«Modernes HR fungiert als Lernarchitekt»

Mittwoch, 28. Mai 2025 - Simon Bühler
In lernenden Organisationen wachsen Corporate Learning, Skill- und Talent­management immer stärker zusammen. Wie dieser Prozess auch in KMU mit ­limitierten Ressourcen erfolgversprechend und messbar gelingen kann, erklärt HR-Generalistin Susanne Mosbacher anhand inspirierender Beispiele.

Susanne Mosbacher

Susanne Mosbacher blickt auf eine rund 30-jährige Karriere als HR-Fachfrau in ganz unterschiedlichen Rollen und Positionen in internationalen Konzernen, KMU und Start-ups zurück. Neben ihrer umfangreichen Erfahrung als HR-Generalistin verfügt sie über vertiefte Expertise auf dem Gebiet der Organisationsentwicklung, Beratung und Coaching. Mit ihrer Firma actively GmbH unterstützt sie seit 2007 Unternehmen in sämtlichen Phasen des People Life Cycles. Jüngst hat sie als Mitglied der «The Serious Player»-Community in Zürich das erste Schweizer Zentrum für die «LEGO Serious Play»-Methode miteröffnet.
actively.ch

Welche Bedeutung hat für Sie das Konzept der lernenden Organisation?

Für mich ist das Konzept der lernenden Organisation ein zentraler Erfolgsfaktor für nachhaltige Unternehmensentwicklung. Es geht dabei nicht nur um Wissensvermittlung, sondern auch um die Fähigkeit, kontinuierlich aus Erfahrungen zu lernen und sich flexibel an Veränderungen anzupassen. Eine lernende Organisation schafft in ihrem Lernökosystem auch Raum für Reflexion, Dialog und Innovation. Sie fördert Eigenverantwortung sowie bereichsübergreifendes Denken und Handeln. Für mich ist sie der Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit.

Inwiefern?

Eine lernende Organisation erkennt, dass Wissen nicht zentral gespeichert, sondern kollektiv erzeugt wird – durch Zusammenarbeit, Austausch und iterative Lernprozesse. Sie lebt eine Fehlerkultur, in der Irrtümer als Lernchancen genutzt und nicht sanktioniert werden – das schafft psychologische Sicherheit. Der kontinuierliche Lernprozess wird strategisch gesteuert und durch Strukturen unterstützt, die Lernzeit, Reflexionsräume und Zugänge zu Ressourcen ermöglichen. Es geht nicht nur um Weiterbildung, sondern auch um ein lernendes und also «neugieriges» Mindset in allen Bereichen der Organisation – vom Reinigungspersonal bis zum C-Level.

Wie stehen Sie zur These, dass in lernenden Organisationen das Corporate Learning, Skill- und Talentmanagement stärker zusammenwachsen sollten?

Ich halte die These für zutreffend: In lernenden Organisationen dürfen Lernen, Skill- und Talentmanagement nicht getrennt gedacht werden. Erst ihr Zusammenspiel schafft ein integriertes Lernökosystem, das individuelle Entwicklung und organisationale Zukunftsfähigkeit gleichermassen fördert. 

Viele Unternehmen gehen bereits erste Schritte – etwa durch datenbasierte Skill-Gap-Analysen, AI-gestützte Lernplattformen oder die Verknüpfung von Karrierepfaden mit gezielten Lerninhalten. Für ein wirksames Zusammenspiel braucht es zentrale Erfolgsfaktoren: die strategische Verankerung, transparente Skill-Daten, personalisierte Lernangebote, eine durch die Führung gelebte Lernkultur sowie die technologische Integration von Lern- und HR-Systemen.

Welche Rolle spielt die HR-Abteilung bei der Transformation hin zu einer lernenden Organisation, und wie kann HR diesen Wandel aktiv unterstützen?

Ich habe bei mehreren Schweizer KMU und Start-ups erlebt, wie durch gelebte Fehlerkultur die Innovationsfähigkeit von Unternehmen und die Mitarbeiterbindung deutlich gestärkt werden. HR spielt dabei eine Schlüsselrolle als Impulsgeberin, Gestalterin oder Moderatorin. Durch gezielte Entwicklungsmassnahmen sowie den Einsatz partizipativer und kreativer Methoden kann HR die Transformation aktiv mitgestalten. Wichtig ist, dass HR auch die Führungskräfte befähigt, als Lernvorbilder zu agieren.

