Zwischen Rückzug und Relevanz: Diversity und Inclusion neu denken

Freitag, 23. Mai 2025 - Karen Heidl
Von Quoten zu inklusiver Unternehmenskultur. Penso sprach mit der Diversity-Expertin Dr. Ines Hartmann über den aktuellen Wandel in der D&I-Debatte.

Roche, Novartis, UBS – drei Schweizer Konzerne, die kürzlich ihre öffentlich kommunizierten Diversity- und Inclusion-Ziele aus Unternehmensdokumenten entfernt haben. Ein Rückschritt? Ein strategischer Schachzug? Oder schlicht ein Zeichen des Wandels in der globalen D&I-Landschaft? Dr. Ines Hartmann, Forscherin und Expertin für Gleichstellungsfragen, ordnet im Gespräch die aktuelle Entwicklung ein – und liefert Denkanstösse für HR-Verantwortliche, wie sich Diversity & Inclusion jenseits von Quoten weiterentwickeln lässt.

Dr. Ines Hartmann

Direktorin am Competence Center for Diversity, Disability and Inclusion (CCDI) an der Universität St. Gallen. Sie verantwortet das HSG Diversity Benchmarking und leitet Projekte zu Inclusive Leadership. Ihre Forschung fokussiert auf ­Diversity Management und inklusive Unternehmenskultur.

Zur Debatte

Im Januar 2025 hat US-Präsident Donald Trump zwei Dekrete erlassen, die allen «Diversity, Equity, and Inclusion»-Programmen (DEI) in staatlichen und privaten Sektoren ein Ende setzen sollen. Nicht nur US-Konzerne beugten sich diesem Druck. Auch namhafte Schweizer Unternehmen – wie Roche, Novartis und UBS – haben ihre entsprechenden Programme eingestellt oder angepasst.

Kommunikation statt Absage

«Es dreht sich hier viel um Kommunikation», sagt Ines Hartmann mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen. Dass Unternehmen wie UBS oder Novartis ihre D&I-Ziele nicht mehr explizit veröffentlichten, bedeute nicht zwingend, dass sie sich vom Thema abwendeten. Vielmehr sei denkbar, dass diese weiterhin verfolgt und intern gemessen würden – nur eben weniger sichtbar. «Vielleicht wird nicht mehr kommuniziert, während man aber die Ziele weiterhin verfolgt und Massnahmen nach wie vor umsetzt.»

US-Dynamik – und was sie für ­Europa bedeutet

Der mediale Druck und der politische Gegenwind, der in den USA gegen Diversity-Programme entstanden ist, strahlen auch auf global tätige Unternehmen aus. Für Hartmann ist es nachvollziehbar, dass sich Firmen mit starkem US-Marktanteil vorsichtiger positionieren. Trotzdem erwartet sie keine komplette Abkehr von D&I, sondern eher eine Verschiebung in der Tonalität. Unternehmen ohne US-Geschäft könnten sogar profitieren: «Vielleicht werden für bestimmte Mitarbeitende europäische Firmen sogar attraktiver als amerikanische, und es ergeben sich so Vorteile für das Employer Branding.»

Jenseits der Quote: Fokus auf Prozesse

Die Gleichstellungsexpertin fand die Diskussionen über Quoten immer schwierig. «Eine Quote ist ein Ergebnis vieler vorgelagerter Prozesse», erklärt sie. Rekrutierung, Entwicklung, Beförderung – erst wenn diese Prozesse chancengleich gestaltet sind, ergeben sich auch diversere Führungsebenen. Anstatt den Fokus nur auf die Rekrutierung einer bestimmten Anzahl von Frauen zu legen, könne ein Unternehmen zum Beispiel festlegen, dass bei gleicher Qualifikation Bewerberinnen bevorzugt würden. «Ohnehin wird kein Unternehmen eine Frau einstellen, die für einen Job nicht ausreichend qualifiziert ist, das wäre wirtschaftlich schlicht nicht sinnvoll.»

