Taggeldleistungen wirken sich negativ auf AHV-Renten aus

Donnerstag, 20. Januar 2022 - Cajus Läubli
Der Umgang mit Taggeldern der Kranken- und Unfallversicherung bei Lohnabrechnungen führt oft zu Problemen. Das müsste nicht sein, es gäbe eine einfache Lösung.

Auf Taggeldern der Kranken- und Unfallversicherung dürfen die Arbeitgebenden keine AHV-Beiträge abrechnen, sie gehören nicht zum AHV-pflichtigen Lohn [1]. Im Gegensatz etwa zu den Taggeldern der Arbeitslosenversicherung, des Erwerbsersatzes (Mutter- und Vaterschaftsentschädigung, Taggelder für die Dienstleistungen in Armee, Zivilschutz oder Zivildienst) und der Militärversicherung [2]. Das heisst aber mitnichten, dass diese Ersatzleistungen nicht AHV-pflichtig sein können – im Gegenteil: Wenn eine Person als nichterwerbstätig im Sinne des AHVG [3] gilt, werden AHV-Beiträge auf dem Vermögen und Renteneinkommen erhoben. Auch die Taggelder der Kranken- und Unfallversicherer werden beim Renteneinkommen berücksichtigt [4]. Daraus ergibt sich ein breiter Strauss an Problemfeldern, die folgende Beteiligte betreffen:

Arbeitgebende

Die Arbeitgebenden müssen sicherstellen, dass sie diese Taggeldleistungen nicht als AHV-pflichtigen Lohn mit der Ausgleichskasse abrechnen. Wird dies trotzdem gemacht und die Ausgleichskasse stellt es fest (zum Beispiel anlässlich einer Kontrolle), wird die AHV-Lohnsumme rückwirkend reduziert, und die zu viel bezahlten Beiträge werden den Arbeitgebenden zurückerstattet. Diese wiederum müssen rückwirkend die Lohnabrechnungen ihrer Mitarbeitenden richtigstellen, was Auswirkungen auf andere Sozialversicherungen, aber auch Lohnausweise haben kann. Die Arbeitgebenden sollten Arbeitnehmende, die Taggeldleistungen erhalten, auf die weg-
gefallene AHV-Beitragspflicht hinweisen und sie über die Auswirkungen und Möglichkeiten informieren.

Arbeitnehmende

Die Arbeitnehmenden bemerken in der Regel nicht, dass sie nicht mehr auf der gesamten Entschädigung des Arbeitgebers ihren Anteil an den AHV-Beiträgen bezahlen. Falls sie niemand darauf aufmerksam macht, kann dies zu tieferen Leistungen im Rentenalter führen (siehe Beispiele).
Falls sie es bemerken, müssen sie sich in der Regel selbst darum kümmern. Dafür nehmen sie mit der Ausgleichskasse Kontakt auf. Für die Arbeitnehmenden ein völlig neuer Ansprechpartner, mit dem sie bis dahin wohl kaum in direktem Kontakt standen. Die Ausgleichskasse klärt anschliessend ab, ob sie noch AHV-Beiträge bezahlen müssen. Die notwendigen Abklärungen sind meist umfangreich. Und es kann gut sein, dass die Arbeitnehmenden von der Ausgleichskasse eine Rechnung über vermeintlich bereits bezahlte AHV-Beiträge erhalten.

Ausgleichskassen

Die Ausgleichskassen haben einen hohen Beratungsaufwand. Einerseits im Austausch mit den Arbeitgebenden, andererseits und vor allem mit den Arbeitnehmenden. Diese sind in der Regel und verständlicherweise AHV-Laien. Ihre aktuelle Lebenssituation (langdauernde Krankheit / Unfall) ist zudem nicht gerade förderlich für einen gelassenen Umgang mit dieser Situation und ihre finanzielle Situation unter Umständen angespannt. Die Ausgleichskassen stossen deshalb selten auf Verständnis für ihr Verhalten.

AHV

Die AHV als Versicherung verliert Beitragssubstrat, da die Beiträge für Nichterwerbstätige deutlich tiefer sind als diejenigen für Erwerbstätige (siehe Beispiele).

Der Sonderstatus dieser Taggeldleistungen ist schwer nachvollziehbar und offensichtlich noch schwerer vermittelbar. Eine Internetsuche mit den Schlagwörtern «AHV Pflicht Taggelder» führt zu mehreren zehntausend Treffern. Das zeigt, dass die aktuelle Lösung bei allen Beteiligten zu Unsicherheiten führt, der Informationsbedarf ist hoch. Die Arbeitgebenden sind bei den Lohnabrechnungen verunsichert. Und bei den Arbeitnehmenden besteht ein Risiko von lebenslang tieferen Rentenzahlungen.

Beispiele:

Ausgangslage:

Alleinstehende Arbeitnehmerin mit Jahreslohn von 60000 Franken. Die Krankentaggeldversicherung leistet ein Taggeld von 36000 Franken*.

