Versicherter Verdienst

Mittwoch, 18. Januar 2023 - Kurt Häcki
Der versicherte Verdienst ist sowohl für die Beitrags- als auch für die Leistungsberechnung entscheidend. Wichtig für Payroll-Verantwortliche und für Mitarbeitende: Der versicherte Verdienst wird je nach Sozialversicherung unterschiedlich ermittelt.

Maja Raison ist der Auffassung, dass in allen Zweigen der Sozialversicherungen unter dem Begriff «versicherter Verdienst» immer das Gleiche verstanden wird, also, dass immer der gleiche Betrag angewendet wird. Anna Gut ist anderer Ansicht. Sie behauptet, dass einerseits unterschieden werden muss, ob es sich um den versicherten Verdienst handelt, der für die Beitragserhebung gilt, und andererseits für die Berechnung der Leistungshöhe herangezogen wird. Wer hat Recht?

Beitragsberechnung

AHV

Bei der AHV sind unselbständig und selbständig Erwerbende sowie Nichterwerbstätige beitragspflichtig. Die Beiträge der erwerbstätigen Versicherten werden in Prozenten des Einkommens aus unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit festgesetzt (Art. 4 Abs. 1 AHVG).

Bei Angestellten (Unselbständigerwerbenden; Art. 5 Abs. 2 AHVG) gilt als massgebender Lohn jedes Entgelt für in unselbständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit. Der massgebende Lohn umfasst auch Teuerungs- und andere Lohnzulagen, Provisionen, Gratifikationen, Naturalleistungen, Ferien- und Feiertagsentschädigungen und ähnliche Bezüge, ferner Trinkgelder, soweit diese einen wesentlichen Bestandteil des Arbeitsentgelts darstellen. Der Bundesrat kann Sozialleistungen sowie anlässlich besonderer Ereignisse erfolgende Zuwendungen eines Arbeitgebenden an seine Arbeitnehmenden vom Einbezug in den massgebenden Lohn ausnehmen (Art. 5 Abs. 4 AHVG). Für mitarbeitende Familienglieder gilt als massgebender Lohn nur der Barlohn (Art. 5 Abs. 3 AHVG).

Das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit wird ermittelt, indem vom erzielten rohen  Einkommen abgezogen werden:
a. die zur Erzielung des rohen Einkommens erforderlichen Gewinnungskosten;
b. die der Entwertung entsprechenden, geschäftsmässig begründeten Abschreibungen und Rückstellungen geschäftlicher Betriebe;
c. die eingetretenen und verbuchten Geschäftsverluste;
d. die vom Geschäftsinhaber in der Berechnungsperiode vorgenommenen Zuwendungen an Vorsorgeeinrichtungen zugunsten des eigenen Personals, sofern jede zweckwidrige Verwendung ausgeschlossen ist sowie Zuwendungen für ausschliesslich gemeinnützige Zwecke;
e. die persönlichen Einlagen in Einrichtungen der beruflichen Vorsorge, soweit sie dem üblichen Arbeitgeberanteil entsprechen;
f. der Zins des im Betrieb eingesetzten eigenen Kapitals; der Zinssatz entspricht der jährlichen Durchschnittsrendite der Anleihen der nicht öffentlichen inländischen Schuldner in Schweizer Franken.

Der Bundesrat ist befugt, nötigenfalls weitere Abzüge vom rohen Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit zuzulassen (Art. 9 Abs. 2 AHVG).

Nichterwerbstätige bezahlen einen Beitrag nach ihren sozialen Verhältnissen (Art. 10 Abs. 1 AHVG).

IV/EO/MSE/VSE

Für die Beitragsbemessung der IV gilt sinngemäss das AHVG (Art. 3 Abs. 1 IVG), ebenso für die Versicherungen der EO (Art. 27 Abs. 1 und Abs. 2 EOG).

BVG

Damit eine Unterstellung unter die obligatorische berufliche Vorsorge erfolgt, muss der Lohn den Mindestbetrag übersteigen (Art. 7 Abs. 1 BVG). Zu versichern ist der Teil des Jahreslohns von 25 725 bis und mit 88 200 Franken. Dieser Teil wird koordinierter Lohn genannt (Art. 8 Abs. 1 BVG). Beträgt der koordinierte Lohn (Zahlen 2023) weniger als 3675 Franken im Jahr, so muss er auf diesen Betrag aufgerundet werden (Art. 8 Abs. 2 BVG).

Die Vorsorgeeinrichtung legt die Höhe der Beiträge des Arbeitgebenden und der Arbeitnehmenden in den reglementarischen Bestimmungen fest. Der Beitrag des Arbeitgebenden muss mindestens gleich hoch sein wie die gesamten Beiträge aller seiner Arbeitnehmenden. Ein höherer Anteil des Arbeitgebenden kann nur mit dessen Einverständnis festgelegt werden (Art. 66 Abs. 1 BVG).

