Wenn es um Geld geht, hört bekanntlich die Freundschaft auf, oft aber auch die Offenheit. Kaum ein Thema wird in Organisationen so ungern angesprochen wie Löhne. Dabei ist genau dieses Schweigen Teil des Problems, denn intransparente Vergütungssysteme fördern Misstrauen, zementieren Ungleichheit und zeugen von einem mangelnden Vertrauen in die eigene Kultur.
Das Argument, Lohntransparenz gefährde den Betriebsfrieden, erscheint auf den ersten Blick plausibel. In Wahrheit ist es jedoch meist ein Offenbarungseid. Denn wer befürchtet, dass Unruhe, Neid und Missgunst entstehen, wenn Gehälter offenliegen, hat oft selbst Zweifel, ob die Löhne wirklich fair, nachvollziehbar und anhand sachlicher Kriterien vergeben wurden.
Transparenz ist kein Risiko. Misstrauen ist es und kostet am Ende mehr als ein ehrliches, transparentes Lohnsystem. Lohntransparenz offenbart, wie stabil eine Organisation wirklich ist. Unternehmen, die auf Vertrauen, Fairness und Klarheit setzen, haben keine Angst vor Offenheit. Sie nutzen sie gezielt, um Gleichstellung zu fördern, Führungskräfte in die Pflicht zu nehmen und Mitarbeitenden zu zeigen, dass sie nichts zu verbergen haben.
Natürlich ist Lohntransparenz unbequem. Sie zwingt dazu, die eigene Vergütungspraxis zu hinterfragen. Warum verdient X mehr als Y? Warum hinkt die Lohnentwicklung bei bestimmten Gruppen hinterher? Und warum wissen viele Mitarbeitende gar nicht, nach welchen Kriterien ihr Lohn überhaupt festgelegt wurde? Diese Fragen zu stellen, ist der erste Schritt zu echter Fairness. Sie nicht zu stellen, ist der bequemere, aber gefährlichere Weg.
Denn Vertrauen entsteht nicht durch schöne Werte auf einer Website, sondern durch konsequente Praxis. Wenn wir Löhne transparent machen, signalisieren wir, dass wir den Mitarbeitenden zutrauen, mit Offenheit umzugehen. Wir führen nicht durch Geheimhaltung, sondern durch Begründbarkeit. Wir sind bereit, uns an unseren eigenen Prinzipien messen zu lassen.
In einer Arbeitswelt, die von Sinnsuche, Gleichstellung und Mitgestaltung geprägt ist, ist Lohntransparenz die logische Konsequenz. Sie zeigt, ob all die schönen Worte auch dann noch gelten, wenn es ans Eingemachte geht, nämlich an den Lohn. Zweitens zeigt sie, ob Vertrauen in der Organisation nur behauptet wird oder tatsächlich gelebt wird. Und drittens wird klar, dass Lohntransparenz kein HR-Trend ist, sondern ein Reifegradindikator. Wer sich davor fürchtet, muss sich fragen: Wie können wir unseren Mitarbeitenden die Gesundheit, vielleicht sogar das Leben unserer Kunden anvertrauen, ihnen aber nicht zutrauen, mit dem Wissen über das Lohnsystem vernünftig umzugehen?
Und hier noch ein konkreter Vorschlag für alle, die eigentlich wollen, aber noch zögern: Wie wäre es mit Lohnsystemtransparenz als einem ersten Schritt? Wer das System kennt, nach dem alle (wirklich alle) Löhne festgelegt werden, muss vielleicht gar keinen Einblick in die Lohnliste haben, um vertrauen zu können.