
Dossier: Chronische Krankheiten
Dauert eine Krankheit länger als ein paar Tage, stellen sich Fragen zu Lohnfortzahlung und Eingliederung.
Ich verantworte den gesamten Bereich Case Management bei Zurzach Care Prävention und Reintegration. Mein Team arbeitet im Auftrag Dritter. In der Regel sind das Arbeitgebende oder Versicherungen. Wir begleiten Menschen, die krankheitsbedingt arbeitsunfähig sind. Das geschieht entweder präventiv durch Massnahmen im Bereich betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) in Zusammenarbeit mit Arbeitgebenden oder häufig im Rahmen einer beruflichen Wiedereingliederung.
Das ist unterschiedlich. Manche grossen Unternehmen lagern einen Teil des BGM aus und nutzen uns als externes Case Management. Häufig sind
es aber auch Krankentaggeldversicherungen oder Pensionskassen, die sich im Hinblick auf Reintegration und Prävention zunehmend engagieren. Der Grund dafür sind die steigenden Risiken und Kosten.
Fatigue tritt in sehr unterschiedlichen Formen auf. Man kann nicht alle Fälle gleich behandeln. In unserem Setting geht es um schwerwiegende Verläufe, bei denen eine längere Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Wir werden häufig dann hinzugezogen, wenn medizinisch ein Wiedereinstieg in nächster Zeit denkbar erscheint, aber auch wenn der Zeitpunkt unklar ist oder das medizinische Setting nicht ideal erscheint, um die Genesung zur beruflichen Wiedereingliederung zu unterstützen und Klarheit zu gewinnen.
Fatigue infolge von Long Covid zeigt eine besondere Form der Erschöpfung. Die Betroffenen sind oft sehr motiviert, aber kognitiv und körperlich schnell überfordert. Anders als bei depressiver Antriebslosigkeit oder anderen krankheitsbedingten Formen der Fatigue führt Aktivierung bei Long Covid nicht zur Besserung. Im Gegenteil: Zu starke Aktivierung kann den Zustand sogar verschlechtern und kann zu Zusammenbrüchen, sogenannten Crashs (Post-Exertional Malaise PEM, dt.: Belastungsintoleranz oder Zustandsverschlechterung nach Belastung) führen. Gleichzeitig ist die Einstellung der Aktivität ebenfalls nicht förderlich, da sie zu Dekonditionierung führt. Das Herausfordernde besteht darin, den richtigen Grad von Aktivierung ohne Überforderung zu finden.
Wir arbeiten sehr behutsam. In der Therapie ist das Pacing-Prinzip zentral. Unsere Wiedereingliederung muss sich daran orientieren, idealerweise in guter Abstimmung mit dem medizinischen Setting. Die Betroffenen lernen, unterhalb ihrer individuellen Belastungsgrenze aktiv zu bleiben. Ziel ist es, Überlastungen und Rückschläge zu vermeiden. Wer zu schnell zu viel von sich verlangt, riskiert einen Rückfall mit einer Verschlechterung der Belastbarkeit.
ist diplomierte Sozialversicherungsexpertin mit CAS in Case Management (BFH). Seit 2012 begleitet sie Menschen bei beruflicher Reintegration und komplexen sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen. Bis Ende 2024 führte sie ein eigenes Büro für Case Management in Lenzburg. Sie engagiert sich als Dozentin in der Fortbildung. Seit 2025 leitet sie den Bereich Case Management Prävention und Reintegration bei Zurzach Care mit Fokus auf ganzheitliche Fallführung und nachhaltige Wiedereingliederung.
Viele Erkrankte erleben die dauerhafte Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit als tiefen Einschnitt in ihr Selbstbild. Dinge, die früher selbstverständlich waren, – wie einkaufen, konzentriert arbeiten oder soziale Kontakte pflegen – werden plötzlich zur Belastung. Das führt häufig zu einem Gefühl von Kontrollverlust. Hinzu kommen Schuld- und Schamgefühle, weil die Betroffenen ihrem eigenen Anspruch oder dem vermeintlichen Erwartungsdruck nicht mehr genügen. Durch erlebte Zusammenbrüche steigen zudem die Angst und die Hemmungen, Aktivitäten langsam wieder aufzubauen. Viele ziehen sich zurück, was wiederum zu Einsamkeit, sozialer Isolation und Dekonditionierung, also zu einem Rückgang körperlicher und geistiger Fähigkeiten, führen kann. Der Weg zur Akzeptanz der Situation ist oft lang und mit vielen inneren Konflikten verbunden. Dabei hilft eine kontinuierliche therapeutische Begleitung, die emotionale Stabilität fördert und beim Aufbau realistischer Selbstbilder unterstützt.
