Mehr Kurzabsenzen, um Familienmitglieder zu umsorgen

Donnerstag, 29. Oktober 2020 - Gerhard Koller
Ab 2021 sollen Angehörigenbetreuung und Erwerbstätigkeit besser miteinander vereinbart werden können. Neben Änderungen in den Sozialversicherungen hat dies auch Auswirkungen auf das Arbeitsrecht.

Aktuell sieht das Arbeitsgesetz (ArG) einzig einen Kurzurlaub zur Betreuung kranker Kinder von maximal drei Tagen pro Ereignis vor (Art. 36 ArG). Daneben sieht Art. 324a OR für zivilrechtliche Arbeitsverhältnisse für die Betreuung eigener kranker Kinder, der Ehegatten oder eingetragenen Partnerinnen und Partner eine begrenzte Lohnfortzahlung vor, wobei diverse Absenzen zusammengerechnet werden. Allenfalls können Kurzabsenzen im Rahmen von Art. 329 OR für die übrigen Personen bezogen werden, gegenüber denen keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht. Für andere, nahestehende Personen, ist hingegen keine Regelung vorhanden.

Neue Bestimmungen

Gemäss der Botschaft des Bundesrats wird neu zwischen Kurzabsenzen für die Organisation der Betreuung von Familienangehörigen und der Betreuung von gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindern unterschieden.

Urlaub für die Betreuung von Angehörigen

Gemäss neuem Art. 329g OR hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Urlaub für die Zeit, die zur Betreuung eines Familienmitglieds, der Lebenspartnerin oderdes Lebenspartners mit gesundheitlicher Beeinträchtigung notwendig ist; der Urlaub beträgt jedoch höchstens drei Tage pro Ereignis und höchstens zehn Tage pro Jahr (Art. 329g OR).

Dieser Urlaubsanspruch wird auf die ganze Familie ausgeweitet. Hierunter fallen Verwandte in auf- und absteigender Linie (also Eltern und Kinder) und Geschwister. Ebenfalls erfasst werden Ehegatte, Schwiegereltern oder Lebenspartner, die mit der Arbeitnehmerin oder mit dem Arbeitnehmer seit mindestens fünf Jahren einen gemeinsamen Haushalt führen. Als Kinder gelten diejenigen Personen, zu denen ein Kindesverhältnis im zivilrechtlichen Sinne besteht.

Der Urlaubsanspruch für die Betreuung beschränkt sich nicht auf Krankheit und Unfall, sondern umfasst auch die Betreuungsnotwendigkeit aufgrund einer Behinderung.

Die Dauer beträgt maximal drei Tage pro Ereignis und bezieht sich auf eine einzelne, spezifische Beeinträchtigung. Der Anspruch besteht daher einmalig pro Beeinträchtigung. Langzeiterkrankungen, die zu mehreren Ausfällen führen könnten, fallen nicht hierunter. Daher ist der Anspruch auf zehn Tage pro Dienstjahr beschränkt.

Unabhängigkeit von Art. 324a OR

Der Anspruch auf maximal drei bezahlte Urlaubstage pro Ereignis besteht unabhängig von der Regelung in Art. 324a OR und wird auch nicht an den dort vorgesehenen beschränkten Mindestanspruch angerechnet. Eine Angestellte oder ein Angestellter kann aber selber entscheiden, ob der Urlaub gestützt auf Art. 324a OR oder den neuen Art. 329g OR bezogen werden soll, sofern die Voraussetzungen für beide Bestimmungen erfüllt sind. Sind die Voraussetzungen erfüllt, besteht Anspruch auf volle Lohnzahlung.

Arztzeugnis/Beweislast

Im Gegensatz zur Regelung im ArG wird hier vom Gesetz kein Arztzeugnis verlangt. Es liegt aber nach wie vor an der arbeitnehmenden Person, die einen Urlaub beziehen will, zu beweisen, dass die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Sind beide Elternteile erwerbstätig, liegt es an ihnen, wer wann einen Urlaub beziehen will.

