Sexuelle und sexistische Belästigung am Arbeitsplatz

Montag, 05. Juni 2023 - Aner Voloder
Belästigungen können sich unterschiedlich äussern. Entscheidend ist, dass ein Verhalten von Betroffenen als unerwünscht empfunden wird. Arbeitgebende ­müssen klarstellen, dass Belästigung nicht toleriert wird.

Als sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gilt jede unerwünschte Verhaltensweise mit sexuellem Bezug, die sich am häufigsten in folgenden Formen zeigt: anzügliche Bemerkungen über sexuelles Verhalten und Vorlieben, scheinbar zufällige Körperberührungen und aufdringliches Verhalten. Weitere Formen sind Annäherungsversuche, die mit Vorteilen oder dem Androhen von Nachteilen einhergehen, pornografisches Material im Arbeitsumfeld und nicht zuletzt physische Übergriffe und sexuelle Nötigung. Verhaltensweisen, die nicht unbedingt einen sexuellen Bezug aufweisen, eine Person jedoch aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Geschlechtsidentität herabwürdigen, fallen ebenfalls darunter (sexistische Belästigung). Dazu gehören sexistische Sprüche, peinliche Bemerkungen über das physische Erscheinungsbild, den Geschlechtsausdruck oder die sexuelle Orientierung der Betroffenen.

Belästigendes Verhalten, das ausserhalb der regulären Arbeitszeiten stattfindet, gilt als Belästigung am Arbeitsplatz, sofern der Bezug zum Arbeitsverhältnis besteht (z.B. beim Betriebsausflug, am Jahresessen, auf Geschäftsreise oder via Social Media etc.).

Unerwünschtheit und Machtmissbrauch

Sexuelle und sexistische Belästigung unterscheiden sich von auf Gegenseitigkeit beruhender Sympathie oder einem freundschaftlichen Umgang am Arbeitsplatz. Sie sind von Seite der Betroffenen immer unerwünscht und bedeuten eine Missachtung ihrer persönlichen Grenzen. Diese Grenzen definiert jede Person für sich.

Für die Beurteilung, ob es sich um sexuelle Belästigung handelt, gibt es eine einfache, allgemeine Regel: Ausschlaggebend ist das Empfinden der betroffenen Person in der konkreten Situation und wie eine oder mehrere Verhaltensweisen bei ihr ankommen – und ob sie diese als erwünscht oder unerwünscht empfindet. Dabei ist es nicht von Belang, von wem das belästigende Verhalten ausgeht: von anderen Mitarbeitenden oder Vorgesetzten, von der Kundschaft oder sonstigen Dritten. Massgebend ist lediglich, ob die betroffene Person im Unternehmen angestellt ist oder nicht.

Zudem stellt sexuelle Belästigung in aller Regel die Ausnutzung eines Machtgefälles im Betrieb dar. Dieses kann, muss aber nicht hierarchisch bedingt sein (Vorgesetzte/Untergebene). Ein Machtmissbrauch findet z.B. auch statt, wenn ein Mitarbeiter, der länger im Betrieb ist, eine neuangestellte Kollegin belästigt oder eine Kundin anzügliche Bemerkungen gegenüber einem Mitarbeiter macht.

Vorgesetzte und HR-Verantwortliche in der Pflicht

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist verboten. Alle Arbeitgebenden sind aufgrund verschiedener Erlasse (Obligationenrecht, Arbeitsgesetz, Gleichstellungsgesetz) dazu verpflichtet, ein belästigungsfreies Arbeitsklima zu schaffen, eine transparente und gut kommunizierte Ansprechkultur einzuführen sowie aktiv gegen Belästigungen vorzugehen, und zwar nicht nur nach einer Meldung oder Beschwerde, sondern auch bei dringendem Verdacht.

Vorgesetzte und HR-Verantwortliche haben eine Vorbildfunktion. Von grosser Bedeutung ist also, dass sie feine Dynamiken und Anzeichen frühzeitig erkennen und insbesondere auch ihr eigenes Verhalten reflektieren: Wie rede ich mit meinen Mitarbeitenden? Dulde ich belästigendes Verhalten oder trage ich sogar selbst zum sexualisierten Betriebsklima bei?

Problematisch sind in dieser Hinsicht auch allfällige Liaisons zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, da sich in solchen Konstellationen private und berufliche Interessen in die Quere kommen. Interessens- und Loyalitätskonflikte können aufgrund des Hierarchieverhältnisses kaum vermieden werden und zu Machtmissbrauch und Spannungen im Team führen.

Das Angebot für Unternehmen zur Prävention von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz «KMU konkret+»

Das Projekt bezweckt, das Bewusstsein von Kader und Mitarbeitenden in KMU im Umgang mit dem Thema sexuelle Belästigung zu trainieren und Unsicherheiten und Tabus abzubauen. Betriebe können so präventiv aktiv werden, ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen und ihre Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt steigern. Das Angebot gilt für KMU aller Branchen.

