Das Bundesgericht hat die Beschwerde der Frau abgewiesen, die die hälftige Anrechnung der Erziehungsgutschriften bei der Berechnung ihrer AHV-Rente als diskriminierend erachtete. Das höchste Schweizer Gericht ist zu einem anderen Schluss gelangt. Weil die Erziehungsgutschriften keine Reduktion der Erwerbstätigkeit voraussetzen und sich damit nicht zwingend auf die Gestaltung des Familienlebens auswirken, fällt eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) jedoch nicht in Betracht.
Im konkreten Fall legte die Ausgleichskasse des Kantons Neuenburg 2023 die Höhe der AHV-Rente für die 64-jährige Frau fest, deren Ehemann noch nicht im AHV-Alter war. Für die Jahre, in denen sie sich bei einem reduzierten Erwerbspensum um die noch unter 16-jährigen Kinder gekümmert hatte, wurden ihr die gesetzlich vorgesehenen Erziehungsgutschriften zur Hälfte angerechnet.
Indirekte Diskriminierung
Vor dem Kantonsgericht Neuenburg verlangte sie, dass ihr die Erziehungsgutschriften so lange in vollem Umfang angerechnet werden, bis mit der Pensionierung ihres Mannes auch das gesplittete Einkommen zu ihren Gunsten berücksichtigt werde. Das Kantonsgericht hiess die Beschwerde gut. Es kam zum Schluss, dass eine indirekte Diskriminierung wegen des Geschlechts im Sinne von Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliege.
Frauen würden häufiger Teilzeit arbeiten als Männer. Die Höhe der AHV-Rente einer Person hänge damit massgeblich vom Geschlecht ab, solange ihr Ehepartner noch nicht im Rentenalter sei. Im konkreten Fall seien deshalb die ganzen Erziehungsgutschriften anzurechnen. Gemäss Art. 29sexies Abs. 3 AHVG werden Erziehungsgutschriften bei verheirateten Personen während der Kalenderjahre der Ehe hälftig aufgeteilt, wie das Bundesgericht ausführt.
Der Teilung unterblieben aber nur die Gutschriften für die Zeit zwischen dem 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahrs und dem 31. Dezember vor dem Tag, an dem der erste Ehegatte das Referenzalter erreicht. Das Einkommensplitting erfolgt im Gegensatz zur Anrechnung der halben Erziehungsgutschriften unter anderem erst, wenn beide Ehegatten das reguläre Rentenalter erreicht haben.
Anerkennung von Erziehungsarbeit
Das Bundesgericht weist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hin. Gemäss dieser falle eine Anwendung des Diskriminierungsverbots von Art. 14 EMRK in Bezug auf Sozialleistungen dann in Betracht, wenn diese eine Förderung des von Art. 8 EMRK geschützten Familienlebens bezwecken und sich zwingend auf dessen Gestaltung auswirkten.
Mit den Erziehungsgutschriften solle jedoch die sozial wichtige Aufgabe der Kindererziehung honoriert werden. Die Gutschriften würden unabhängig vom Nachweis einer deswegen erfolgten Reduktion oder Aufgabe einer Erwerbstätigkeit ausgerichtet. Insofern hätten die Erziehungsgutschriften keine zwingenden Auswirkungen auf die Gestaltung des Familienlebens. (Urteil 9C_431/2024 vom 3. Juli 2025)