«Unternehmen müssen ihre Konflikte lieben lernen»
Die Organisationsberaterin und Mediatorin Dorothée Putzier berichtet von ihren Erfahrungen jenseits einer New-Work-Realität und über Chancen, die Konflikte bieten.
Kennen Sie diese Menschen, die einen immer gleich korrigieren, wenn man etwas falsch macht? Man sagt Bohäm (für Bohème) und ein Schlaumeier am Tisch wirft ein: «Es heisst Boem.» Das ist ausgesprochen schlechtes Benehmen, denn es verletzt das Taktgefühl aller in der Gesprächsrunde. Man nennt es auch Fremdschämen. Das Beispiel zeigt: Es gibt zwar Menschen, denen es egal ist, ob sie andere beschämen, aber für die meisten ist es ein Tabu, andere Menschen in der Öffentlichkeit blosszustellen.
In sozialen Zusammenhängen wie Familie oder Arbeitsleben ist es allerdings nicht unbedingt hilfreich, störende Verhaltensweisen oder Eigenschaften unter den Teppich zu kehren. Die Konfliktthemen müssen früher oder später auf den Tisch – aus Verantwortung für andere, weil Arbeitsergebnisse nicht stimmen oder weil die Zusammenarbeit mit anderen leidet. Je persönlicher die Themen werden, umso schwerer ist es, sie auf den Punkt zu bringen.
Vermeidungsverhalten
Heute liest man viel von Feedback-Kultur. Lebendiger, häufiger Dialog mit gegenseitigem, wertschätzendem Feedback ist eines der wichtigsten Instrumente, um Konflikte frühzeitig zu erkennen und sachgerecht zu besprechen (lesen Sie dazu auch den Fokus «Wertschätzung»). Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass auch Anstössiges auf einer intimeren Ebene angesprochen werden kann, bevor sich grössere Probleme daraus entwickeln. Wenn allerdings die Betroffenen von ihren schwierigen Verhaltensweisen nichts ahnen, weil niemand im Team ein offenes Wort riskieren will, wird die Forderung nach einem klärenden Gespräch an die Führungskraft herangetragen, was erste Fluchtinstinkte auslösen kann.
An diesem Punkt ist man gefordert, in sich hineinzuhören, wobei sich durchaus verschiedene Stimmen zu Wort melden können. Die Managerin hört: «Das muss umgehend geregelt werden!» Der mitfühlende Mensch möchte den anderen nicht verletzen, eine andere Stimme meldet sich höhnisch und empört über ein Verhalten, irgendwo meldet sich ein Funken Wut …
Der Hamburger Psychologe Friedemann Schulz von Thun hat in den 1980er Jahren das Modell des «Inneren Teams» entwickelt, um die Bedeutung der inneren Haltung in der Kommunikation zu erklären. Eine klare und harmonische innere Teamdynamik ist demnach entscheidend für gute Gesprächsführung. Die Art und Weise, wie Botschaften empfangen werden, ist nach diesem Modell von der Zusammensetzung des Inneren Teams des Gesprächspartners abhängig. Ein ausgeglichenes «Empfangskomitee» kann schwierige Botschaften erfolgreicher kommunizieren, denn es spricht mit einer Stimme und vermeidet unklare, einander womöglich widersprechende Botschaften und Signale.
Tipp: Nehmen Sie sich vor einem schwierigen Gespräch die Zeit, in sich hineinzuhören und Ihre innere Haltung klar zu identifizieren. Überlegen Sie, welche Ergebnisse Sie in dem Gespräch anstreben und welche eigenen Gefühle diese unterlaufen könnten. Diese können durch die Beziehung zum betroffenen Mitarbeiter beeinflusst sein.
Warum ist die innere Haltung von solcher Bedeutung? Dies erklärte Schulz von Thun anhand einer Metapher, in der er die verschiedenen Kommunikationsebenen, die in einem Gespräch die Wahrnehmung beeinflussen, als Ohren bezeichnete (siehe Grafik).
Das Selbstkundgabe-Ohr ist sehr empfänglich für unklare Botschaften und Haltungen. Eine klare Haltung im Gespräch schafft Orientierung darüber, wo das Problem liegt und was erwartet wird.
Auf der Sachebene ist eine klare Argumentation und Ausführung der Konsequenzen des problematisierten Themas notwendig. Je konkreter die Beispiele, desto greifbarer wird die Situation für das Gegenüber. Formulierungen wie: «Mir ist zu Ohren gekommen, dass …», laden quasi dazu ein, die Fakten vom Tisch zu wischen.
Tipp: Klären Sie auf der Sachebene, um welche Probleme es geht, wie sie sich in konkreten Situationen gezeigt haben und welche Folgen sie haben. Sammeln Sie Informationen. Dazu können auch medizinische oder rechtliche Themen gehören.
