Bundesgericht entscheidet über Mutterschaftsentschädigung für Nationalrätin

Montag, 04. April 2022
Die Mutterschaftsentschädigung nach einer Geburt endet mit der Teilnahme am Parlamentsbetrieb vorzeitig. Zu diesem Ergebnis ist das Bundesgericht im Fall der GLP-Nationalrätin Katrin Bertschy gelangt. Die Ausgleichskasse verneinte einen weiteren Anspruch auf Entschädigung, nachdem Bertschy 2019 an der Frühlingssession teilgenommen hatte.

Bertschy bezog nach der Geburt ihres Kindes Ende 2018 Mutterschaftsentschädigung. Im Februar 2019 nahm die sonst selbständig Erwerbende an einer Kommissionssitzung und ab dem 3. März fast täglich an weiteren Sitzungen teil. Dies geht aus einem am Montag veröffentlichten Leiturteil des Bundesgerichts hervor. Die Ausgleichskasse sprach der Berner Nationalrätin Bertschy wegen der Teilnahme am Ratsbetrieb den Anspruch auf Entschädigung ab dem 4. März ab und forderte die zu viel ausbezahlten Beiträge zurück. Die Kasse argumentierte, dass die 14 Wochen umfassende Mutterschaftsentschädigung vorzeitig ende, wenn eine Mutter ihre Erwerbstätigkeit wieder aufnehme. Die Tätigkeit als Nationalrätin taxierte die Kasse als Erwerbstätigkeit, weil sie vom Bund entschädigt würde und bei der Berechnung der Taggelder mitberücksichtigt worden sei. Dieser Sicht folgt nicht nur das Berner Verwaltungsgericht, sondern nun auch das Bundesgericht.

Entschädigte Leistung

Die zweite sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts in Luzern geht zwar mit Bertschy einig, dass beim Nationalratsmandat nicht das Erzielen eines Einkommens im Vordergrund stehe. Dennoch stelle diese politische Tätigkeit eine volle Arbeitsleistung dar, die auch abgegolten werde.

Mit der Tätigkeit als Nationalrätin erlösche auch der Anspruch der Muttschaftsentschädigung von Bertschy für ihre Erwerbstätigkeit als Selbständige. Eine andere Schlussfolgerung lässt das Gesetz laut dem Bundesgericht nicht zu; ebensowenig das Wiederaufleben des Anspruchs nach Beendigung der Frühlingssession. Dies ergebe sich nicht nur aus dem klaren Wortlaut des Bundesgesetzes über den Erwerbsersatz (EOG). Das Bundesgericht verweist auch auf die Materialien des Gesetzgebers. So schloss die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats im Oktober 2002 eine Stückelung des 14-wöchigen Mutterschaftsurlaubs aus. Damit würde gemäss damaliger Sicht der Kommission sichergestellt, dass der bezahlte Mutterschaftsurlaub voll ausgeschöpft werde. Dieser solle zur Erholung der Mutter von der Schwangerschaft und Niederkunft dienen.

«Keine Diskriminierung»

Bertschy kritisierte, dass die zwingend ohne Unterbruch zu beziehende Mutterschaftsentschädigung diskriminierend sei. Männer hätten nämlich die Möglichkeit, die Vaterschaftsentschädigung wochen- oder tageweise zu beziehen. Eine Diskriminierung vermag das Bundesgericht darin jedoch nicht zu erkennen. Der Anspruch der Mutter sei im Vergleich zu jenem des Vaters insgesamt viel umfassender ausgestaltet. Ziel sei es, der Mutter die nötige Zeit einzuräumen, um sich erholen und «sich in den ersten Monaten (am Stück) intensiv um ihr Neugeborenes kümmern zu können». Der Frauendachverband Alliance F kritisiert das Urteil des Bundesgerichts in einer am Montag veröffentlichten Medienmitteilung. Parlamentarierinnen im Mutterschaftsurlaub wer de facto untersagt, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen. Das Urteil sei staatspolitisch höchst problematisch und gleichstellungspolitisch stossend. Es sei unhaltbar, wenn Parlamentarierinnen in einer Demokratie gezwungen würden, sich zwischen ihren politischen Rechten und ihrem Einkommen zu entscheiden, weil sie Mütter geworden seien. Die Alliance F prüfe, das Urteil an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterzuziehen. Sie fordert zudem, umgehend Gesetzesänderungen einzuleiten. (Urteil 9C_469/2021 vom 8.3.2022) (sda)

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