War die Forderung nach dem vollen Teuerungsausgleich gerechtfertigt?

Dienstag, 06. Juni 2023 - Gertrud E. Bollier, Gregor Gubser
Das Parlament forderte zum Jahreswechsel den vollen Teuerungsausgleich für AHV-Renten und somit die Abkehr von der Anbindung an den Mischindex. Eine langfristige Betrachtung der Rentenentwicklung lässt die Forderung als übereilt erscheinen.

Der Bundesrat hat gemäss gesetzlichen Vorgaben (Mischindex) per 1. Januar 2023 eine Erhöhung der AHV/IV-Renten um 2.5% beschlossen. Das war der Mitte zu wenig; die armen Rentenbeziehenden sollten den vollen Teuerungsausgleich erhalten. In einer Motion forderten sie die volle Teuerung gemäss Preisindex auszugleichen (2.8%); dies ab 1. Januar 2023.

Ausserordentlicher Teuerungsausgleich der AHV-Renten verworfen

In der Folge musste das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) eine Vorlage zur Umsetzung ausarbeiten. Technisch bedingt könnte die Rentenerhöhung erst ab 1. Juli 2023 erfolgen. Der Ausgleich von 0.3% zusätzlicher Teuerung hätte für die Zeit vom 1. Juli 2023 bis zum 31. Dezember 2024 die minimale Vollrente um monatlich 7 Franken und die maximale Vollrente um 14 Franken (auf 2464 Franken) erhöht. Zwingend hätten auch die entsprechenden Grenzwerte – abgesehen von der beruflichen Vorsorge – angepasst werden müssen. Dies hätte Mehrkosten von 418 Mio. Franken verursacht.

In der Frühjahrssession 2023 wurde diese Vorlage im Parlament behandelt. Sowohl im National- als auch im Ständerat wurde sie knapp verworfen und die Motion begraben. Es wurde (mehrheitlich) erkannt, dass dieser einmalige Zuschlag nicht zielführend ist und zu unverhältnismässigem Verwaltungsaufwand geführt hätte.

Rentenentwicklung liegt langfristig über der Teuerung

Nun kann man die Frage stellen, ob ein voller Teuerungsausgleich angemessen gewesen wäre oder ob sich der Mechanismus der Anpassung der AHV-Renten gemäss Mischindex bewährt hat (seit 1979 alle zwei Jahre). Stellt man die kumulierten AHV-Rentenerhöhung der kumulierten Teuerung (gemäss Landesindex der Konsumentenpreise, LIK) und der kumulierten nominalen Lohnentwicklung gegenüber, scheint sich das System zu bewähren (siehe Grafik 1). Demnach liegt die Entwicklung der AHV-Renten deutlich über der Preisentwicklung und nur geringfügig unter der Lohnentwicklung.

Schaut man sich die Teuerungsraten, die Lohnsteigerungen sowie die Rentenerhöhungen der jüngeren Vergangenheit an, so wird deutlich, dass die Rentenbeziehenden gerade in Jahren mit sinkenden Preisen von gleichbleibenden oder gar steigenden Renten profitiert haben (siehe Grafik 2). Lediglich die unerwartet hohe Teuerung im Jahr 2022, die im Jahr 2023 nur teilweise ausgeglichen wurde, lässt die Kaufkraft der AHV-Rentenbeziehenden temporär bis zur nächsten Anpassung etwas schwinden. In der Grafik erscheint die fehlende Rentenerhöhung im Jahr 2022 sehr drastisch. Im 2023 hingegen fand eine Erhöhung um 2.5% statt, die Teuerung und die Lohnentwicklung für das laufende Jahr sind noch nicht bekannt.

Diese Entwicklung lässt also den Schluss zu, dass die AHV-Renten kurzfristig mit der Preisentwicklung nicht immer Schritt halten – was auch in einer erst im Folgejahr ermittelten Lohnstatistik begründet liegt. In der mittel- bis langfristigen Betrachtung wird ein Kaufkraftverlust durch die regelmässige Anpassung an den Mischindex aber effektiv verhindert. Die parlamentarische Forderung, die AHV-Renten vollständig und ausschliesslich der Preisentwicklung anzupassen, war also voreilig – was das Parlament in der Frühjahrssession selbst eingesehen hat.

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