Das Angebot wird von einem professionellen Schulungsteam durchgeführt und besteht aus drei Teilen: Zunächst wird je eine Weiterbildung für Führungskräfte und eine Weiterbildung für Mitarbeitende im Präsenzstil mit Theaterszenen durchgeführt. Zur nachhaltigen Verankerung wird in einer dritten Sequenz ein betriebsinternes Reglement erarbeitet oder – falls bereits vorhanden – überprüft und ggf. überarbeitet. Bei Unternehmen mit weniger als fünf Führungskräften können die beiden Weiterbildungen in eine dreistündige Veranstaltung für alle zusammengelegt werden.

Mit einem finanziellen Beitrag zwischen 200 und 1000 Franken – je nach Grösse – können Betriebe dabei sein. Der grössere Anteil der Kosten wird durch Finanzhilfen des Bunds nach Gleichstellungsgesetz gedeckt.

Webseite des Angebots: kmukonkret.ch

Präventions- und Interventionspflicht des Unternehmens

Die Prävention sexueller Belästigung ist eine Führungsaufgabe (mit Unterstützung des HRM). Die unerlässliche Basis für die Verhinderung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist ein innerbetriebliches und auf die entsprechende Problematik zugeschnittenes Regelwerk, das Orientierung schafft sowie klar und unmissverständlich festhält, dass belästigendes Verhalten nicht geduldet wird.

Empfehlungen für Unternehmen:

  • Regelmässig Weiterbildungen zum Thema sexuelle und sexistische Belästigung anbieten.
  • Anlässlich der Jahres- oder Standortgespräche mit Mitarbeitenden den Schutz der persönlichen Integrität thematisieren.
  • Interne oder externe Vertrauenspersonen bezeichnen, die Betroffenen vertraulich und parteilich zur Seite stehen und ihnen in konkreten Vorfällen Handlungsmöglichkeiten und Vorgehensweisen aufzeigen.

Früherkennung als Teil der Präventionsarbeit erfordert zudem, dass Anzeichen wie Demotivation, Leistungseinbussen oder Krankheitsabsenzen beachtet und angesprochen werden, zumal sie oft Folge sexueller Belästigung sind. Dabei ist Aufmerksamkeit und Schutz insbesondere auf Temporär- und Teilzeitbeschäftigte sowie sexuelle und geschlechtliche Minderheiten im Betrieb (homosexuelle oder transidente Angestellte) zu richten. Eine erhöhte Sorgfaltspflicht gilt ferner jüngeren Mitarbeitenden (Lernende oder Angestellte im Praktikum), die häufiger von Belästigungen am Arbeitsplatz betroffen sind.

Die Intervention bei konkreten Fällen beinhaltet zumindest zwei getrennte Klärungsgespräche mit der betroffenen und der beschuldigten Person sowie den umfassenden Schutz der Betroffenen und ihrer Arbeitsplätze. Ergibt die interne Abklärung, dass sexuelle Belästigung vorliegt, sind gegenüber tatausübenden Mitarbeitenden geeignete arbeitsrechtliche Massnahmen zu ergreifen, und zwar auf allen Hierarchiestufen. Diese können je nach Schweregrad des fehlbaren Verhaltens vom mündlichen Verweis bis hin zur fristlosen Kündigung reichen.

Gegenüber Externen können andere Sanktionen in Erwägung gezogen werden, etwa Abmahnung, Abbruch der Geschäftsbeziehungen oder Hausverbot. Betroffene können immer verlangen, dass Arbeitgebende eingreifen und belästigendem Verhalten ein Ende setzen. Sobald eine Beschwerde eingereicht ist, sind Betroffene sowie bezeugende Personen gemäss Gleichstellungsgesetz gegen die sogenannte Rachekündigung geschützt, und zwar während des ganzen Verfahrens sowie sechs Monate darüber hinaus.

Take Aways

  • Anzügliche Bemerkungen, aufdringliches Verhalten oder pornografisches Material gelten als sexuelle Belästigung, die am Arbeitsplatz nicht geduldet werden darf.
  • Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen sind zwar nicht verboten, bergen aber Potenzial für Interessenskonflikte und Spannungen im Team.
  • Die Prävention sexueller Belästigung ist eine Führungsaufgabe. Dazu zählt ein Regelwerk, das klar und deutlich zeigt, dass unangemessenes Verhalten nicht toleriert wird.
  • Vorgesetzte und HR-Verantwortliche haben eine Vorbildfunktion. Sie sollten feine Dynamiken und Anzeichen frühzeitig erkennen und insbesondere ihr eigenes Verhalten reflektieren.
  • Tatausübende Personen – Mitarbeitende, Kundschaft oder weitere Dritte – sind mit geeigneten Sanktionen zu belegen.

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