Ehe für alle, gleiche Rechte für alle?

Donnerstag, 01. September 2022 - Wolfgang Bürgi
Die Ehe steht auch gleichgeschlechtlichen Paaren offen. Damit sind sie weitgehend gleichberechtigt. Ungleichbehandlungen zwischen Frauen und Männern gibt es trotzdem. Hinsichtlich der Sozialversicherung lohnt sich eine Umwandlung der eingetragenen Partnerschaft zur Ehe nur für Frauen.

Seit dem 1. Juli 2022 ist die «Ehe für alle» in Kraft. Damit können auch gleichgeschlechtliche Paare den Bund der Ehe schliessen. Nicht mehr möglich ist das Eingehen einer eingetragenen
Partnerschaft. Eine bestehende eingetragene Partnerschaft kann aber weitergeführt oder in eine Ehe umgewandelt werden. Viele gleichgeschlechtliche eingetragene Partnerinnen oder Partner mögen sich die Frage stellen, ob sie ihre eingetragene Partnerschaft umwandeln. Hierzu ist eine Abwägung vorzunehmen.

Während sich die eingetragene Partnerschaft auf das Partnerschaftsgesetz stützt, gilt für die Ehe das Zivilgesetzbuch. Weitere Gesetze knüpfen Rechtsfolgen an das Bestehen einer Ehe. Im Wesentlichen sind dies das Bürger-, Vermögens- und Sozialversicherungsrecht sowie die Gesetze im Zusammenhang mit der Adoption und der Samenspende.

Im Bereich der Sozialversicherungen wurde bis jetzt eine gleichgeschlechtliche eingetragene Partnerschaft einer Ehe zwischen Mann und Frau gleichgestellt. Mit der Ehe für alle erfolgt deshalb keine grundlegende Anpassung der Gesetze. Aber, wie so oft, liegt der Hund im Detail begraben.

Männer bei Hinterlassenenrente benachteiligt

Bereits im Vorfeld unter Befürwortern und Gegnern der «Ehe für alle» heiss diskutiert wurde die Hinterlassenenrente. Diese wird beim Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) wie auch im Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG) nach Geschlecht angewendet und sorgte deshalb für Differenzen.

So erhält ein Witwer von der AHV nur eine Hinterlassenenrente, wenn er für minderjährige Kinder unterhaltspflichtig ist. Witwen dagegen haben auch dann Anspruch, wenn sie volljährige Kinder haben oder wenn sie zum Zeitpunkt des Todes des Ehepartners und neu der Ehepartnerin das 45. Lebensjahr vollendet haben und mindestens fünf Jahre verheiratet waren.

Im UVG erhält ein Witwer eine Rente, wenn er eigene rentenberechtigte Kinder hat oder mit anderen, durch den Tod des Ehegatten rentenberechtigt gewordenen Kindern im gemeinsamen Haushalt lebt. Zusätzlich entsteht ein Rentenanspruch, wenn der Witwer zu mindestens zwei Dritteln invalid ist oder es innert zwei Jahren seit dem Tod des Ehegatten wird. Die Witwe hat zusätzlich Anspruch auf eine Rente, wenn sie bei der Verwitwung Kinder hat, die nicht mehr rentenberechtigt sind, oder wenn sie das 45. Altersjahr zurückgelegt hat. Bei Ehen, die weniger als fünf Jahre gedauert haben und keinen Rentenanspruch auslösen, hat die Witwe Anspruch auf eine Abfindung.

Witwerrente für alle bei eingetragener Partnerschaft

Während bei einer gleichgeschlechtlichen Ehe für Männer die Witwerrenten-Lösung und für Frauen die Witwenrenten-Lösung gilt, wird für Frauen in einer eingetragenen Partnerschaft ohne Umwandlung in eine Ehe immer die Witwerrenten-Lösung angewendet. Geschlechtsneutral verhalten sich die meisten Institutionen in der beruflichen Vorsorge.

Die Ungleichbehandlung bei den Hinterlassenenrenten ist historisch begründet. Die Sozialversicherungen wurden auf einem inzwischen überholten Rollenmodell von Mann und Frau entwickelt mit der Usanz, dass Männer zur Arbeit gehen und Frauen die Kinder versorgen. Entsprechend grosszügig ist die Absicherung von Frauen gegenüber Männern bei den Hinterlassenenrenten.

Vaterschaftsentschädigung auch für Ehegattin der Mutter

Dem gegenüber war die Vaterschaftsentschädigung bisher nur auf Männer ausgerichtet. Mit der Inkraftsetzung der «Ehe für alle» kann neu auch die Ehegattin der Mutter eines Kindes einen Anspruch auf 14 Tage Vaterschaftsentschädigung geltend machen.

Ehe statt eingetragene Partnerschaft bringt Vorteile ausserhalb der Sozialversicherungen

Die Umwandlung einer gleichgeschlechtlichen eingetragenen Partnerschaft in eine Ehe ist, auf die Sozialversicherungen bezogen, nur für Frauen interessant. Trotzdem werden sich auch viele Männer, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, die Umwandlung in eine Ehe überlegen, gilt es doch weitere Unterschiede zwischen der eingetragenen Partnerschaft und der Ehe abzuwägen. Und diese Unterschiede betreffen mit Ausnahme der Rechte zum Erhalt der Samenspende für Frauen beide Geschlechter.

Es sind dies im Vermögensrecht die Gütertrennung in einer eingetragenen Partnerschaft gegenüber der Errungenschaftsbeteiligung in einer Ehe (siehe Artikel «Dein und mein» im Fokus Zivilstand). Das Bürgerrecht, wenn es sich um binationale Paare handelt, durch die erleichterte Einbürgerung für den ausländischen Ehemann oder die ausländische Ehefrau. Oder, sofern Kinder im Spiel sind, die Rechte zur Adoption. Nicht zuletzt werden viele den Schritt in eine Ehe auch einfach aus rein emotionalen Gründen eingehen. Alle frisch Verliebten brauchen sich die Frage der Umwandlung aber gar nicht zu stellen. Sie dürfen direkt den Bund der Ehe schliessen.

Zusammenfassend lässt sich so oder so sagen, dass die «Ehe für alle» einen historischen Schritt für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare darstellt.

Take Aways

  • Gleichgeschlechtliche Paare können seit dem 1. Juli den Bund der Ehe schliessen, aber keine eingetragene Partnerschaft mehr. Eine gleichgeschlechtliche eingetragene Partnerschaft kann in eine Ehe umgewandelt werden.
  • In der «Ehe für alle» sind Frauen bei den Sozialversicherungen in wenigen Bereichen bessergestellt als Männer:
  • Das Ableben der Ehepartnerin in einer Ehe führt bei lesbischen Paaren dazu, dass die überlebende Ehepartnerin von der AHV zusätzlich eine Hinterlassenenrente erhält, wenn sie mindestens 45 Jahre alt ist und die Ehe fünf Jahre gedauert hat.
  • Von der Unfallversicherung erhält die überlebende Partnerin zusätzlich eine Hinterlassenenrente, wenn Kinder vorhanden sind, die nicht mehr rentenberechtigt sind, oder sie mindestens 45 Jahre alt ist. Dauerte die Ehe weniger als fünf Jahre, besteht Anspruch auf eine Abfindung.
  • Bei der Vaterschaftsentschädigung kann neu auch die Ehepartnerin der Mutter des Kindes einen Anspruch auf 14 Tage Vaterschaftsentschädigung stellen.

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