Inwiefern können Führungskräfte als Vorbilder für ­lebenslanges Lernen agieren?

Führungskräfte prägen die Lernkultur entscheidend. Wer eigene Lernfelder offenlegt, neue Erfahrungen sucht und Feedback einholt, sendet ein starkes Signal ans Team. Lernen wird damit zur Führungsaufgabe. HR unterstützt durch gezielte Angebote. Neben dem Augenmerk auf das Thema Lernen in Performancegesprächen Zielvereinbarungen oder der Nachfolgeplanung, kann sich HR auch mit speziellen Formaten einbringen wie Brown Bag Lunches, Coachings, Peer-Learning oder Impulsformaten mit Expertinnen und inspirierenden Persönlichkeiten. Entscheidend ist, dass HR Lerngelegenheiten schafft – alltagsnah, inspirierend und auf Augenhöhe – und Führungskräfte befähigt, als glaubwürdige Lernvorbilder zu agieren.

Was bedeutet das konkret für die HR-Praxis?

HR muss den organisatorischen Rahmen schaffen, in dem Lernen nicht als Projekt, sondern als Teil der Unternehmenskultur gelebt wird – beispielsweise über «Learning Circles». Erfolgreiche Umsetzungen sehe ich oft dort, wo HR cross-funktionale Lernräume etabliert – etwa mit Barcamps oder unternehmensübergreifenden Lernkooperationen. HR ist nicht nur Unterstützer, sondern aktiver Teil des Lernprozesses – insbesondere durch das eigene Vorleben, regelmässige Reflexion und Weiterentwicklung der HR-Teams selbst. Ein modernes HR fungiert zunehmend als Lernarchitekt und orchestriert interne sowie externe Lernangebote entlang strategischer Unternehmensziele – insbesondere in der Führungsentwicklung.

Wie kann HR über eine Lernarchitektur echte Transformation herstellen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, bloss Buzzwords zu bedienen?

Echte Transformation zeigt sich daran, dass Lernprozesse systematisch im Alltag verankert sind – etwa durch regelmässige Retrospektiven, interdisziplinäre Austauschformate oder Feedbackschleifen. Wenn Lernen nur auf E-Learnings reduziert oder punktuell betrieben wird, fehlt meist die tiefere Verankerung. Die Haltung der Führungskräfte ist ebenfalls ein Gradmesser: Werden Lernimpulse gefördert oder lediglich toleriert? Substanz erkennt man an gelebtem Verhalten, nicht an Hochglanzbroschüren. Transformation ist sichtbar in der Sprache und den Ritualen des Alltags: Sprechen Teams offen über Fehler? Gibt es Rituale des Innehaltens, der Reflexion, des gemeinsamen Lernens, des neugierigen Austausches, des Experimentierens? Wird Weiterbildung als Budgetposten betrachtet oder als strategische Investition mit Priorität behandelt? Eine tiefe Lernkultur erkennt man daran, dass Lernen «bottom-up» genauso stark initiiert wird wie «top-down». Oder ganz konkret: Wenn Mitarbeitende gefragt werden, was sie zuletzt gelernt – oder verkackt – haben, sollte die Antwort leichtfallen – das ist der beste Lackmustest für gelebtes Lernen.

In der Praxis scheitern Lerninitiativen häufig an Zeitmangel, Budgetgrenzen oder fehlender Management-Unterstützung. Wie soll HR mit diesen Hürden umgehen?

Diese Hürden sind real, aber überwindbar. Entscheidend ist, Lernen nicht als Zusatzaufgabe, sondern als integralen Teil der Arbeit zu gestalten – etwa durch kurze Lernimpulse vor Meetings oder Reflexionen nach Projekten. HR sollte mit einer ehrlichen Standortbestimmung beginnen: Wo stehen wir wirklich, und wie steht es um unser Lernklima? Wie geübt sind wir im Lernen? Transparenz und Priorisierung helfen, trotz Ressourcenknappheit Wirkung zu erzielen und auch mit kleinen Formaten oder Ritualen zu starten. Microlearning, «Lessons Learned» oder Peer-Formate brauchen wenig Ressourcen, wirken aber nachhaltig. Wichtig sind Transparenz, ein realistisches Erwartungsmanagement und der Dialog mit dem Management, um Lernen als strategisches Investment zu verankern.