Das Verhalten der Arbeitgebenden ist zentral. Eine offene und transparente Kommunikation im Team kann Schuldgefühle abbauen und die Rückkehr erleichtern. Dazu ist natürlich das Einverständnis der Betroffenen notwendig.
Gleichzeitig braucht es strukturelle Anpassungen am Arbeitsplatz. Aufgaben sollten sinnvoll verteilt werden. Ein realistisches Pensum entlastet alle Beteiligten. Personalverantwortliche sollten dabei auch mögliche Zusatzbelastungen im Team im Blick behalten. Wenn eine Rückkehr mit reduziertem Pensum erfolgt, kann das zu Unmut oder Überlastung anderer Teammitglieder führen. Hier hilft es, frühzeitig zu kommunizieren, organisatorische Lösungen zu finden und das Team aktiv einzubinden.
Die Anpassungen können auf den drei Ebenen Gestaltung der Arbeitszeit, des Arbeitsplatzes sowie der Arbeitsaufgaben erfolgen. Die jeweiligen Möglichkeiten müssen in Zusammenarbeit mit dem Betrieb geprüft werden. In zeitlicher Hinsicht sind flexiblere Arbeitszeiten, flexible Pausenregelungen, keine Schichtarbeit und wenn möglich Homeoffice denkbare Anpassungen. Am Arbeitsplatz sind eine ruhige Umgebung, technische Hilfsmittel wie höhenverstellbare Arbeitsflächen, Eingabehilfe für den Computer, Transport- und Hebehilfen bei körperlichen Belastungen und die Schaffung von Ruhebereichen mögliche Unterstützungen. Wichtig ist zudem die Wahl der Aufgaben. Diese sollten unterbrechbar, möglichst ohne Termindruck und im Umfang dem Pensum angepasst sein. Die Arbeitsinhalte sollten so gestaltet sein, dass die Gefahr einer Überbeanspruchung vermieden wird. Welche der beschriebenen Massnahmen sinnvoll und umsetzbar ist, muss im Einzelfall evaluiert werden.
Die direkte Führungskraft ist die wichtigste Bezugsperson. Unterstützung durch das HR oder ein betriebliches Gesundheitsmanagement ist sinnvoll. Viele Unternehmen bieten auch die Möglichkeit eines externen Coachings oder Case Managements an. Sie koordinieren die therapeutische Begleitung und wahren die Privatsphäre gegenüber den Arbeitgebenden. Die Verortung der Vertrauenspersonen ausserhalb des Unternehmens erleichtert es Mitarbeitenden häufig, ihre zum Teil sehr privaten Anliegen zu kommunizieren. Zudem kann in Rücksprache mit den Betroffenen und dem medizinischen Setting auch für die Arbeitgebenden Klarheit und Sicherheit in der beruflichen Wiedereingliederung geschaffen werden.
In schwerwiegenden Fällen beginnen wir mit therapeutischen Arbeitsversuchen. Das sind erste Schritte zurück in den Arbeitsalltag, in denen noch keine produktive Leistung erwartet wird. In dieser Phase ist meist die Krankentaggeldversicherung zuständig. Später übernimmt die IV mit strukturierten Integrationsmassnahmen. Diese greifen jedoch erst, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Die betroffene Person muss mindestens acht Stunden pro Woche im Aufbau und seit sechs Monaten und weiterhin noch zu mindestens 50 Prozent arbeitsunfähig sein. Zudem dürfen die Massnahmen maximal zwölf Monate dauern. Diese Fristen machen eine enge Abstimmung notwendig. Zudem verläuft eine Reintegration bei Long Covid nicht immer linear. Es kann zu Crashes und Rückschritten bei der Belastbarkeit kommen.
Viele übernehmen zu früh zu viel Verantwortung. Sie wollen nur noch schnell etwas erledigen und überfordern sich dabei. Auch Lärm, soziale Kontakte oder komplexe Aufgaben können unterschätzt werden. Warnsignale werden häufig zu spät erkannt, obgleich die Therapie darauf abzielt, genau diese wahr- und ernst zu nehmen. Daher sind strukturierte Pausen und ein klarer Tagesablauf besonders wichtig. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass Betroffene durch die erlittenen Crashes Ängste und Hemmungen in Bezug auf die Aktivität erleiden und daher dazu wieder ermutigt werden müssen.
Sie hat sich verbessert. Anfangs war Long Covid schwer zu fassen, da objektive medizinische Marker fehlen. Trotz fehlender Objektivierbarkeit ist die Krankheit heute besser anerkannt. Auch die therapeutischen Angebote sind vielfältiger geworden. Das hilft uns in der Begleitung sehr.
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