Beispiel 1:

Arbeitgeber bezahlt während eines Jahres den vollen Lohn weiter.
Taggeld: 36000
Beitragspflichtiger Jahreslohn: 24000 (60000 – 36000)
AHV/IV/EO-Beitrag: 2544 (Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezahlen je die Hälfte)
Eintrag im individuellen Konto der Arbeitnehmerin: 24000

Beispiel 2:

Arbeitgeber leistet nichts, es fliessen ausschliesslich Leistungen des Krankentaggeldversicherers.
Taggeld: 36000
Kapitalisierung Taggelder: 720000 (20× 36000)
Beiträge für Nichterwerbstätige: 1378 (vollständige Bezahlung durch Nichterwerbstätigen)
Eintrag im individuellen Konto der Arbeitnehmerin: 13000

Es ist gut ersichtlich, dass im Beispiel 2 von der betroffenen Person nicht nur ein höherer AHV-Beitrag bezahlt wird (1378 gegenüber 1272), sondern auch das für die Rentenberechnung relevante Einkommen deutlich tiefer ausfällt (13000 gegenüber 24000). Somit resultiert bei Leistungen von Taggeldversicherungen der Unfall- und Krankenversicherung eine doppelte Benachteiligung (höhere AHV-Beiträge für ein tieferes rentenrelevantes Einkommen).

* Dies sind stark vereinfachte Beispiele, die den Grundmechanismus aufzeigen sollen.

Die Lösung läge auf der Hand

Das kann aber weder im Sinne der Sozialpartner noch der Politik sein. Das Problem wäre auf den ersten Blick einfach zu lösen: Wir passen die Gesetzesgrundlagen dahingehend an, dass die Taggelder bei Krankheit und Unfall zum AHV-pflichtigen Lohn gehören. Das hat man in der Vergangenheit bei praktisch allen Taggeldleistungen bereits getan, und bei neuen Leistungen wird das weitergezogen (siehe Kasten Beitragspflichtige Taggelder). Schaut man etwas genauer hin, wären mit dieser Lösung allerdings die Kranken- und Unfallversicherer speziell gefordert. Sie würden dann wohl bei direkten Zahlungen an die Versicherten zu Arbeitgebenden.

Eine einfachere und pragmatischere Variante wäre deshalb, nur die Versicherungsleistungen, die an die Arbeitgebenden fliessen, der AHV-Beitragspflicht zu unterstellen. Das vereinfacht nicht nur die Lohnabrechnungen für die Arbeitgebenden deutlich, da es bei den Taggeldleistungen keine Ausnahmen mehr gäbe. Auch die Arbeitnehmenden hätten dann die Gewissheit, dass auf der gesamten Entschädigung ihres Arbeitgebers AHV-Beiträge bezahlt wurden.

Bei den Leistungen, die von den Taggeldversicherern direkt an die Bezüger fliessen (zum Beispiel nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses), würde von der Versicherung kein AHV-Abzug vorgenommen, genau wie bisher. Das wäre auf den Abrechnungen der Versicherer ersichtlich, und die Taggeldempfänger erhielten dadurch einen Hinweis auf allenfalls fehlende AHV-Abzüge. Zudem könnten die Versicherer die Empfänger mittels standardisierten Begleitschreibens ohne grossen Aufwand zusätzlich informieren.

Was macht die Politik?

Die Politik wäre also gefordert. Die beitragsrechtliche Beurteilung der Kranken- und Unfalltaggelder war bei der gescheiterten 11. AHV-Revision bereits ein Thema. Die Argumente dafür und dagegen decken sich mehr oder weniger mit meiner Argumentation oben, waren also nahe an den Problemen bei der praktischen Umsetzung. Im Differenzbereinigungsverfahren haben sich die Räte dann allerdings darauf geeinigt, den Status quo beizubehalten. Gegenwärtig wird in Bern über die Stabilisierung der AHV (AHV 21) beraten. In der Sommersession 2021 wurde ein Minderheitsantrag [5] eingebracht, der die Taggelder unter den AHV-pflichtigen Lohn subsumieren wollte. Die darin genannten Zahlen sind eindrücklich: Das Volumen der Taggeldzahlungen liegt bei 5.7 Milliarden Franken. Würden davon vollumfänglich AHV-Beiträge bezahlt, entstünde ein zusätzliches Beitragsvolumen von 740 Millionen Franken bei anwartschaftlichen Leistungen von 270 Millionen. Der Nationalrat hat den Antrag mit 114 Nein zu 76 Ja abgelehnt.

[1] Art. 6 Abs. 2 Bst. b AHVV.
[2] Art. 22a Abs. 1 AVIG, Art. 19a EOG, Art. 29 Abs. 3 MVG.
[3] Art. 28 und Art. 28bis AHVV.
[4] Art. 28 ff. AHVV.
[5] 19.050, Stabilisierung der AHV (AHV 21), Amtliches Bulletin, Das Schweizer Parlament, 3.12.2021.

Take-Aways

  • Werden Taggelder der Kranken- oder Unfallversicherung direkt an die Arbeitgebenden ausgezahlt, zählen diese nicht zum beitragspflichtigen AHV-Lohn und dürfen in der Lohnabrechnung nicht abgezogen werden.
  • Hingegen sind die Leistungen bei den Arbeitnehmenden als Nichterwerbstätige beitragswirksam.
  • Diese Praxis ist für alle Beteiligten kompliziert und weicht von jener anderer Taggelder ab.
  • Die Lösung wäre einfach: Die an Arbeitgebende ausbezahlten Taggelder müssten zum AHV-Lohn zählen.

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