Bevor allerdings das Sach-Ohr wirklich in Aktion tritt, ist bereits das Beziehungs-Ohr mit seiner Grundeinstellung, eher schlechte Nachrichten zu empfangen, auf dem Posten. Das ist nichts Persönliches, sondern eine allgemein menschliche Disposition. Wertschätzende Beziehungssignale unterstützen deshalb den Gesprächsverlauf. In Konfliktsituationen ist es wichtig, sich der Empfindlichkeit des Beziehungs-Ohrs bewusst zu sein.
Tipp: Wertschätzung beginnt bei der Einladung zum Gespräch, die möglichst nicht verklausuliert sein sollte. Schaffen Sie einen ungestörten räumlichen und zeitlichen Rahmen.
Aktives Zuhören, zusammenfassendes Wiederholen des vom Gegenüber Gesagten und Nachfragen signalisieren echtes Interesse und das Streben nach Verständnis.
Tipp: Achten Sie in Kritikgesprächen darauf, dass Sie als Kritisierender nicht mehr sprechen als der oder die Kritisierte. Aktives Zuhören heisst vor allem Zuhören und Fragen stellen.
Ist das Beziehungs-Ohr zu dominant, werden Handlungsaufforderungen vom Appell-Ohr nicht mehr wahrgenommen. Zeigt eine Führungskraft beispielsweise ausgeprägte Fürsorge und berichtet ausgiebig von eigenen Erfahrungen ähnlicher Natur, dann geht die «Ansage» zur Verhaltensänderung möglicherweise unter.
Tipp: Formulieren Sie Ich-Botschaften, um persönliche Haltungen und Wertvorstellungen transparent zu machen. Auch das Einflechten eigener Erfahrungen erleichtert dem Gegenüber die Kommunikation auf Augenhöhe.
Eine andere Falle kann die Anwendung der sogenannten Sandwich-Technik im Gespräch sein, die von Feedback-Gesprächen geläufig ist: Eine positive Eröffnung, gefolgt von Kritik, gefolgt von einer Nettigkeit. Dieses «Einschleimen» wird auch Ease-in genannt und kann bei wirklich kritischen Gesprächen durchaus in die falsche Richtung ausschlagen. Ursache ist häufig eine oberflächliche Anwendung dieser Technik, die beim Gegenüber zu Irritationen führen kann, da sie durchschaut wird.
Tipp: Überlegen Sie, welche Verhaltensweisen zukünftig gewünscht werden und welche Stärken des Gegenübers diese unterstützen können oder welche Schwächen ggf. Unterstützung erfordern. Denken Sie immer wohlwollend von Ihrem Gegenüber, versetzen Sie sich in seine Lage und reflektieren Sie seine Sichtweisen, Gedanken, Gefühle und Ambivalenzen. Welche Interessen des Gegenübers könnten bedroht sein?
Trotz aller Reflexionen und strukturierter Vorgehensweisen ist es gut möglich, dass sich eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter momentan von der Konfrontation überfordert fühlt und emotional reagiert. Es kann zu Tränen kommen oder auch zu Wutausbrüchen, die häufig die Kehrseite der Hilflosigkeit sind.
Geben Sie solchen Ausbrüchen Zeit und verschieben Sie das Gespräch notfalls auf einen anderen Zeitpunkt. Es kann durchaus vorkommen, dass einem ohnehin nichts anderes übrigbleibt, weil die Mitarbeiterin wutentbrannt zur Tür hinausstürmt – ein Verhalten, das wiederum Gesprächsbedarf erzeugt. Besser ist es jedoch, das Gegenüber wieder etwas zur Ruhe kommen zu lassen, um gemeinsam nächste Schritte zu vereinbaren. Ausgeprägte Impulsivität und ein hochsensibles Beziehungs-Ohr können eine grosse Herausforderung in der Gesprächsführung sein.
Eine Vorbereitung auf den verschiedenen Gesprächsebenen Sachebene, Appellebene, Beziehungsebene und Selbstkundgabe wirkt auf den ersten Blick aufwendig, ist aber gerade bei sehr persönlichen Themen hilfreich. Das Gespräch selbst kann immer überraschende Wendungen nehmen, auf die sich die Führungskraft einlassen kann, aber nicht immer sollte.
Tipp: Verschiebt sich das Gespräch deutlich von der Sachebene in die Beziehungsebene, beispielsweise mit Vorwürfen oder Wut, ist eine Unterbrechung angezeigt, die man dafür nutzt, um auf einer Metaebene über die Art und Weise der Kommunikation zu sprechen.
Die Einleitung des Gesprächs durch die Führungskraft legt den Grundstein für den weiteren Verlauf. Setzen Sie Signale der Wertschätzung, Zugewandtheit und Offenheit, aber spielen Sie dabei nicht den Gesprächsanlass herunter.
Stellen Sie präzise das Problem, seine Manifestationen und Häufigkeit dar. Beschreiben Sie konkrete Situationen. Stellen Sie Folgen für die Zusammenarbeit und/oder das Arbeitsergebnis dar.
Tipp: Beachten Sie folgende Gesprächsregeln: Fakten statt Hypothesen, klare Unterscheidung zwischen beobachtetem Verhalten und Mutmassungen, Vermeidung von Verallgemeinerungen, Übernahme von Verantwortung für die Kritik.
