Europäische Vergleichsstudie: Schweizer Arbeitsbedingungen zeigen alarmierende Werte

Dienstag, 22. August 2023
Angestellten in der Schweiz geht es trotz hohem Stress am Arbeitsplatz gesundheitlich besser als Angestellten in Europa. Doch punkto Termindruck, Belästigung, Mobbing und Gewalt am Arbeitsplatz schneidet die Schweiz schlecht ab. Das zeigt eine vom Seco veröffentlichte Erhebung.
Auf die erwerbstätige Bevölkerung hochgerechnet existierten zum Erhebungszeitpunkt für rund 1,1 Millionen Angestellte in der Schweiz mehr belastende als entlastende Faktoren. Damit liegt die Schweiz elf Prozent unter dem europäischen Durchschnitt, wie das Seco bei einer Studienpräsentation in Bern festhielt. In der Schweiz berichteten namentlich weniger Angestellte über Belastungen des Bewegungsapparates als in Europa. So war der Anteil Angestellter mit Gesundheitsbeschwerden wie Muskelschmerzen in den Schultern, Rückenschmerzen oder Kopfschmerzen mit 37% in der Schweiz kleiner als in Europa, wo 46% der Angestellten drei oder mehr Gesundheitsbeschwerden angeben. Nichtsdestotrotz sah sich mit 55% der Befragten diesbezüglich insgesamt eine Mehrheit der Schweizer Angestellten belastet.
 
Termindruck, Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz
 
59% der Befragten in der Schweiz sahen zudem ihr Arbeitstempo als hoch an. Ein um zehn Prozentpunkte höherer Wert als bei den restlichen europäischen Arbeitnehmenden. Auch den Termindruck nahmen hiesige Angestellte stärker wahr als im restlichen Europa. Fast ein Viertel der Schweizer Erwerbstätigen sehen bei der Arbeit ihre Sicherheit oder Gesundheit in Gefahr. 10% beklagen sogar Belästigung, Mobbing oder Gewalt am Arbeitsplatz.
 
Schweizer arbeiten mehr in der Freizeit
 
Laut der Studie arbeiten Schweizerinnen und Schweizer offenbar auch häufiger in der Freizeit, um die Arbeitsanforderungen zu erfüllen. Hier ergab sich für die Befragten aus der Schweiz mit 36 Prozent ein um sieben Prozentpunkte höherer Wert als im restlichen Europa. «Der Schweizer Arbeitsmarkt ist auf verschiedenen Dimensionen sehr herausfordernd, aber auch sehr produktiv, sodass gewisse Belastungen auftreten», sagte Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit beim Seco. Trotz der guten Ausgangslage habe die Schweiz besondere Herausforderungen im Bereich des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz zu bewältigen, hiess es beim Seco.
 
Autonomie auf hohem Niveau
 
Den Unterschied zum restlichen Europa machten laut Seco in der Schweiz drei entlastende Faktoren in den Bereichen Beteiligung und Mitsprache: Die Anteile der Erwerbstätigen in der Schweiz waren in allen Bereichen höher als im europäischen Mittel. Auch konnten mehr Erwerbstätige in der Schweiz ihre Meinung kundtun, bevor ihre Ziele festgelegt wurden sowie Entscheidungen, die für ihre Arbeit wichtig waren, beeinflussen. Positiv bewerteten demnach 59% der Schweizer Angestellten ihre Karrierechancen, ihre Entscheidungsfreiheit (57%), die Mitsprache am Arbeitsplatz (65%) und die Unterstützung durch Vorgesetzte. Diese Werte waren laut der Studie allesamt höher als in Europa. Der Blick über die Grenzen zeigte, dass der Anteil Erwerbstätiger, die wichtige Entscheidungen beeinflussen können, in den deutschsprachigen Ländern jedoch über dem Schweizer Durchschnitt liegt.
 
Spezialstudie zur Belästigung am Arbeitsplatz in der Schweiz
 
Neun Prozent der Befragten in der Schweiz gaben an, durch Belästigung, Mobbing oder Gewalt am Arbeitsplatz belastet zu sein. Dieser Wert war im europäischen Vergleich höher. «Hier besteht Forschungsbedarf, da die Studienergebnisse mehr Fragen aufwerfen, als Antworten liefern», sagte der zuständige wissenschaftliche Mitarbeiter beim Seco, Ralph Krieger. Eine mögliche Erklärung für die höheren Werte im europäischen Vergleich sei jedoch die höhere Sensibilisierung auf das Thema in der Schweiz, wie der Leiter der Direktion Arbeit, Boris Zürcher ergänzte.
Die Gewerkschaft Unia reagierte in einer Mitteilung auf die Veröffentlichung der Studie und forderte die Arbeitgeber in der Schweiz dazu auf, mit Blick auf Stress sowie physische und psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz Verantwortung gegenüber den Beschäftigten zu übernehmen. (sda)

Zur EWCTS-Studie

Das Seco und die Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit nahmen zum dritten Mal an der Europäischen Erhebung über Arbeitsbedingungen (EWCTS) teil. Sie untersucht die Qualität der Arbeitsbedingungen anhand des Verhältnisses von Belastungen und Entlastungen. In der Schweiz wurden 1224 Erwerbstätige von Januar bis November 2021 befragt. Insgesamt wurden für die Studie mehr als 71000 Erwerbstätige aus 35 europäischen Ländern befragt. Vergleiche mit den früheren Erhebungen von 2005 und 2015 sind laut Seco nicht möglich, da die Art der Befragung der Angestellten wegen der Covid-19-Pandemie geändert werden musste.

Zum PDF-Download : 82013.pdf (admin.ch)

 

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