Chancen, Kompetenzen und gesellschaftliche Verantwortung

Donnerstag, 04. Dezember 2025 - Gregor Gubser
Der Luzerner Kongress Gesellschaftspolitik 2025 widmete sich der Arbeitsmarktfähigkeit von Menschen und Organisationen im Jahr 2040. Diese dürfte stärker denn je durch technologische Innovationen und gesellschaftliche Veränderungen geprägt sein.

Noch sei die Arbeitslosenquote in der Schweiz mit 2.8% im Oktober 2025 tief, sagte Dorothee Guggisberg, Direktorin des Departements Soziale Arbeit der Hochschule Luzern (HSLU), in ihrer Begrüssung zum 13. Luzerner Kongress Gesellschaftspolitik, der sich dem Thema «Arbeitsmarktfähigkeit 2040» widmete. Doch was zeigt sich, wenn man für eine Prognose hinter die aktuellen Arbeitslosenzahlen blickt? Wie werden sich die Qualität der Arbeit und die Berufsbilder in den nächsten 15 Jahren verändern? Und wie entwickeln sich die Fallzahlen der stetig steigenden psychischen Belastung? Auf diese Zukunftsfragen versuchten die geladenen Expertinnen und Experten aus Forschung und Praxis gemeinsam Antworten zu finden.

Arbeitsmarkt im Wandel – Fakten statt gefühlter Dynamik

Der Gründer des Thinktanks W.I.R.E., Stephan Sigrist, betonte in seinem Beitrag, dass der Wandel oft als schneller wahrgenommen werde, als er tatsächlich ist. Allen voran KI, aber auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen fordern von den Menschen und Unternehmen eine schnelle Anpassung an neue Rahmenbedingungen. Mehr Fakten, Transparenz und Wissen sollen als Grundlage für bessere Entscheidungen dienen. Das Problem daran: Trends entwickeln sich schnell und es ist anspruchsvoll, allen Entwicklungen ständig gerecht zu werden und mit ihnen Schritt zu halten. Stattdessen lohne es, sich mit etwas Distanz ein Gesamtbild zu verschaffen, um den Überblick zu behalten. Dabei gelte es, sich zu fragen, was die zentralen Bedürfnisse des Menschen sind. Denn letztlich setzten sich Veränderungen und technologische Entwicklungen nur durch, wenn sie für Menschen und Gesellschaft Nutzen stiften. Veränderung und Herausforderungen sollten insofern als Chance verstanden werden.

Dazu könnte der Einsatz von KI gehören, deren Nutzung sich laut Sigrist stark verändert hat. Wurde sie 2024 noch primär genutzt, um Ideen zu generieren, diene sie heute mehrheitlich zur persönlichen Beratung bezüglich Lebensorganisation oder Sinnfindung bis zur Therapiebegleitung. Es liege an uns Menschen zu entscheiden, in welchen Bereichen wir KI einsetzen wollen.

Kompetenzen statt Lebenslauf

Martina Mathis, HSLU-Masterabsolventin People Management and Organisation, stellte in ihrem Referat die Frage in den Raum, was ein Lebenslauf über einen Menschen eigentlich aussagt. Anhand ihres eigenen Curriculum Vitae illustrierte sie, dass zu einem CV auch Brüche und unkonventionelle Wendungen gehören können. Aktuelle und vielleicht auch neue noch stärker von KI beeinflusste Recruiting-Prozesse würden solche nichtlineare CV allerdings zu Ungunsten der Bewerbenden bewerten und Skills wie Lernfähigkeit, Neugier, Anpassungsfähigkeit oder Werteorientierung nicht gebührend zu würdigen.

Der Luzerner Kongress Gesellschaftspolitik

Der Luzerner Kongress Gesellschaftspolitik befasst sich mit aktuellen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen, die eine hohe gesellschaftspolitische Relevanz für die Schweiz haben. Trägerorganisationen des Kongresses sind die Hochschule Luzern, das Luzerner Forum für Sozialversicherungen und Soziale Sicherheit und die Universität Luzern.

In dieselbe Kerbe schlug Silvan Winkler, Leiter Diagnostik, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Jörg Lienert AG. Er stellte die Frage, welche Skills die Wirtschaft in Zukunft braucht. Eine mögliche Antwort gibt die WEF-Studie Future of Jobs. Demnach sind im Jahr 2030 neben einem technologischen Grundverständnis und Kompetenzen in KI & Big Data, aber auch ur-menschliche Fähigkeiten gefragt, die auch heute schon wichtig sind: vernetztes Denken, Kreativität, Selbstwirksamkeit, Kooperations- und Führungsfähigkeiten.