Die Führungskraft hört aktiv zu und vermeidet eigene Hypothesen über die Ursachen des Fehlverhaltens. Sie zeigt Verständnis, ohne unbedingt einverstanden zu sein, und erhält wichtige Informationen. Die Sichtweise des Gegenübers wird akzeptiert und verstanden.
Die Führungskraft erläutert (ggf. wiederholt), welches Verhalten aus welchen Gründen vom Gegenüber erwartet wird.
In einem ggf. neu angesetzten strukturierten Gespräch werden zusammen mit dem Gegenüber Lösungen erarbeitet. Die Führungskraft sollte in Erfahrung bringen, ob es bereits in der Vergangenheit Lösungsversuche, die ggf. gescheitert sind, gab. Auf die Durchsetzung eigener Lösungen ohne Beteiligung des Gegenübers sollte verzichtet werden.
Tipp: Nehmen Sie emotionale Reaktionen nicht persönlich. Zeigen Sie Wohlwollen und signalisieren Sie Unterstützung. Setzen Sie aber auch klare Grenzen für inadäquates Verhalten, wenn dies notwendig sein sollte.
Die Angst vor Konflikten scheint nicht ungewöhnlich zu sein. Eine kleine Umfrage in sozialen Netzwerken ergab, dass Menschen mit Führungskräften häufig Erfahrungen mit Konfliktvermeidungsverhalten bis hin zur Verdrängung machten. Eine weitere Coping-Strategie ist auch das «Spielen über Bande». Dabei werden beispielsweise andere Menschen instrumentalisiert, um schlechte Nachrichten zu überbringen, oder hinter dem Rücken der Betroffenen Gerüchte gestreut, die irgendwann unweigerlich beim Betroffenen landen. Mit solchen Verhaltensweisen sät man in der Regel, was man erntet: Zerwürfnisse und Team-Erosionen.
Auch kulturell gibt es Unterschiede in der Art und Weise, wie Kritik überbracht wird. «Klartext zu reden» ist beispielsweise in Deutschland akzeptiert, in der Schweiz kann diese Direktheit auf Widerstand stossen. Andersherum wird Indirektheit nur schwer von Menschen dekodiert, die mit den kulturellen Gepflogenheiten nicht vertraut sind. In multikulturellen Arbeitsumgebungen sollte man sich diese Unterschiede bewusst machen.
Manche Verhaltensweisen lassen sich in Verhaltens- oder Kleidungsordnungen o.ä. festhalten, allerdings ist das menschliche Verhalten so vielfältig, dass man nicht alle Eventualitäten präventiv regeln kann. Zudem können solche Regelwerke als Bevormundung empfunden werden. Sie sind nicht unbedingt im Sinne einer Kultur der Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Sollten allerdings bestimmte Probleme im Verhalten öfter auftreten, kann mit einer Gruppenansprache im Team das ein oder andere persönliche Kritikgespräch vermieden werden, beispielsweise wenn es um die Kleiderordnung im Kundenkontakt oder um das Verhalten am Telefon geht.
Tabus können auch Führungskräfte umgeben, die sich Schwächen nicht eingestehen können. Das ganze Team weiss Bescheid, aber keiner sagt etwas, während sich Blockaden bilden. Dabei kann diese Situation jede beliebige Person oder Gruppe treffen, die man nicht «an den Pranger» stellen will – sei es aus sozialen, menschlichen oder Hierarchiegründen.
Für dieses Problem schlagen die Organisationspsychologinnen Lisa Zigarmi und Julie Diamond in der deutschsprachigen Harvard Business Manager 6/23 ein Verfahren des sogenannten Framings vor. Framing bedeutet, ein Problem zu definieren und sprachlich einen Kontext (Rahmen, engl. Frame) zu geben, in dem es leichter anzusprechen ist. Die Autorinnen führen fünf Schritte für erfolgreiches Framing auf:
Die Problemstellung als gemeinsame Lernerfahrung zu framen, ermögliche es dem Team, die Problematik zu diskutieren, so die Autorinnen. Diese Herangehensweise lenkt die Aufmerksamkeit auf die Sache und nutzt Probleme als Anlass für Verbesserung und Wachstum.
Die Organisationsberaterin und Mediatorin Dorothée Putzier berichtet von ihren Erfahrungen jenseits einer New-Work-Realität und über Chancen, die Konflikte bieten.
Schwierige Gespräche mit guter Vorbereitung und dem Wissen um den rechtlichen Rahmen meistern.
Obwohl sie in der Praxis eine grosse Bedeutung haben, regelt das Gesetz das Führen von Mitarbeitergesprächen nicht ausdrücklich. Bei Gesprächen mit schwierigem Inhalt stellt sich daher die Frage nach den gesetzlichen Leitplanken.
Unangebrachtes Verhalten oder mangelnde Leistung sind zwei Beispiele die nach einem schwierigen Gespräch verlangen. Das Handout gibt Tipps zur Vorbereitung und Durchführung heikler Gespräch sowie Hinweise, was erlaubt ist und was nicht.
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