Welche Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Implementierung von Lernkulturen?

Eine der grössten Herausforderungen ist die Veränderung von Denk- und Handlungsmustern – sowohl bei Mitarbeitenden als auch bei Führungskräften. Lernkulturen erfordern Vertrauen, Offenheit und die Bereitschaft zur Selbstreflexion. Emotionale Hürden wie Leistungsdruck oder Angst vor Gesichtsverlust sind mögliche Blockaden, die ­aktiv adressiert werden müssen. Zentral ist das Schaffen von psychologischer Sicherheit: Nur wer sich sicher fühlt, traut sich, Fehler einzugestehen, um daraus zu lernen. Beteiligung ist ebenfalls entscheidend – Mitarbeitende sollten bei der Gestaltung von Lernformaten mitwirken können. Lernformate dürfen nicht als Alibiübung ausschliesslich für das Unternehmen konzipiert werden, da sie sonst ins Leere laufen und Frustration erzeugen. Weitere wirksame Ansätze sind das Teilen von Erfolgsgeschichten aus der Organisation und die gezielte Förderung von Lernbotschafterinnen und -botschaftern, die Lernformate aktiv mitgestalten und verbreiten. Führungskräfte müssen dabei nicht nur als Lernvorbilder agieren, sondern auch aktiv Lern- und Reflexionszeit ermöglichen. Insofern bewährt sich die Einführung von Lernzeitkontingenten – sichtbar, verbindlich und geschützt vor Alltagsdruck.

Wie lässt sich der Erfolg von Lerninitiativen und -programmen in Organisationen messen?

Der Erfolg lässt sich qualitativ und quantitativ erfassen. Neben klassischen KPIs wie Lern­erfolgstests sind Feedbacks, Praxistransfer und beobachtbare Verhaltensänderungen zentrale Indikatoren. Auch Pulsbefragungen, 360-Grad-Feedbacks und Retrospektiven geben wertvolle Hinweise. Langfristig zählt die Wirkung: Wie verändern sich Zusammenarbeit, Innovations­fähigkeit oder Mitarbeitendenbindung? Indirekte Indikatoren wie sinkende Fluktuation oder steigende interne Mobilität können ebenfalls Aufschluss geben. Entscheidend bleibt: Was verändert sich im Verhalten, in der Haltung und im Miteinander? Ein starker Indikator ist und bleibt eine gelebte Fehlerkultur – wie sie etwa in dynamischen Start-ups sichtbar wird, die bei «Fuck-up Nights» Fehler offen thematisieren und ihre gemachten Learnings feiern. Solche Formate machen Lernen sichtbar und stärken psychologische Sicherheit. Zukünftige KPIs sollten Lernkapazitäten messbar machen, z.B. durch «Anzahl geteilter Ideen», «Zeit für Reflexion» oder «Initiativen aus der Belegschaft». Lernen braucht Wirkung – und den Mut zur Ambivalenz: Es bedeutet nicht immer schneller, sondern manchmal auch bewusster und nachhaltiger.

Welche zukünftigen Trends sehen Sie im Bereich der lernenden Organisation, insbesondere in Bezug auf innovative Lernmethoden und Technologien?

Spielend zur lernenden Organisation

Am 1. April 2025 eröffnete im Zürcher Maag-Areal das erste Schweizer ­Zentrum für die markengeschützte «LEGO Serious Play»-Methode (LSP). Das Zentrum befindet sich im «Intrinsic Learning Lab», einem etablierten Forschungsort und Experimentierraum für neue Lernkulturen in Unternehmen, Schulen und der Gesellschaft. Das Zentrum versteht sich als einen Ort der ­Begegnung, des Lernens und der Transformation sowie als Treffpunkt für kreative Workshops und inspirierende ­Begegnungen, wo Menschen ihre Lernthemen u.a. anhand von LEGO-Modellen verhandeln. Das Angebot umfasst diverse HR-relevante Workshop-Formate etwa zur Neugestaltung von ­Kommunikation, Teamdynamik und strategischer Entwicklung sowie Zertifizierungs-trainings für angehende Facilitatorinnen und Facilitatoren in der LSP-Methode.

