«Wir wurden diverser»

Donnerstag, 30. November 2023 - Gregor Gubser
Mitarbeitende mit gesundheitlichen Einschränkungen im Unternehmen zu integrieren ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Ein KMU profitiert aber auch von einem ­entsprechenden Engagement, findet Andreas Schulthess von der Bachofner Kanalreinigungen AG.

Zur Person

Andreas Schulthess ist gelernter ­Sanitärmonteur EFZ sowie eidg. dipl. Geschäftsführer. Im Jahr 2018 hat er die Bachofner Kanalreinigungen AG übernommen und ist somit nun Inhaber und Geschäftsführer der Bachofner Kanalreinigungen AG in Fehraltorf.

Die Bachofner Kanalreinigungen AG und der This-Priis

Die 1923 gegründete Bachofner Kanalreinigungen AG in Fehraltorf entstopft, reinigt und kontrolliert Abläufe und Rohrleitungen. Diese Aufgaben erfüllt ein 25 köpfiges Team, das sich aus 6 Festangestellten und 1 Freelancer im Büro und 19 Mitarbeitenden im harten Einsatz draussen zusammensetzt.

Im Jahr 2023 wurde das Unternehmen von der SVA Zürich mit dem This-Priis ausgezeichnet, der Zürcher Arbeit­gebende und ihr Integrations-Engagement sichtbar macht.

Können Sie mir ein Beispiel einer Eingliederung nennen, die die Bachofner Kanalreinigungen AG ermöglicht hat?

Andreas Schulthess: Aktuell haben wir fünf Mitarbeitende, die eine besondere Vorgeschichte haben, aber ich berichte gern vom ersten Mitarbeiter, den wir eingliedern konnten. Ich bekam im Jahr 2017 einen Anruf von der Startrampe Wetzikon, einer Organisation, die sich mit Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt beschäftigt. Sie suchten einen Arbeitsplatz für einen jungen Mann, der ein schweres Burnout hatte und sich komplett aus dem Arbeitsmarkt verabschiedet hatte.

Mussten Sie zur Zusammenarbeit mit der IV überzeugt werden?

Das war mein erster Kontakt mit dem Thema Eingliederung. Bis dahin war mir nicht bewusst, dass ein Bedürfnis nach Arbeitsplätzen zur Wiedereingliederung besteht. Die Startrampe musste aber keine Überzeugungsarbeit leisten; es war vielmehr eine Aufklärung. Am Telefon wurde mir erklärt, was die Startrampe macht und dass letztlich die IV dahintersteht, um was für Menschen es geht und dass man ihnen helfen kann. Da war für mich schnell klar, dass wir unseren Teil beitragen wollen.

Wie ging es weiter?

Ich konnte mir die Bewerbungsunterlagen anschauen und rasch haben wir uns bei der Startrampe für ein persönliches Gespräch getroffen. Ich versuchte zu verstehen, wo das Problem des Manns lag und warum er in dieser Situation gelandet war. Es war ein sehr offener Austausch. Mit der Startrampe habe ich dann das Administrative geklärt. Ziel war ein sechsmonatiger Arbeitsversuch in einem Teilzeitpensum, das in kleinen monatlichen Schritten von 40 auf 80 bis 100% gesteigert werden und idealerweise zu einer Festanstellung führen sollte. Nach einem Probetag, während dem beide Seiten ein gutes Gefühl gewonnen hatten, ging es los mit dem Arbeitsversuch. Rasch wurde klar, dass es gut läuft und aus dem Arbeitsversuch eine Festanstellung werden würde. Ihm hat es bei uns gut gefallen und wir wollten ihn behalten. Der Mitarbeiter arbeitet noch heute bei uns.

Was war entscheidend für den Erfolg der Eingliederung?

Am wichtigsten für den Eingliederungserfolg ist, dass der Arbeitnehmende motiviert ist und wieder arbeiten will. Wenn das Gegenüber nicht aus seiner Situation hinaus will, dann kann es nicht funktionieren. Das ist das Fundament. Zweitens ist es wichtig, das Vertrauen der betroffenen Person zu gewinnen. Dazu muss man zusammen die Ziele und den Weg dorthin definieren und sich auch mögliche Grenzen und Probleme bewusst machen. Auch wichtig ist, auf die Kandidaten einzugehen und Rücksicht zu nehmen. Es heisst, nicht nur einen Arbeitsplatz schaffen, sondern die Person zu begleiten – auch mit Unterstützung von IV, Coaches und Medizinern. Offene Kommunikation im Betrieb, starker Wille und Flexibilität sind ebenso Erfolgsfaktoren.

Was waren die grössten Schwierigkeiten?

