Herr Dr. Schlott, Sie coachen Sportler zum Thema Schlaf. Was hat Schlaf mit Sport zu tun?
Schlaf spielt eine grosse Rolle bei der Leistungsoptimierung. Für den Sport gibt es Studien, die zeigen, dass sich durch mehr Schlaf z.B. bei Basketballern die Sprintfähigkeit und die Drei-Punkte-Würfe verbessern und die Verletzungshäufigkeit reduzieren lässt, die Zahl der Strafzeiten abnimmt und im Tennis die Genauigkeit des Aufschlags verbessert wird. Das lässt sich auf die Arbeitswelt übertragen: Schlaf verbessert Qualitäten wie Motivation, Konzentration, Fokussierung, Reaktionsvermögen oder Präzision.
Kann man guten Schlaf noch optimieren?
Man kann mit Verhaltensänderungen – beispielsweise bei der Frage, ob man abends noch Kaffee oder Alkohol trinkt – den Schlaf günstig beeinflussen. So spielt auch die Mediennutzung eine wichtige Rolle. Smartphones, Notebooks und manche E-Reader setzen Licht im blauwelligen Bereich frei, das die Melatoninbildung beeinträchtigt. Melatonin ist ein wichtiges Einschlafhormon. Deshalb sollte man abends diese Geräte irgendwann ausschalten. Blaulicht ist jedoch nicht die einzige Einschlafbremse. Surfen im Internet und Social-Media-Nutzung aktivieren das Gehirn: Wir suchen nach immer neuen Informationen, bekommen neue Nachrichten, ärgern uns vielleicht über eine E-Mail, bekommen auf einen Post nicht die gewünschte Rückmeldung usw. Das Gehirn kommt so nicht zur Ruhe.
Menschen, die für ihre Bewegungsaktivitäten Tracker nutzen, versuchen damit oft auch die Qualität ihres Schlafs zu messen. Ist das seriös möglich?
Ja, manche Klienten wollen es ganz genau wissen und setzen solche Trackingsysteme ein. Diese können Hinweise über die Schlafqualität liefern. Solche Systeme liefern aber nur indirekte Informationen, mit denen dann die Schlafqualität interpretiert wird. So schliesst man beispielsweise von Herzfrequenz und -ratenvariabilität oder Veränderungen der Körpertemperatur auf bestimmte Schlafphasen, also etwa auf zu lange Einschlafzeiten, zu wenig Tiefschlaf usw. Diese Werte müssen zusammen mit weitergehenden Informationen darüber ausgewertet werden, welche Verhaltensweisen im Tagesverlauf möglicherweise den Schlaf beeinflusst haben. Daraus kann man dann Verbesserungen ableiten. Daten aus Trackingsystemen liefern Menschen häufig den nötigen Schwarz-auf-Weiss-Beleg, dass etwas mit dem Schlaf nicht gut ist.
Gibt es bestimmte Gruppen von Menschen, bei denen ein Schlafcoaching schwierig ist?
Nein, eigentlich nicht. Ursachen für schlechten Schlaf können vielfältig sein. Sofern diese keine physischen Ursachen haben, arbeite ich mit meinen Klienten im Coaching an Verhaltensänderungen. Es gibt zwar gemeinhin die Typisierung für Nachtmenschen als Eulen und für Morgenmenschen als Lerchen. Diese betrifft aber nur wenige Menschen ausgeprägt; im Allgemeinen kann man sein Verhalten ändern.
Manchen Menschen widerstreben Veränderungen ihrer Gewohnheiten aber prinzipiell. Oder sie verteidigen auch ihre weniger schlaffördernden Gewohnheiten wie beispielsweise Alkohol spätabends, weil sie diese mögen. Manchmal spielen auch schlafverhindernde Stressantreiber eine Rolle, die einem nicht bewusst sind, weil man sie seit der Kindheit erlernt hat. Die Auseinandersetzung mit tieferliegenden Ursachen, die Gewohnheitsänderungen verhindern, erfordert manchmal auch eine Therapie.
Welche Fragen sollte man sich stellen, wenn man den eigenen Energiestatus reflektiert?
- Brauche ich morgens einen Wecker?
