Forschungsstand in Kürze: Angehörigenbetreuung und Erwerbstätigkeit

Donnerstag, 29. Oktober 2020 - Karen Heidl
Betreuende Angehörige von pflegebedürftigen Personen sind oft besonderen Belastungen ausgesetzt, die sich auch im Berufsleben bemerkbar machen. Das kann zur Einschränkung der Erwerbstätigkeit führen, die durch zeitliche, physische und psychische Belastungen der Betreuenden ausgelöst wird, wie verschiedene Studien aufzeigen.

Im Rahmen des Förderprogramms «Entlastungsangebote für betreuende Angehörige» (Laufzeit 2017 bis 2020) wurde die Situation von betreuenden und pflegenden Angehörigen in mehreren Studien untersucht, um Strategien zu entwickeln, mit denen gegengesteuert werden kann.

Welche Belastungen entstehen für Pflegende?

Im Januar veröffentliche die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW im Rahmen des Forschungsprogramms eine Untersuchung der Belastungssituation Pflegender.[1] Im Ergebnis bestehen in Situationen, in denen Angehörige nach und nach die Betreuungsrolle übernehmen, Risiken für Isolation und Überlastung. Dessen werden sich die Pflegenden allerdings nicht sofort bewusst, sodass sich chronische Erschöpfung oder Burn-out manifestieren, die sich zu einer Depression oder anderen Erkrankungen auswachsen können. Die psychische oder physische Erkrankung der Pflegenden ist jedoch nicht die einzige Gefahr, die aus einer andauernden Überlastungssituation resultieren kann.

Ein Studienüberblick [2] aus Deutschland zeigt auf, dass Gewalt gegenüber Pflegebedürftigen – neben Unwissen – auch auf Überlastungssituationen zurückgeht. Unter Gewalt wird eine relativ breite Palette von Vorkommnissen gefasst: Sowohl körperliche Gewalt als auch verbale oder psychische Übergriffe, Freiheitsentzug, sexueller oder finanzieller Missbrauch. Die Autoren der Metastudie weisen explizit auf den in Studien nachgewiesenen Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand pflegender Angehöriger hin. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Faktoren, die Gewalt in der privaten, häufig isolierten Umgebung des familiären Haushalts begünstigen. Die Autoren schlussfolgern, dass die Wahrscheinlichkeit von Gewalt gegenüber Pflegebedürftigen (und auch Pflegenden) in einem privaten Umfeld höher sein dürfte als in einem institutionellen.

Welche Massnahmen werden bereits ergriffen?

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) liess dies in der Studie «Massnahmen für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung in Unternehmen der Schweiz» [3] untersuchen, deren Ergebnisse bereits im Oktober 2019 vorgelegt wurden. Sie zeigen, dass Unternehmen häufig Lösungsszenarien für betreuende Angehörige entwickeln: 20% aller Betriebe in der Schweiz mit mindestens fünf Mitarbeitenden hat aktuell oder in den letzten drei Jahren seit Befragung 2018 Erfahrungen damit gemacht, dass Mitarbeitende selber Angehörige betreuen oder pflegen. Dabei wurden lediglich Fälle erfasst, bei denen sich die Betreuung von Angehörigen am Arbeitsplatz aufgrund von Absenzen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen auswirkte.

Bei 95% der betroffenen Firmen wurden mehrere Massnahmen umgesetzt, um die Belastungssituationen mit den Mitarbeitenden zu meistern, wobei die Arbeitsorganisation das wichtigste Thema war (79%), das dann in der Regel über Teamabsprachen bearbeitet wurde. Mit flexibler Arbeitszeit (77%), bezahlten Kurzabsenzen oder Teilzeitarbeit wurden weitere Lösungen gefunden. Als weitere Szenarien kamen Homeoffice und längere bezahlte und unbezahlte Arbeitsabwesenheiten zur Sprache. In ihren Empfehlungen warnen die Autoren, kurzfristige Stützungsmassnahmen wie den Bezug von Ferientagen für die Pflege längerfristig zu etablieren. Für einen Erhalt der Gesundheit und der Erwerbsfähigkeit der betroffenen Mitarbeitenden empfehlen sie, Mitarbeitende für das Thema zu sensibilisieren und externe Beratung beizuziehen.

