«Zusagen kann jeder»

Donnerstag, 10. Juni 2021 - Claudio Zemp
Die Kandidaten geben auf dem Stellenmarkt momentan den Ton an: Candidate Experience ist das Wort der Stunde. Wie können sich Firmen darauf einstellen?

Nachgefragt bei Barbara Wieser, Geschäftsführerin Digital Heads GmbH

Frau Wieser, auf dem Arbeitsmarkt scheinen derzeit die Talente gute Karten zu haben. Wie hat sich die Wahrnehmung von Unternehmen in den letzten 10 Jahren verändert?

Aus Kandidatensicht sind in den letzten 10 Jahren die Unternehmenswerte noch wichtiger geworden. Es gab einen Shift:
Die Bewerber stellen Forderungen an Unternehmen, nicht mehr umgekehrt. Als Headhunter erleben wir hautnah, wie Firmen aufgefordert werden, gegenüber Kandidaten mehr Flexibilität zu zeigen. Etwa bezüglich Teilzeit, Homeoffice und Kinderbetreuung – oder dass man auch mal den bürogängigen Hund mitnehmen darf.

Was hat sich aus Sicht der Unternehmen geändert?

Ein Thema, das von Arbeitgebern zum Teil unterschätzt wird, sind die Bewertungen auf Portalen wie Kununu. Kandidaten machen sich im Vorfeld über potenzielle Arbeitgeber schlau, insbesondere auch über weiche Faktoren wie die Unternehmenskultur. Firmen können darauf eingehen, indem sie diese Kanäle aktiv pflegen – und allfällige heikle Punkte proaktiv ansprechen. Damit der Kandidat nicht nur alte Schlagzeilen kennt, sondern auch die neusten Engagements.

Wo zeigt sich das Zeitalter der Candidate Experience noch?

Dank LinkedIn kann der Kandidat das Wesen des Unternehmens mit seinen persönlichen Werten spiegeln und schauen, wie es zusammenpasst. Die Visibilität von Unternehmen und potenziellen Vorgesetzten im Netz ist mittlerweile so gross, dass sich Kandidaten besser auf Interviews vorbereiten können.

Tun sie es auch?

Ja. Man schaut, wer dort arbeitet, bevor man sich bewirbt. Auch dieser Umstand kann als Kommunikationsmittel von Unternehmen genutzt werden. Früher druckte man ja diese Hochglanzprospekte. Heute erreicht man mit genau auf die Zielgruppe ausgerichteten Video-Testimonials mehr. Zeitgemässes employer branding passiert heute quasi in Echtzeit und rund um die Uhr.

Sind Bewerberinnen allgemein kritischer geworden oder die Unternehmen besser?

Beides. Wir haben Kunden aus der Dienstleistungsbranche, die hohe Umsätze im digitalen Bereich generieren. Sie nutzen die entsprechenden Kanäle und Kompetenzen natürlich auch auf der Mitarbeitersuche. Einige Firmen haben interne Teams, die sich explizit nur ums Talent Management kümmern. Diese pflegen auch den guten Eindruck nach aussen und gehen auch mal aktiv auf potenzielle Kandidaten zu.

Was ist heute normal, was noch vor 5 Jahren gar nicht denkbar gewesen war?

Während der Pandemie ist es üblich geworden, dass man mehrheitlich Interviews mit Kandidaten digital führt. Diese digitalen Sessions, die in der Regel etwas kürzer sind, ermöglichen es, auch mal eine Runde mehr einzulegen. Oder Kandidaten werden aufgefordert, im Voraus selbständig ein Video zu drei Fragen, welche ihnen der potenzielle Arbeitgeber stellt, aufzunehmen. Das ist ein wahnsinnig ehrlicher Prozess, von Anfang an transparent. In mancherlei Hinsicht erzielen Video-Calls genauso gute Ergebnisse wie direkte Besprechungen. Trotzdem finde ich, dass man den potenziellen Mitarbeiter auch persönlich treffen sollte.

Wieso ist das noch nötig?

Ob die Chemie stimmt, zeigt sich nach wie vor erst, wenn man sich auch «riechen» kann. Das finden Sie beim Video-Interview nicht wirklich heraus. Natürlich muss ein Kandidat heute auch im digitalen Auftritt überzeugen – aber die Elektronik zeigt nie die volle Realität.

Was sind die wichtigsten Elemente einer guten Bewerbererfahrung?

Mehr denn je gilt es, nicht nur «mittendrin» einen guten Eindruck zu hinterlassen, sondern von A bis Z. Die schlimmsten Fehler passieren wegen fehlender Vorbereitung auf Interviews. Wichtig ist auch eine schnelle Reaktionszeit und eine durchgängige Transparenz im Rekrutierungsprozess. Damit der Kandidat jederzeit weiss, wie die nächsten Schritte und das Timing aussehen. Last but not least müssen Unternehmen das Absagemanagement im Griff haben. Hier finde ich: Wenn man jemanden persönlich getroffen hat, gehört es sich, dass man der Person auch persönlich absagt. Zusagen kann jeder. Plausibel und respektvoll formulierte Absagen sind für das nachhaltige Renommee aber ebenso entscheidend.

Was hat die Coronakrise verändert?

Dank der Pandemie sind Arbeitgeber flexibler geworden, bezüglich Arbeitszeiten, -formen und -orten. Das wird bleiben, sogar bei Führungspositionen ist ein Ruck Richtung mehr lebensnahe Dynamik durch die Wirtschaft gegangen. Der digitale Schub hat zudem gezeigt, dass auch ältere Profis zeitgemäss mit digitalen Kommunikationsmitteln umgehen können. Ich erlebe das als positiv für alle Beteiligten.

Headhunting since 2012

Barbara Wieser ist Gründerin, Inhaberin und Geschäftsführerin der Digital Heads GmbH. Die Firma rekrutiert Fachspezialisten und Führungskräfte im Digital Business seit knapp 10 Jahren.

Digital Heads

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