
Erfolgsfaktor Compliance für KMU
Compliance ist mehr als die Regelung und Sicherstellung von Rechtskonformität – sie schützt vor finanziellen, rechtlichen und Reputationsschäden. Deshalb ist das Thema auch für KMU relevant.
Dr. Nicole Vögeli Galli ist Rechtsanwältin, Fachanwältin SAV Arbeitsrecht und Dozentin an der ZHAW, an welcher sie den CAS Arbeitsrecht leitet. Zudem berät sie als Partnerin bei Suter Howald Rechtsanwälte AG Unternehmen zu arbeitsrechtlicher Compliance, schult HR-Teams und ist Expertin für Mobbingprävention, Whistleblowing und rechtssichere Personalprozesse.
Compliance bedeutet für HR weit mehr als das blosse Abarbeiten von Vorschriften. Penso sprach mit Dr. Nicole Vögeli Galli, Rechtsanwältin und Dozentin an der ZHAW, über die umfangreiche Verantwortung von HR. Sie stellt klar: «HR muss dafür besorgt sein, dass die Arbeitgeberin die gesetzlichen Vorgaben einhält – und gleichzeitig, dass sich die einzelnen Mitarbeitenden an ihre Pflichten zugunsten des Unternehmens halten.» Diese doppelte Verantwortung macht die HR-Rolle komplex. Sie reicht von der korrekten Behandlung der Mitarbeitenden bis hin zur Intervention, wenn diese selbst Pflichten verletzen. Wird zum Beispiel bekannt, dass Geheimhaltungsvorschriften missachtet werden, «dann muss das HR mit der Linie zusammen reagieren, denn das Unternehmen steht dafür gerade».
Besonders in grösseren Unternehmen gibt es oft eine zentrale Compliance-Abteilung. Sie ist, so Vögeli Galli, hauptsächlich für das Business zuständig, während HR für den arbeitsrechtlichen Teil die Ausführungsverantwortung trägt. Das bedeutet: Sobald HR Unregelmässigkeiten feststellt, muss es handeln – selbst wenn die Compliance-Abteilung davon noch nichts weiss. Versäumnisse können gravierende Folgen haben, und bei arbeitsrechtlich relevanten Themen können HR-Zuständige persönlich in die Verantwortung geraten, mahnt die Fachanwältin für Arbeitsrecht.
Diese Verantwortung ist nicht immer leicht zu tragen, denn HR bewegt sich in einem ständigen Zielkonflikt. Einerseits soll es eine «begleitende, positive Rolle» für Mitarbeitende spielen, andererseits «die Verantwortung des Unternehmensblicks vertreten». Hinzu komme die zunehmende «Verrechtlichung des Arbeitslebens». Vögeli Galli schildert ein typisches Dilemma: Wird etwa ein Mitarbeiter wegen Leistungsmängeln kritisiert und dieser reagiert mit einer Arbeitsunfähigkeitsmeldung, muss das Unternehmen schriftlich festhalten, dass es diese nicht verschuldet habe. «Vom Menschlichen her möchte man vielleicht schreiben: Es tut uns leid, dass es Ihnen nicht gut geht. Aber juristisch muss der Vorwurf der Gefährdung der Gesundheit des Mitarbeiters bestritten werden.»
Eine weitsichtige Präventionsarbeit ist in diesem Spannungsfeld entscheidend. Dazu gehört eine Unternehmenskultur, die Compliance-Themen in Mitarbeitergesprächen, Zielvereinbarungen und Beurteilungen verankert. Auch in der Personalarbeit lassen sich Risiken verringern – etwa durch Personal- oder Aufgabenrotation in sensiblen Bereichen, um unzulässige Verflechtungen zu verhindern.
Vögeli Galli empfiehlt – wie die weiteren Experten dieses Themenschwerpunkts – Compliance-Verstösse konsequent zu sanktionieren. Gleichzeitig gilt eine offene Fehlerkultur als Fundament für Innovation und Weiterentwicklung. Sie schafft psychologische Sicherheit, fördert den Mut, Irrtümer anzusprechen, und ermöglicht es, aus Fehltritten systematisch zu lernen. Wer offenlegt, was nicht funktioniert hat, trägt dazu bei, dass sich das Unternehmen verbessert und Risiken früh erkannt werden.
Bei Compliance-Verletzungen geht es allerdings nicht um kleine Irrtümer, sondern um Verstösse gegen Rechtsnormen und Unternehmenswerte, die schwerwiegende Folgen haben können. Würden solche Handlungen bagatellisiert, würde dies die Glaubwürdigkeit von Compliance untergraben. Sanktionen setzen deshalb ein klares Signal: Integrität ist nicht verhandelbar.
In einer differenzierten Unternehmenskultur sind Lernfelder, in denen Mitarbeitende durch Ausprobieren und Reflexion wachsen können, von «roten Linien» abzugrenzen, die Integrität schützen. Entscheidend ist eine transparente Kommunikation, die klarmacht, wo Lernchancen enden und wo konsequentes Handeln gefragt ist.