Unternehmen auf der Suche nach Fachkräften rät Winkler deshalb Skills höher zu gewichten als die Lebensläufe, transparente Spielregeln im Recruiting-Prozess aufzustellen und lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Den Bewerbenden auf der anderen Seite empfiehlt er: CV doppelt schreiben (für Mensch und Maschine), eine klare, konkrete Beschreibung der Skills sowie die eigene Lernkompetenz in den Vordergrund stellen. KI soll als Werkzeug und nicht als Ghostwriter genutzt werden. Jede Jobsuche sollte zudem mit einer Reflexionsrunde starten: Was mache ich gern und was kann ich gut? Wo könnten diese Skills nützlich sein und gar noch Geld bringen?

Auch Sozialversicherungen sind gefordert

Den Auswirkungen eines sich verändernden Arbeitsmarkts auf die Sozialversicherungen und den damit verbundenen Herausforderungen für Arbeitgebende widmete sich Alain Rogger, Leiter WAS Wirtschaft Arbeit Soziales Kanton Luzern. Anhand aktueller Kennzahlen des Kantons Luzern wie Arbeitslosenquote (1.6%) oder Anzahl Stellensuchende (6300) zeichnete er ein zurzeit positives Bild. Eine grosse Herausforderung ist allerdings die Demografie: Langfristig rechnet er mit weniger Stellensuchenden und folglich weiterhin mit Fachkräftemangel. Dem müssten Durchführungsstellen wie die RAV, aber auch die Arbeitgebenden begegnen. Einerseits indem sie Strukturen anpassen und andererseits den Kontakt zu den Menschen suchen. Die Durchführungsstellen sollen unkomplizierter und schneller werden; die RAV etwa dank gezielter IT-Unterstützung mehr Zeit erhalten, sich mit den Stellensuchenden zu befassen. Der Pensionierungswelle sollen Unternehmen aktiv begegnen durch Flexibilität in der Anstellung oder dem Angebot von Bogenkarrieren. Letztlich sei auch die Politik gefordert, Anreize für längeres Arbeiten zu schaffen. Ein Schritt in diese Richtung könnte die Reform AHV2023 sein, die höhere Freigrenzen für Einkommen im Alter bringen und Rentenvorbezüge weniger attraktiv machen soll. Unbeantwortet bleibt für Rogger allerdings die Frage, wie künftig neue Arbeitsformen, Selbständigkeit oder Plattformarbeit bei der Beitragserhebung und im Umkehrschluss beim Leistungsanspruch bewertet werden.

Freude an der Arbeit

Im abschliessenden Podium fragte Hannes Blatter, Geschäftsführer des Luzerner Forum, die Referenten nach einem Tipp, wie es ihnen gelingt, arbeitsmarktfähig zu bleiben. Dabei waren sich die Befragten mehrheitlich einig und haben Stichworte zusammengetragen, die sich alle zu Herzen nehmen können:
Offen bleiben für Neues, kreativ werden und etwas mit den Händen erschaffen, Freude an der Arbeit bewahren, damit sich Lern- und Veränderungsbereitschaft wachhalten lässt, womit auch die wahrgenommene Sinnhaftigkeit im Beruf profitiert.

Take Aways

  • Der Wandel des Arbeitsmarkts wird oft als schneller wahrgenommen, als er tatsächlich ist.
  • Künstliche Intelligenz wird zunehmend als persönliches Beratungs- und Organisationswerkzeug genutzt. Wichtig ist, dass der Mensch entscheidet, in welchen Bereichen sie sinnvoll eingesetzt wird.
  • Nichtlineare Lebensläufe spiegeln wichtige Kompetenzen wie Lernfähigkeit und Anpassungsfähigkeit wider und sollten im Recruiting stärker berücksichtigt werden.
  • Zukünftig sind neben technologischen Fähigkeiten auch Kreativität, vernetztes Denken und Führungsqualitäten entscheidend für den Erfolg am Arbeitsmarkt.
  • Sozialversicherungen und Arbeitgeber müssen sich flexibel auf den Fachkräftemangel und neue Arbeitsformen einstellen und Anreize für längeres Arbeiten schaffen.

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