Was praxisintegrierte Studienmodelle für HR attraktiv macht

Mittwoch, 28. Mai 2025 - Karen Heidl
Ob Grossbetrieb oder KMU – wer Fachkräfte sucht, muss früh ansetzen. Das praxisintegrierte Bachelorstudium PiBS ermöglicht den direkten Einstieg in ein Fachhochschulstudium mit begleitender Praxistätigkeit im Unternehmen. Für HR bietet das Modell die Chance, motivierte Nachwuchskräfte ­gezielt auszubilden und langfristig im Unternehmen zu binden.

Susanne Dombrowski

Studiengangleiterin Biotechnologie ZHAW

Der Übergang von der Matura in die Hochschulbildung stellt viele junge Menschen vor die Wahl: direkte wissenschaftliche Vertiefung an der Universität oder eine praxisnähere Alternative? In Deutschland hat sich die Sonderform des dualen Studiums über Jahrzehnte bewährt und etabliert. In der Schweiz hingegen sind praxisintegrierte Modelle wie PiBS (Praxisintegriertes Bachelorstudium) vergleichsweise jung. Doch auch hierzulande erkennen Hochschulen und Unternehmen zunehmend das Potenzial dieses Ansatzes.

First Mover: die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW)

Die Wurzeln des dualen Studienmodells reichen in Deutschland bis in die 1970er Jahre zurück. Unternehmen wie Daimler-Benz, Bosch und SEL entwickelten damals das sogenannte «Stuttgarter Modell», um den Bedarf an praxiserfahrenem akademischem Nachwuchs zu decken. 2009 wurden die bisherigen Berufsakademien in die DHBW übergeführt, eine staatlich anerkannte Hochschule mit dem ausschliesslichen Fokus auf duale Studiengänge.

Heute studieren rund 32000 Menschen an der DHBW, verteilt auf zwölf Standorte sowie das Center for Advanced Studies. In Kooperation mit rund 9000 Unternehmen bietet die DHBW 35 ­Bachelorstudiengänge mit etwa 130 Studienrichtungen in den Bereichen Wirtschaft, Technik, Sozialwesen und Gesundheit an. Zusätzlich umfasst das Studienangebot 27 berufsintegrierende Masterstudiengänge. Der besondere Reiz: Studierende wechseln im Dreimonatsrhythmus zwischen theoretischer Ausbildung an der Hochschule und Praxisphasen im Unternehmen. Sie sind während des gesamten Studiums bei ihrem «dualen Partner» angestellt und erhalten ein regelmässiges Einkommen.

Für Unternehmen ist dieses Modell besonders attraktiv: Sie gewinnen frühzeitig Zugang zu jungen Talenten, können diese gezielt auf ihre Bedürfnisse hin ausbilden und langfristig an sich binden. Der Wissenstransfer erfolgt laufend und praxisnah, was die Innovationskraft im Betrieb stärken kann. Allerdings setzt das Modell eine ­gewisse strukturelle und personelle Kapazität ­voraus – nicht jedes Unternehmen kann oder möchte diese leisten.

Das Schweizer PiBS als Modell der Integration

Als Antwort auf den Fachkräftemangel vor allem in MINT-Berufen initiierte die Schweiz 2015 das PiBS-Modell. Anders als in Deutschland wurde kein neues Hochschulsystem geschaffen, sondern das Modell in die bestehenden Fachhochschulen integriert. Aktuell beteiligen sich alle neun Fachhochschulen an diesem Angebot. Eine Vorreiterrolle nimmt dabei die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) ein, die PiBS insbesondere für technische Fachrichtungen und die Life-Sciences-Studien­gänge Biotechnologie und Chemie anbietet. Dieses Studienmodell unterscheidet sich hinsichtlich der Zulassungsbedingungen von den anderen Fachhochschulmodellen. «Das Programm kommt erst dann zum Tragen, wenn jemand vor mir steht und sagt: Ich mache gerade die Matura am Gymnasium», erklärt Susanne Dombrowski, Studiengangleiterin Biotechnologie an der ZHAW.

«Es gibt dann zwei Möglichkeiten, an der Fachhochschule zu studieren: entweder 12 Monate Arbeitswelt­erfahrung und anschliessend 3 Jahre Studium oder eben das PiBS-Programm. In diesem Fall verweise ich auf die Industriepartner, mit denen erst ein Ausbildungsvertrag abgeschlossen werden muss. Aber dann kann man gleich nach der Matur im September mit dem Studium beginnen.»

Die Umsetzung des praxisintegrierten Bachelorstudiums variiert je nach Studiengang und Fachhochschule. So zeigt die Grafik unten das Schema im Studiengang Biotechnologie. Zwischen den Partnerunternehmen und den Studierenden müssen entsprechende Ausbildungsverträge abgeschlossen werden.

Im Unterschied zu anderen Bachelorstudiengängen beinhaltet PiBS entweder ein integriertes Praxisjahr im Unternehmen oder eine 40- bis 60%ige Teilzeit-Berufs­tätigkeit bei einem dualen Partner­unternehmen während der gesamten Studiendauer. Für diese Praxiszeiten erhalten die Studierenden eine entsprechende Vergütung.