Wie entwickelt sich die Pflegesituation?

Um die oben genannten Massnahmen zielgenau zu platzieren und um einschätzen zu können, wie sich die Situation künftig entwickelt, ist es von grosser Bedeutung zu wissen, wie es um die häusliche Pflegesituation tatsächlich bestellt ist. Dafür relevante Daten zur Betreuungssituation im familiären und nicht-familiären Umfeld werden im Rahmen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) gewonnen. Die vorliegende systematische Auswertung [4] bezieht sich auf die Zahlen der Jahre 2000 bis 2013 (siehe Tabelle). Die wichtigsten Ergebnisse sind im Folgenden zusammengefasst.

Im Zeitverlauf ist die Anzahl der Personen, die mit Pflegebedürftigen im Haushalt leben, zwar relativ stabil geblieben, allerdings sind es häufiger Nicht-Erwerbstätige und Personen im Rentenalter, die Betreuungsleistungen für ihre Angehörigen erbringen.

Ungefähr ein Drittel der betreuenden und pflegenden Angehörigen befinden sich im Rentenalter. Der Frauenanteil ist bei der Pflege von Angehörigen ausserhalb des eigenen Haushalts besonders hoch (75%, konstant über den ausgewerteten Zeitverlauf). Unter den erwerbstätigen Betreuenden ist der Männeranteil leicht höher, was aber an der höheren Erwerbsquote liegt, so der Hinweis der Studienautoren. Spitexleistungen sind im gleichen Zeitraum gestiegen; ebenfalls ist die Anzahl der über 64-Jährigen in der Bevölkerung gewachsen. Die Autoren der Studie schliessen aus diesen Indikatoren, dass die Anzahl zu Hause lebender Personen, die auf Betreuung angewiesen sind, tendenziell steigt, was bedeutet, dass für Unternehmen Lösungen für das Betreuungsproblem in der Zukunft wichtiger werden dürften.

[1] Kaspar, Heidi: et al. Unterstützung für betreuende Angehörige in Einstiegs-, Krisen-und Notfallsituationen. 2019.
[2] Metastudie: Eggert, Simon; Schnapp, Patrick; Sulmann, Daniela: Aggression und Gewalt in der informellen Pflege. ZQP-Analyse. Zentrum für Qualität in der Pflege. Berlin. 2018.
[3] Ricka, Regula; Ilic, Dragan: Massnahmen für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung in Unternehmen der Schweiz.
[4] Bannwart, Livia; Dubach, Philipp: Statistische Auswertungen zur Anzahl Angehöriger, die Betreuungs- und Pflegeleistungen erbringen. Kurzbericht. Im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit BAG. Bern. 2016.

Take-Aways

  • Angehörige in der Betreuungsrolle unterliegen den Risiken der Isolation und Überlastung, die lange unbewusst bleiben, sodass sich chronische Erschöpfung oder Burn-out manifestieren.
  • Studien zeigen, dass Gewalt gegenüber Pflegebedürftigen auch auf Überlastungssituationen zurückgeht.
  • 20% aller Betriebe in der Schweiz mit mindestens fünf Mitarbeitenden haben Erfahrungen mit betreuenden Mitarbeitenden gemacht. Bei 95% der betroffenen Firmen wurden mehrere Massnahmen zur Unterstützung der Mitarbeitenden umgesetzt, wobei die Arbeitsorganisation das wichtigste Thema ist (79%).
  • Ungefähr ein Drittel der betreuenden und pflegenden Angehörigen befinden sich im Rentenalter. Statistiken lassen darauf schliessen, dass die Anzahl zu Hause lebender Personen, die auf Betreuung angewiesen sind, tendenziell steigt.

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