Anfangs bestand eine gewisse Unsicherheit, man wusste nicht, wo es enden würde. Das Schwierige ist zum Beispiel nicht die schrittweise Erhöhung des Pensums. Die Frage ist mehr, wie viele Aufgaben, wie viel Verantwortung und Stress dem Mitarbeitenden zugemutet werden können. Den Weg dorthin zu finden und ihn wieder belastbar zu machen, ist die eigentliche Aufgabe. Es läuft nicht immer alles einfach und gut. Es gibt immer mal wieder Schwierigkeiten – die es aber auch mit anderen Mitarbeitenden geben kann.

Haben finanzielle Anreize einen Einfluss auf die Bereitschaft, bei der Eingliederung Hand zu bieten?

Während des Arbeitsversuchs von maximal sechs Monaten wird der Lohn vollständig von der IV bezahlt. Diese Starthilfe ist für ein KMU unserer Grösse absolut wichtig, denn sie mindert das Risiko. So fällt es etwas leichter, sich auf dieses Engagement einzulassen. Denn vieles ist ungewiss: Manche sind schneller wieder im Sattel, andere haben mehr Herausforderungen zu meistern. Ich finde es gut und wichtig, dass die IV die eingliedernden Arbeitgeber finanziell unterstützt.

Wie haben die anderen Mitarbeitenden reagiert?

Eine Wiedereingliederung ist keine One-Man-Show. Es braucht das ganze Team, das den Entscheid mitträgt. Dazu muss man die Karten offen auf den Tisch legen, mögliche Probleme ansprechen und Lösungswege skizzieren. Das Team war zu Beginn eher zurückhaltend – weder negativ noch euphorisch. Sie wussten noch nicht so recht, was auf sie zukommen wird. Sie stellten sich Fragen wie: «Kann der das?», «Erträgt er das?» oder «Gibt das zusätzliche Arbeit oder Hilfe?». Sobald der neue Mitarbeitende hier war, waren die Zweifel schnell vergessen. Nach zwei Wochen war er einer von uns und hat einfach dazugehört. Seither sind alle Mitarbeitenden sehr offen und freuen sich, dass sich die Firma in der Wiedereingliederung engagiert. Die Firmenkultur wurde Neuem gegenüber offener und toleranter. Wir wurden diverser. Als wir den This-Priis gewonnen haben, ist allen bewusst geworden, was wir gemacht hatten. Die Mitarbeitenden sind stolz, dass wir uns für solche Projekte engagieren.

Wie geht es der eingegliederten Person heute?

Der Mitarbeiter ist voll integriert und hat letztes Jahr eine Weiterbildung an der Handelsschule gemacht. Heute arbeitet er nicht mehr im angestammten Beruf, sondern im Büro. Er wertet dort Aufnahmen von Leitungsprüfungen aus und ist auch für Mitarbeitende verantwortlich. Ursprünglich arbeitete er im Gartenbau, danach bei einem anderen Kanalreinigungsbetrieb, wo er sich bis zum Kanal-TV-Operateur hochgearbeitet hatte. Dann wurde er krank. Bei uns fing er dann als Beimann an und unterstützte andere Teams mit einfachen Aufgaben. Er wäre gern draussen geblieben, hatte allerdings einen schweren Bandscheibenvorfall, fiel wieder komplett aus und musste zweimal operiert werden. Es war aber klar, dass wir aneinander festhalten. Da haben wir für ihn eine Teilzeitstelle, die wegen einer Pensionierung ohnehin neu zu besetzen war, mit Aufgaben angereichert, die bisher die einzelnen Teams erledigt hatten. Er fühlt sich wohl und macht es gerne. Er konnte trotz harzigem Start eine tolle Karriere machen.

Werden Sie weiterhin Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen eingliedern?

Das war unser erster Fall, da mussten wir viel lernen, man sieht nicht alles kommen. Aber in den späteren Fällen konnten wir von diesen Erfahrungen profitieren. Daher ja, absolut! Nach dieser ersten erfolgreichen Wiedereingliederung haben wir neue Anfragen bekommen. Wir waren sporadisch im Austausch mit Startrampe und IV-Stelle und haben auch wieder Mitarbeitende für Arbeitsversuche angenommen. Manche konnten wir eingliedern, andere nicht. Da bleiben wir dran. Gleichzeitig mit der Publikation einer Stelle fragen wir nun auch bei der IV-Stelle und Startrampe an. Wir warten also nicht mehr, bis sie zu uns kommen, sondern gehen proaktiv auf sie zu.

Würden Sie anderen KMU Wiedereingliederungen empfehlen?

Unserem Unternehmen hat es, neben dem Gewinn einer Arbeitskraft, viel Positives gebracht. Die Kultur wurde offener und diverser, wir sind näher zusammengerückt. Ich würde das jedem Unternehmen empfehlen, wobei jeder herausfinden muss, in welchem Ausmass das möglich ist. Manche brauchen mehr Betreuung, andere etwas weniger. Hier ein Gleichgewicht zu finden, ist wichtig. Gerade in den Startmonaten kann es intensiv sein. Dabei gilt es zu verhindern, die langjährigen Mitarbeitenden zu überlasten.

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