- Drücke ich gerne ein paar Mal die Snooze-Taste?– Brauche ich morgens viel Kaffee, bevor ich ansprechbar bin?
- Ist Schlaf wirklich meine Priorität?
- Was mache ich für meinen Schlaf?
- Wie kann ich so schlafen, dass ich morgens ausge-schlafen bin?
- Bin ich vielleicht tatsächlich eher eine Eule? Muss ich dann vielleicht die Arbeitszeiten ändern?
- Kann ich mein Schlafzimmer oder mein Bett optimieren?
Wie übersteht man am besten lange, intensive Arbeitstage, wenn hohe Leistungen gefordert sind?
Lange und intensive Arbeitstage, ist das nicht ein Widerspruch in sich? Unser Gehirn kann nur einige Stunden wirklich intensiv und fokussiert arbeiten, den Rest der Zeit beschäftigen wir uns. Und in unserer Gesellschaft wird Anwesenheit immer noch mit guter Arbeit gleichgesetzt. Meine Erfahrung ist, dass Menschen hohe Leistungen erbringen, wenn sie wirklich motiviert sind, eine hohe Identifikation mit der Firma und der Aufgabe haben, die Arbeit sinnstiftend, das Energielevel hoch und das Arbeitsklima gut ist oder wenn gemeinsam gelacht wird. Gute Ernährung – ich meine nicht das traditionelle Kantinenessen – ist ein Energiespender, ebenso Bewegung, am besten draussen, denn Sonnenlicht setzt Serotonin frei, einen Botenstoff im Gehirn, der sich günstig auf Wohlbefinden und Schlaf auswirkt.
Am besten sollte man bereits ausgeschlafen zur Arbeit gehen. Dafür muss Schlaf eine Priorität werden und das heisst, dass man eventuell auch früher ins Bett gehen und auf eine entsprechende Schlafhygiene achten muss. Ein kurzer Mittagsschlaf, am besten ausgestreckt auf Sofa oder Yogamatte, sonst Bürostuhl – ich hatte auch schon Klienten, die sich auf einer Toilette eingeschlossen haben –, hebt die Arbeitsleistung am Nachmittag. Dazu empfehle ich viel Wasser, wenig Kohlenhydrate oder Zucker und aktivierende Atmungsübungen. Eine Ruhezeit auf der Yogamatte gefolgt von einigen Streckübungen tut auch dem Rücken und der übrigen Muskulatur gut. Viele Menschen sabotieren sich mit Kaffee. Dieser belebt zwar, aber die Lust auf einen Kaffee zeigt eigentlich nur, dass der Körper Erholung braucht. Der Kaffeekonsum ändert nichts am Schlafbedürfnis.
Haben Sie Empfehlungen für Unternehmen, um ihre Mitarbeitenden für das Thema Schlaf und Leistung zu sensibilisieren?
Sicher. Beispielsweise führe ich in Impulsvorträgen Menschen mit einfachen Geschichten und Beispielen an das Thema heran, um das Interesse zu wecken. Interessanterweise gibt es diesbezüglich auch Studien, die zeigen, dass unausgeschlafene Führungskräfte schlechtere Führungskräfte sind. Sie reagieren unberechenbarer und ungerechter, und es lässt sich zeigen, dass Mitarbeitende schlecht schlafender Führungskräfte auch schlechter schlafen. Führungskräfte sind Vorbilder. Daher ist Schlaf Chefsache.
Rückzugsräume am Arbeitsplatz sind natürlich wünschenswert. Stehen diese nicht zur Verfügung, sollte man zumindest versuchen, nach draussen zu gehen. Vorbildhafte Unternehmen haben die Themen Achtsamkeit, Entspannung und Bewegung in ihre Unternehmenskultur integriert.
Was sind Ihre Tipps für kurze Auszeiten im Alltag?
Ich empfehle immer, einfach einmal zehn Sekunden zu lächeln. Dabei spürt man bereits eine innere Veränderung. Bewusst zu atmen und dabei die Hand auf den Bauch zu legen, ist auch ganz einfach, und man verschafft sich damit für einen kurzen Moment eine mentale Auszeit. Und natürlich empfehle ich immer mal wieder einen kleinen Spaziergang.