Studienmodelle an der ZHAW School of Engineering

Quelle: ZHAW

PiBS – Praxisorientiertes Studium für Maturanden am ICBT-Studiengang Biotechnologie

Quelle: ZHAW

Praxisorientierung in der DNA der Fachhochschulen

Auch die Hochschule Luzern (HSLU) bietet praxisintegrierte Bachelorstudiengänge nach dem PiBS-Modell an. Aktuell werden PiBS-Varianten unter anderem in den Studienrichtungen ­Informatik, Maschinentechnik, Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen angeboten. Die Hochschule unterstützt aktiv bei der Suche nach geeigneten Praxisbetrieben und begleitet sowohl Studierende als auch Unternehmen während des Praxisjahres eng. Dabei legt die HSLU Wert auf eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis sowie auf eine kompetenzorientierte Vermittlung in die Unternehmen.

Prof. Dr. Martin Gubler, Leiter des Ressorts Ausbildung an der HSLU Wirtschaft, sieht in PiBS ein grosses Potenzial: «Besonders in den technischen Bereichen ist das Angebot gut etabliert. Ich fände es sehr schön, wenn wir das auch für wirtschaftliche Studienrichtungen ausbauen könnten.» Die Erfahrungen an der HSLU zeigen: Die praxisintegrierte Struktur bietet nicht nur einen Mehrwert für die Studierenden, sondern kann auch gezielt zur Nachwuchsgewinnung in regionalen Unternehmen beitragen. Voraussetzung dafür ist jedoch ein sorgfältig abgestimmtes Zusammenspiel von Hochschule, Betrieb und Lernzielen.

Prof. Dr. Erik Nagel, Ressortleiter Weiterbildung der HSLU Wirtschaft, bestätigt: «Berufsbegleitende Modelle gewinnen zunehmend an Beliebtheit.» Deshalb setzt die HSLU auch im Bereich der Weiterbildung auf unternehmensnahe Formate. Ein Beispiel dafür ist das CAS Leadership Dual (bit.ly/4jD8lpT), bei dem Teile der Weiterbildung direkt im Unternehmen stattfinden. Damit stärke die HSLU die Verbindung zwischen konzeptionellem Denken und Unternehmenspraxis, so Nagel. Dies unterstreicht auch Martin Gubler: «Alles, was die Dualität stärkt, finde ich absolut wünschenswert.»

Positive Signale

Eine Evaluation des Staatssekre­tariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) im Jahr 2019 kommt zu einem positiven Gesamtfazit des PiBS-Studienmodells: PiBS fördert die Praxisnähe des Studiums, ermöglicht eine frühzeitige Einbindung von Maturandinnen und Maturanden in die Arbeitswelt und unterstützt damit einen schnelleren und gezielteren Berufseinstieg. Besonders hervorgehoben wurde, dass das Modell einen Beitrag zur Erhöhung der Durchlässigkeit im Bildungssystem leistet, indem es die Brücke zwischen gymnasialer Allgemeinbildung und anwendungsorientierter Fachhochschulausbildung stärkt.

Die Evaluation zeigt auch, dass Studierende ihre Entscheidung für PiBS mehrheitlich positiv beurteilen – vor allem, weil sie direkt nach der Matura einsteigen können und sich sowohl fachlich als auch persönlich weiterentwickeln. Viele gaben an, dass ihnen die Praxiserfahrung Klarheit über ihre beruflichen Interessen verschafft habe und sie sich durch die Arbeit im Unternehmen reifer und besser vorbereitet fühlten. Dies bestätigt Susanne Dombrowski: «Nach der Praxiserfahrung entwickeln die Studierenden andere Sichtweisen. Die Persönlichkeiten haben sich ausgeformt – das ist sehr erfreulich zu beobachten.»

Weiterentwicklung praxisnaher Bildungswege

Auch aus Sicht der beteiligten Unternehmen sind die Erfahrungen überwiegend positiv. Besonders geschätzt wird die Möglichkeit, Nachwuchstalente frühzeitig zu identifizieren und gezielt zu fördern. Unternehmen loben das solide Grundwissen der Studierenden zu Beginn des Praxisjahres sowie deren hohe Motivation und Lernbereitschaft. Gleichzeitig zeigt die Evaluation aber auch, dass die Integration des Modells in betriebliche Abläufe nicht immer einfach ist: Die Anforderungen an die Betreuung und die interne Planung sind hoch. Deshalb eignet sich PiBS nicht für alle Unternehmensgrössen oder Branchen gleichermassen.

Auch Susanne Dombrowski betont die Herausforderung, Unternehmen für das Modell zu gewinnen: «Nicht jeder Industriepartner kann oder möchte dieses Modell auch mit uns fahren.» Ob sich ein Unternehmen für die ­Zusammenarbeit innerhalb des PiBS-­Studienmodells entscheide, hänge von verschiedenen Faktoren ab: «Global agierende Unternehmen haben andere interne Arbeits- und Organisationsabläufe als KMU-Betriebe oder Start-ups. An der ZHAW sind alle Unternehmenstypen vertreten, mit denen wir gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit gemacht haben.»

Fazit und Ausblick

Für Personalverantwortliche bietet PiBS einen direkten Zugang zu motivierten, jungen Fachkräften. Die enge Begleitung über das Praxisjahr schafft Bindung und erhöht die Passgenauigkeit beim Berufseinstieg. Wichtig ist jedoch: Das Modell erfordert klare Strukturen im Unternehmen und eine Bereitschaft zur aktiven Betreuung.

Die Herausforderung bleibt: Wie kann man solche Programme skalieren und besser sichtbar machen? «Je mehr Erfolgsgeschichten wir schreiben – und das tun wir –, desto überzeugender wird unser Argument für neue Partner aus der Industrie», ist Dombrowski überzeugt. Das Potenzial ist da – nun liegt es an Hochschulen, Unternehmen und Bildungspolitik, dieses gemeinsam zu entfalten.

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