UVG

Die Prämien für die obligatorische Versicherung für Berufsunfälle und Berufskrankheiten trägt der Arbeitgebende. Die Prämien für die obligatorische Versicherung der Nichtberufsunfälle gehen zu Lasten des Arbeitnehmenden. Abweichende Abreden zugunsten des Arbeitnehmenden bleiben vorbehalten (Art. 91 Abs. 1 und Abs. 2 UVG). Prämien werden von den Versicherern in Promille des versicherten Verdiensts festgesetzt (Art. 92 Abs. 2 UVG).

ALV

Die Beiträge an die Versicherung sind je Arbeitsverhältnis vom massgebenden Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung zu entrichten (Art. 3 Abs. 1 AVIG). Es gilt der Höchstbetrag des versicherten Verdiensts der obligatorischen Unfallversicherung (Art. 3 Abs. 2 AVIG).

Leistungsberechnung

AHV

Die Höhe der Renten richtet sich nicht nach der Höhe eines versicherten Verdiensts. Für die Rentenberechnung werden Beitragsjahre, Erwerbseinkommen sowie Erziehungs- oder Betreuungsgutschriften der rentenberechtigten Person zwischen dem 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahrs und dem 31. Dezember vor Eintritt des Versicherungsfalls (Rentenalter oder Tod) berücksichtigt. Der Bundesrat regelt die Anrechnung der Beitragsmonate im Jahr der Entstehung des Rentenanspruchs, der Beitragszeiten vor dem 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahres sowie der Zusatzjahre (Art. 29bis AHVG). Die Beitragsdauer ist vollständig, wenn eine Person gleich viele Beitragsjahre aufweist wie ihr Jahrgang (Art. 29ter Abs. 1 AHVG).

Die Rente wird nach Massgabe des durchschnittlichen Jahreseinkommens berechnet. Dieses setzt sich zusammen aus:

a. den Erwerbseinkommen;
b. den Erziehungsgutschriften;
c. den Betreuungsgutschriften (Art. 29quater AHVG).

Die Summe der Erwerbseinkommen wird entsprechend dem Rentenindex gemäss Artikel 33ter aufgewertet (Art. 30 Abs. 1 AHVG).
Die monatliche Altersrente setzt sich zusammen aus (Rentenformel):
a. einem Bruchteil des Mindestbetrags der Altersrente (fester Rententeil);
b. einem Bruchteil des massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens (variabler Rententeil; Art. 34 Abs. 1 AHVG).

Die Teilrente entspricht einem Bruchteil der ermittelten Vollrente (Art. 38 Abs. 1 AHVG).

IV

Bei der IV ist zu unterscheiden, ob ein Taggeld oder eine Rente ausgerichtet wird. Das Taggeld besteht aus einer Grundentschädigung, auf die alle Versicherten Anspruch haben, und einem Kindergeld für Versicherte mit Kindern (Art. 22 Abs. 2 IVG).

Die Grundentschädigung beträgt 80% des letzten ohne gesundheitliche Einschränkung erzielten Erwerbseinkommens, jedoch nicht mehr als 80 % des Höchstbetrages des Taggelds nach Art. 24 Art. 1 IVG (Art. 23 Abs. 1 IVG). Der Höchstbetrag des Taggelds entspricht dem Höchstbetrag des versicherten Tagesverdiensts gemäss UVG (Art. 24 Abs. 1 IVG).

Die Invalidenrenten entsprechen den Altersrenten der Alters- und Hinterlassenenversicherung (Art. 37 Abs. 1 IVG). Sie werden nach den gleichen Vorgaben berechnet.

EO

Grundlage für die Ermittlung des durchschnittlichen vordienstlichen  Erwerbseinkommens bildet das Einkommen, von dem die Beiträge nach dem AHVG erhoben werden. Der Bundesrat erlässt Vorschriften über die Bemessung der Entschädigung und lässt durch das BSV verbindliche Tabellen mit aufgerundeten Beträgen aufstellen (Art. 11 Abs. 1 EOG). Es gelten ein Mindest- und ein Höchstbetrag (Art. 16 EOG und Art. 16a EOG).

MSE/VSE

Das Taggeld beträgt 80% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor Beginn des Entschädigungsanspruchs erzielt wurde. Für die Ermittlung dieses Einkommens ist Art. 11 Abs. 1 EOG sinngemäss anwendbar (Art. 16e Abs. 2 EOG).

Die Mutterschaftsentschädigung beträgt höchstens 220 Franken (Stand 2023) pro Tag (Art. 16f EOG). Bestand bis zum Anspruchsbeginn auf die Mutterschaftsentschädigung Anspruch auf ein Taggeld nach einem der folgenden Gesetze, so entspricht die Mutterschaftsentschädigung mindestens dem bisher bezogenen Taggeld der IV, KV, UV, MV oder ALV (Art. 16g Abs. 2 EOG).

Für den Höchstbetrag der Vaterschaftsentschädigung gilt Artikel 16f sinngemäss (Art. 16l Abs. 3 EOG). Das Gleiche gilt für die Besitzstandswahrung (bezogene Taggelder der IV, KV, UV, MV, ALV; Art. 16m Abs. 2 EOG).

