wird man heute mit Reizen überflutet. Es spielt so viel zusammen, nicht zuletzt auch die politische Lage.

Sprechen wir über die Berufslehre: Wie attraktiv ist sie für die Jüngeren?

Ich denke schon, dass wir ein gewisses Marketingproblem mit dem Thema Berufslehre haben. Viele Verbände oder Vertreterinnen und Vertreter bestimmter Berufsgruppen könnten ihren eigenen Beruf und die Berufsbildung noch viel besser vermarkten. Ich denke zum Beispiel an die Baubranche. Wir haben es in der Schweiz mit einem steigenden Druck zu tun, das Gymnasium zu absolvieren. Die Eltern halten die Matura für einen Erfolgsgaranten. Sie sind vielleicht auch nicht genügend darüber informiert, welche Türen eine Berufslehre öffnen kann. Kommunikation ist der Schlüssel, diese Chancen bekannt zu machen. Ausserdem ist es wichtig, Chancen für Lernende zu kreieren und neue Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen. Die Führungskultur steht auch in vielen Branchen auf dem Prüfstand, gerade dann, wenn es schwieriger ist, komfortable Rahmenbedingungen wie Homeoffice usw. zu schaffen. Ich war kürzlich als Gastdozent in einem CAS zum Thema Leadership. Da sagte mir jemand, sie führe 33 Leute direkt! Eine solche Spanne ist wirklich kein Zustand.

Haben Sie prinzipielle Empfehlungen, wie Unternehmen mit ihren Ausbildungsangeboten auftreten sollten?

Man sollte jungen Leuten unbedingt zeigen und vermitteln, dass die Lernenden auf Augenhöhe behandelt werden und dass sie als Teil eines Teams von jungen Leuten arbeiten können. Anerkennung zu geben ist wichtig. Man muss nicht ständig loben, aber einfach signalisieren: «Cool, dass Du da bist. Wir brauchen Dich. Du bist Teil des Teams.» Egal ob Maurerlehre oder KV – in allen Berufen ist dies möglich. Man sollte sich Gedanken machen, wie man etwas Flexibilität schaffen kann. Diese Angebote werden dann in der Praxis vielleicht wenig genutzt, aber das ist kein Gegenargument. Ich beobachte dies auch bei uns mit 35 Mitarbeitenden, die ihre Arbeitszeit selbst bestimmen können. Alle hängen sich voll rein und fangen meist früh an, um abends je nach Projektlage auch später die Agentur wieder zu verlassen. Will aber mal einer ausschlafen, ist das kein Thema. Man sollte Rahmenbedingungen für psychologische Sicherheit schaffen. Die Lernenden sollen wissen: Wenn Dich etwas beschäftigt, wenn Dich etwas stresst, hast Du Ansprechpartnerinnen und -partner. Auch die Ausbildenden selbst sollten an ihren Beruf glauben und die Freude daran vermitteln. Sie sind die Vorbilder. Wenn sie aber signalisieren, dass ihr Beruf keine Zukunft mehr hat, wird es schwierig. Man muss das Feuer weitergeben, wenn man eine Flamme entfachen will.

Jetzt dürfen Sie visionär sein: Die Zukunft der Berufslehre – was könnte sich in den nächsten 10 bis 15 Jahren in der Berufslehre noch verändern?

Ich würde mir wünschen, dass in allen Berufen jeglicher Branche die ICT-Skills besser ausgebildet würden. Ich denke dabei an innovationstreibende Technologien wie Künstliche Intelligenz, Datenbanken, Spatial Computing etc. Fast in jedem Beruf muss man heute etwas von Data Sciences verstehen. Zudem sind die Fähigkeiten zur Selbstorganisation und Selbstreflexion wichtig. Auf meiner Wunschliste steht ausserdem Flexibilität in der Berufslehre in dem Sinne, dass man die Ausbildung etwas variieren kann und auch die Möglichkeit hat, verschiedene Unternehmen kennenzulernen (siehe Artikel zu Ausbildungsverbünden).

Take Aways

  • Um für die junge Generation als Arbeitgeber relevant zu bleiben, sind HR-Abteilungen und Berufsverbände gefordert, sich verstärkt mit Marketing und Branding zu befassen.
  • Auch Eltern sollten über die Möglichkeiten der Berufsbildung intensiver informiert werden.
  • Die Visualisierung von Arbeitsinhalten und das Storytelling sind für die junge Generation wichtig, um Interesse zu erzeugen.
  • Unternehmen sollten verstehen, dass viele Bedürfnisse über Generationen hinweg ähnlich sind, aber in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich ausgeprägt sein können.
  • Die Unternehmen sollten zeigen, dass Lernende gleichwertige Teammitglieder sind und in einem Team mit anderen jungen Leuten arbeiten können.
  • Ausbildende sollten immer wieder auch die Begeisterung für ihren Beruf vermitteln.
  • Zukunftsorientierung der Berufslehre: Die Ausbildung sollte verstärkt grundlegende, innovationstreibende ICT-Skills, Fähigkeiten zur Selbstorganisation und -reflexion vermitteln.

Artikel teilen


Weitere Artikel zu diesem Dossier


Alle Fokus-Dossiers anzeigen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.

Folgen sie uns auf