Inclusion als kulturelle Aufgabe

Während Diversity oft greifbar und messbar erscheine, friste Inclusion noch ein Schattendasein, so Hartmann. Dabei sei genau hier der Schlüssel zu nachhaltiger Veränderung. «Diversität haben wir eigentlich bereits in vielen Unternehmen», betont Hartmann. «Die Frage ist: Wie schaffen wir eine Kultur, die diese Diversität integriert und nutzt?» Unternehmen seien gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich Mitarbeitende entfalten und weiterentwickeln könnten – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder anderen Faktoren. Inclusion sei eine «grosse Herausforderung in der Kultur» – und gleichzeitig ein Wettbewerbsvorteil, wenn sie gelinge.

Zwischen Polarisierung und ­Potenzial

Ein Risiko sieht Ines Hartmann dennoch: Das Thema könne an Priorität verlieren – sowohl gesellschaftlich als auch unternehmensintern. Dabei sei die Debatte über gerechte Chancen alles andere als abgeschlossen. «Vielleicht diskutiert man in Zukunft mehr darüber, wie man sicherstellen kann, dass Chancengleichheit in einer diversen Belegschaft gewährleistet wird – und wie man eine Kultur schafft, die nicht von einer Personengruppe dominiert wird.»

Gleichzeitig fordert sie mehr differenzierte Betrachtung: In der Schweiz etwa gebe es keine Gleichstellung auf allen Ebenen, auch wenn man sich in einer Kultur der Vielfalt bewege. Fortschritte seien spürbar – aber oft langsam und schwer messbar, wie der von ihr mitverantwortete Gender Intelligence Report zeige. Besonders bei Inklusionsaspekten bleibe die Forschung limitiert, etwa wenn es um Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinderung gehe – da es hier an Daten fehle.

Ein neuer Weg für das Personalmanagement

Für HR-Verantwortliche und Führungskräfte bedeutet das: Die Zukunft von Diversity & Inclusion liegt weniger in öffentlichkeitswirksamen Zielen, sondern vielmehr in der Arbeit an Kultur, Prozessen und fairer Förderung. Die häufig vernommene These, dass Diversity dem Meritokratie-Prinzip zuwiderlaufe, also dem Prinzip, nach dem man sich bestimmte Positionen durch gute Arbeit verdiene, stehe gar nicht im Widerspruch zum D&I-Postulat: «Wenn man Prozesse so ausrichtet, dass alle gleiche Chancen haben, dann profitieren alle davon. Es geht nicht um die Bevorzugung von Frauen und Minderheitengruppen», fasst Hartmann zusammen.

Veranstaltung

Vom 15. bis 19. September 2025 findet die jähr­liche Diversity & Inclusion Week statt, die von der Universität St. Gallen aus­gerichtet wird. Das Programm bietet eine Vielfalt von Beiträgen und Forschungs­ergebnissen zum Thema D&I und kann zu ­einem grossen Teil gratis online verfolgt werden.

Der diesjährige Schwerpunkt lautet «Inklusive Arbeitsplätze gestalten: Wie D&I und Wellbeing zusammenspielen». Die Veranstaltungswoche verbindet neueste Forschung mit Praxis und bietet eine Plattform für alle, die D&I in ihre Unternehmenskultur integrieren, die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in ihrer ­täglichen Arbeit anwenden und sich mit Gleichgesinnten über Best Practices aus­tauschen wollen.

Mehr Informationen: inclusion-tagung.ch

Take Aways

  • Ein Rückzug der Unternehmen aus D&I-Zielen scheint unwahrscheinlich, allerdings verändern sich die Kommunikation und möglicherweise die Umsetzung von D&I-Zielen.
  • Quotendiskussionen greifen zu kurz: Entscheidend sind chancengerechte Prozesse in Rekrutierung und Entwicklung.
  • Inclusion im Fokus: Vielfalt ist da – es braucht aber eine Kultur, die sie wirkungsvoll einbindet und Vorteile für alle erzeugt.
  • Risiko des Bedeutungsverlusts der D&I-Agenda: Ohne sichtbares Engagement droht Ressourcenverlust.
  • Ein neuer Diskurs öffnet den Blick auf das Wesentliche: weg von Polarisierung, hin zu echter Chancengleichheit.

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