BVG

Die Höhe des versicherten Verdiensts spielt bei der Berechnung der jährlichen Altersgutschriften eine Rolle.

Die Altersrente wird in Prozenten des Altersguthabens (Umwandlungssatz)
berechnet, das der Versicherte bei Erreichen des Rentenalters erworben hat. Der Mindestumwandlungssatz beträgt 6.8 % für das ordentliche Rentenalter 65 von Frau und Mann (Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 BVG). Das Altersguthaben besteht aus den Altersgutschriften samt Zinsen für die Zeit, während der der Versicherte der Vorsorgeeinrichtung angehört hat, oder längstens bis zum Erreichen des ordentlichen Rentenalters (Art. 15 Abs. 1 Bst. a BVG).

UVG

Die Taggelder und Renten werden nach dem versicherten Verdienst bemessen. Als versicherter Verdienst gilt für die Bemessung der Taggelder der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn, für die Bemessung der Renten der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn (Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 UVG). Als versicherter Verdienst gilt (für die Taggelder und die Renten) der nach der Bundesgesetzgebung über die AHV massgebende Lohn mit den folgenden Abweichungen (Art. 22 Abs. 2 UVV):

a. Löhne, auf denen wegen des Alters des Versicherten keine Beiträge der AHV erhoben werden, gelten ebenfalls als versicherter Verdienst;
b. Familienzulagen, die als Kinder-, Ausbildungs- oder Haushaltszulagen im orts- oder branchenüblichen Rahmen gewährt werden, gelten ebenfalls als versicherter Verdienst;
c. für mitarbeitende Familienglieder, Gesellschafter, Aktionäre und Genossenschafter wird mindestens der berufs- und ortsübliche Lohn berücksichtigt;
d. Entschädigungen bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses, bei Betriebsschliessung, Betriebszusammenlegung oder bei ähnlichen Gelegenheiten werden nicht berücksichtigt.

ALV - Arbeitslosenentschädigung

Als versicherter Verdienst gilt der im Sinne der AHV-Gesetzgebung massgebende Lohn, der während eines Bemessungszeitraumes aus einem oder mehreren Arbeitsverhältnissen normalerweise erzielt wurde; eingeschlossen sind die vertraglich vereinbarten regelmässigen Zulagen, soweit sie nicht Entschädigung für arbeitsbedingte Inkonvenienzen darstellen. Der Höchstbetrag des versicherten Verdiensts (Art. 18 ATSG) entspricht demjenigen der obligatorischen Unfallversicherung. Der Verdienst gilt nicht als versichert, wenn er eine Mindestgrenze nicht erreicht (Art. 23 Abs. 1 AVIG).

Der versicherte Verdienst bemisst sich nach dem Durchschnittslohn der letzten sechs Beitragsmonate (Art. 11 AVIV) vor Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug. Er bemisst sich nach dem Durchschnittslohn der letzten zwölf Beitragsmonate vor Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug, wenn dieser Durchschnittslohn höher ist als derjenige nach Absatz 1 (Art. 37 Abs. 1 und Abs. 2 AVIV).

Für Versicherte, die im Anschluss an eine Berufslehre Arbeitslosenentschädigung beziehen sowie für Personen, die von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sind, setzt der Bundesrat Pauschalansätze als versicherten Verdienst fest. Er berücksichtigt dabei insbesondere das Alter, den Ausbildungsstand sowie die Umstände, die zur Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit geführt haben (Art. 14 AVIG). Haben Personen, die von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sind, innerhalb der Rahmenfrist für die Beitragszeit während mindestens zwölf Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt, so bestimmt sich der versicherte Verdienst aufgrund des erzielten Lohns und des um den Beschäftigungsgrad gekürzten Pauschalansatzes (Art. 23 Abs. 2 und Abs. 2bis AVIG).

Fazit und Ausblick

Nach diesen Ausführungen ist eindeutig, dass Anna Gut Recht hat. Einfacher gestaltet sich aber die Lösung in den einzelnen Sozialversicherungen und den Sozialversicherungen im Ganzen leider nicht. Einzig bei der Beitragsberechnung stützen sich die IV, die EO und (weitgehend) die ALV auf die Vorgaben der AHV ab.

Eine Aussicht, dass sich diese Vielfalt an Inhalten für die Berechnung des versicherten Verdienstes etwas ändert, ist unwahrscheinlich. Ganz zu schweigen von den unterschiedlichen Definitionen eines Taggelds (siehe Artikel «Taggelder der verschiedenen Sozialversicherungen» in Penso 03/22).

Take Aways

  • Der versicherte Verdienst beeinflusst sowohl die Beitragshöhe als auch die Höhe von Taggeldern und Renten.
  • Basis für die Ermittlung des versicherten Verdiensts sind in der 1. Säule die Vorgaben des AHV-Gesetzes.
  • UVG wie auch ALV kennen eine Obergrenze für den versicherten Verdienst. Im BVG ist der koordinierte Lohn massgebend.

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