Einigkeit herrscht bei den Compliance-Experten auch hinsichtlich der Bedeutung eines funktionierenden Meldesystems für ein effektives Compliance-Management. Mitarbeitende sollten Unregelmässigkeiten ohne Angst vor Nachteilen melden können. «Gerüchte, Tratsch – darum geht es nicht», betont Vögeli Galli. Meldungen müssen konkret, überprüfbar und erklärbar sein, um Missbrauch zu verhindern. Die Gefahr, dass ein Hinweisgebersystem Mobbing begünstige, sieht sie nicht so leicht gegeben: «Mobbing liegt selten vor. Das Bundesgericht verlangt, dass es systematisch über einen längeren Zeitraum, also über sechs Monate, mit verschiedensten Handlungen betrieben wird und eigentlich auch von einer Gruppe ausgeht.» Einzelne Beleidigungen oder diffuse Meldungen von angeblichen Verstössen seien davon klar abzugrenzen.
Ein weiterer Schlüssel zum Meistern der Compliance-Herausforderungen in der Personalarbeit liegt in der Qualifikation der HR-Teams. Je nach Funktion seien vertiefte Kenntnisse in Arbeitsrecht, Sozialversicherungsrecht oder Datenschutz unverzichtbar. «Ab einer bestimmten Funktion kommt man um einen rechtlichen Hintergrund in HR nicht mehr herum», so Vögeli Galli. Sie leitet selbst den CAS Arbeitsrecht an der ZHAW. Daneben nennt sie den CAS Payroll Expert und den CAS Sozialversicherungsrecht für die Unternehmenspraxis als besonders wertvolle Ergänzungen – abhängig vom Aufgabenschwerpunkt. Auch eine solide Grundausbildung wie der Eidgenössische Fachausweis HR-Fachfrau/HR-Fachmann sei für viele Funktionen eine wichtige Basis. Vögeli Galli erlebt regelmässig, dass Teilnehmende nach Abschluss dieser Programme «eine grössere Sicherheit spüren und in heiklen Situationen auch viel souveräner agieren».
Schulung ist aber nicht nur für HR-Mitarbeitende wichtig, sondern auch für die gesamte Belegschaft. Heute sensibilisieren in der Regel Online-Schulungen für Themen wie Diskriminierung, Mobbing, Datenschutz oder Antikorruption. Viele Unternehmen absolvieren damit Pflichttrainings. Doch Vögeli Galli sieht den grössten Effekt in Präsenzformaten: «Ein Tagesseminar inhouse, bei dem auch über Selbsterlebtes gesprochen werden kann, setzt andere Denkprozesse in Gang.» Kurze Impulsreferate im Rahmen interner Anlässe hätten zudem oft den Effekt, dass Mitarbeitende erst danach über konkrete Vorfälle sprächen und sich über etwaige Missstände auszutauschen begännen, berichtet sie aus eigener Erfahrung.
Mehr zum Thema «Mobbing» im Fachartikel Recht: Arbeitgeberpflichten bei Mobbing am Arbeitsplatz
Die besondere Herausforderung im Schweizer Unternehmensalltag besteht darin, dass gesetzliche Anforderungen nicht zwischen Grosskonzernen und kleinen Betrieben unterscheiden. Es gelten dieselben Pflichten – und dieselben Sanktionen. Daher rät sie auch kleinen Unternehmen, sich zumindest buchhalterische und arbeitsrechtliche Beratung zu sichern.
Compliance im HR ist weit mehr als ein Regelwerk. Sie lebt von klaren Prozessen, fachlicher Kompetenz und gelebter Integrität. Wer diesen Spagat meistert, schützt das Unternehmen vor rechtlichen Risiken und trägt zugleich dazu bei, eine faire und vertrauenswürdige Unternehmenskultur zu gestalten.
Fehlerkultur und Compliance sind dabei keine Gegensätze, sondern einander ergänzende Prinzipien. Die Fehlerkultur schafft Offenheit und ermöglicht kontinuierliche Verbesserung. Compliance wiederum sichert Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit. Erst im Zusammenspiel entsteht eine Kultur, die Vertrauen wachsen lässt und gleichzeitig klare Standards wahrt.
Compliance ist mehr als die Regelung und Sicherstellung von Rechtskonformität – sie schützt vor finanziellen, rechtlichen und Reputationsschäden. Deshalb ist das Thema auch für KMU relevant.
Compliance ist ohne Arbeitsrecht nicht denkbar – und HR steht dabei oft in der ersten Reihe. Der Arbeitsrecht- und Compliance-Experte Michael Kummer erklärt, welche Vorschriften zwingend einzuhalten sind, wie persönliche Haftungsrisiken entstehen und warum klare, transparente Regeln und Sanktionen der beste Schutz vor Verstössen sind.
Bei Regelverstössen helfen klug konzipierte Leitplanken dem HR im Risikomanagement und beim Aufbau einer nachhaltig fairen Unternehmenskultur – auch in KMU.
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