PENSO ist Medienpartner der ersten Stunde: Mit dem Code «PENSO_TSP 2025» erhalten ­Interessierte eine Reduktion von einmalig CHF 100 (nicht kumulierbar) auf alle Formate und ­Angebote von «The Serious Player».

Zukunftstrends im Lernen setzen auf personalisiertes, selbstgesteuertes Lernen im Arbeitsfluss. Microlearning, adaptive Plattformen, KI-gestützte Feedbacktools und immersive Formate wie Virtual Reality gewinnen an Bedeutung. Lernen wird hybrider, vernetzter und unmittelbarer – Technologie ist dabei Treiber, gleichzeitig bleibt der Mensch im Zentrum: Social Learning, Peer-Formate sowie kollegialer Austausch und damit ergebnisoffene Lernformate werden immer zentraler – gerade bei vermehrtem Einsatz von KI in Routineaufgaben. Wichtig ist der Aufbau von Lernökosystemen, in denen interne und externe Wissensquellen intelligent verbunden werden. Ebenso sollte künftig ein stärkeres Augenmerk auf das «Learning Experience Design» gelegt werden – indem Lernprozesse als ganzheitliche Erlebnisreise gedacht werden. Durch den Einsatz partizipativer und kreativer Methoden wie zum Beispiel «LEGO Serious Play» kann HR solche Reisen aktiv mitgestalten.

Apropos: Sie sind zertifizierte Facilitatorin der markengeschützten «LEGO Serious Play»-Methode (LSP). Auf ­welchen Feldern lässt sich diese Lego-Modell-Methode einsetzen, wenn es darum geht, Lernprozesse innerhalb von Organisationen zu fördern?

LSP eignet sich hervorragend für Team- und Führungskräfteentwicklung, Strategieprozesse, Kulturarbeit und Veränderungsbegleitung. Im Lernkontext kann sie genutzt werden, um individuelle Lernpfade zu reflektieren, gemeinsame Lernvisionen zu entwickeln oder Entwicklungsprogramme partizipativ zu gestalten. Die Methode aktiviert, fördert offene Dialoge, macht implizites Wissen sichtbar und ermöglicht tiefgehende Reflexion. Der spielerische Zugang schafft Klarheit, Verbindung und echte Beteiligung. Deshalb bin ich vor rund einem Jahr der «The Serious Player»-Community beigetreten und haben wir am 1. April 2025 das erste Schweizer Zentrum für die LSP-Methode eröffnet (siehe Box). Unser Ziel ist es, die Menschen aller Bereiche – in Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft – zu inspirieren und zu befähigen, ihre Herausforderungen spielerisch ernst anzugehen und inspirierende Zukunftsbilder entstehen zu lassen.

Können Sie Beispiele nennen, bei denen LSP in der HR-Praxis erfolgreich zur Lösung komplexer Herausforderungen in einer lernenden Organisation beigetragen hat?

Ich habe gerade kürzlich mit einem kleinen Team einer internationalen Firma mit der LSP-Methode das durch das Unternehmen proklamierte Thema «Service Excellence» bearbeitet und «be-greifbar» gemacht. Über den spielerischen Zugang konnten wir das, was sich für dieses Team zuerst nach einer riesigen Challenge anfühlte, in einem halben Tag transferorientiert visualisieren und damit Klarheit schaffen, wie sie «Service Excellence» in ihrem Arbeitsalltag umsetzen wollen. Ein anderes Beispiel ist eine Stiftung, in der wir mit der Geschäftsleitung ein gemeinsames Führungsverständnis und ein Manifest für die ideale Zusammenarbeit im Team entwickelt haben. Das Bauen über mehrere Prozessstufen ermöglichte tiefere Einsichten und führte zu einer starken kollektiven Basis. In einem anderen Unternehmen nutzen Recruiter heute LSP zur Reflexion kultureller Passung von Kandidierenden. Wenn wir Talente oder Werte bauen, heben wir Schätze, und über das ­Storytelling gewinnen wir auch mehr Selbsterkenntnis. Wir diskutieren also nicht mehr über abstrakte Begriffe, von denen wir alle unterschiedliche Vorstellungen ­haben, sondern erzählen die Geschichten dazu am konkreten, persönlichen Modell.

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