Was hat der Arbeitgeber zu beachten?

Für diese – wohl meist kurzfristig gemeldeten – Urlaube braucht es keine Genehmigung des Arbeitgebers. Er muss aber sofort orientiert werden, auch über Änderungen. Der Arbeitgeber kann dies dann auf vorhandenen Formularen der Ausgleichskasse melden.

Aus heutiger Sicht empfiehlt es sich, die Bestimmungen im ArG und den Art. 329g und h OR in ein allfällig vorhandene Reglement aufzunehmen oder das Reglement auf Unstimmigkeiten zu prüfen.

Auch wenn im Gesetz nur teilweise vorgeschrieben, könnte erwähnt werden, dass die betroffene Person unverzüglich ein Arztzeugnis nachzureichen hat. Damit kann Streitereien im Voraus ausgewichen werden.

Bei Teilzeitarbeit oder flexibler Arbeitszeit kann davon ausgegangen werden, dass nur die tatsächlich ausgefallene Arbeitszeit in Betracht zu ziehen ist.

Regelung im Arbeitsgesetz

Die bisherige Regelung für dem ArG unterstellte Arbeitsverhältnisse ist in Art. 36 ArG entsprechend angepasst und erweitert worden. Sie lautet: «Der Arbeitgeber hat der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer gegen Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses (das sich auf die zu betreuende Person zu beziehen hat) Urlaub für die Betreuung eines Familienmitglieds, der Lebenspartnerin oder des Lebenspartners mit gesundheitlicher Beeinträchtigung zu gewähren; der Urlaub ist auf die für die Betreuung erforderliche Dauer begrenzt, beträgt jedoch höchstens drei Tage pro Ereignis. Ausser bei Kindern beträgt der Betreuungsurlaub maximal zehn Tage pro Jahr.»

Urlaub für die Betreuung eines schwer beeinträchtigten Kinds

Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung gemäss Erwerbsersatzordnungsgesetz (EOG), weil ihr oder sein Kind wegen Krankheit oder Unfall gesundheitlich schwer beeinträchtigt ist, so hat sie oder er Anspruch auf einen Betreuungsurlaub von höchstens 14 Wochen. Dieser ist innerhalb einer Rahmenfrist von 18 Monaten zu beziehen. Diese Frist beginnt mit dem Tag, für den das erste Taggeld bezogen wird.
Sind beide Eltern Arbeitnehmende, so hat jeder Elternteil Anspruch auf einen Urlaub von höchstens sieben Wochen. Die Eltern können aber eine abweichende Aufteilung des Urlaubs wählen. Der Urlaub kann am Stück oder tageweise bezogen werden. Der Arbeitgeber ist über die Modalitäten des Bezugs unverzüglich zu informieren (Art. 329h OR; siehe Artikel Dummermuth).

Weitere Änderungen

Ferienkürzung

Neu dürfen die Ferien auch nicht gekürzt werden, wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer einen Betreuungsurlaub nach Art. 329h OR bezogen hat (Art. 329b Abs. 3 OR).

Kündigungsschutz

Nach Ablauf der Probezeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis auch nicht kündigen, solange der Anspruch auf Betreuungsurlaub nach Art. 329h OR besteht, längstens aber während sechs Monaten ab dem Tag, an dem die Rahmenfrist beginnt (Art. 336c Abs. 1 Bst. c OR).

Quellennachweis: Botschaft des Bundesrats zum Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung.

Take-Aways

  • Arbeitnehmende haben Anspruch auf bezahlten Urlaub für die Organisation der Betreuung von Angehörigen; Maximal drei Tage pro Ereignis und zehn Tage pro Jahr (bei Kindern keine jährliche Beschränkung).
  • Als Angehörige gelten eigene Kinder, Ehegatten oder eingetragene Partner, Eltern, Geschwister, Schwiegereltern oder Lebenspartner (mehr als 5 Jahre).

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