Ich kann mich noch daran erinnern, als ich zum ersten Mal Bekanntschaft mit variablen Lohnanteilen machte. Ich heuerte als Chefredaktorin in einem internationalen Medienkonzern an und fand es eigentlich absolut ausreichend, mich für meine täglich engagiert geleistete Arbeit vernünftig bezahlen zu lassen. Dabei war ich motiviert und hatte Spass daran, Neues zu entdecken. Gleichwohl musste ich fortan akzeptieren, dass es einen variablen Lohnanteil gab, der abhängig von individuellen Zielvereinbarungen war. Diese Ziele allerdings habe ich selten erreicht – kein Wunder, denn mein Job war der Aufbau des Digitalgeschäfts. Die Etablierung neuer Geschäftsfelder verlangt mitunter Kurskorrekturen, die nicht sofortiges Wachstum bedeuten. So erhielt ich dann meine variablen Lohnanteile meistens für Leistungen, die nicht Bestandteil meiner quantitativen Ziele waren. Das war fair, widersprach nur in gewisser Weise dem Grundgedanken des Lohnsystems, in dem es um die Ausrichtung auf ganz bestimmte, einfach messbare Ziele in einem Zwölfmonatszyklus gehen sollte.
Fragen, die man stellen sollte:
- Welches Bonus- und Zielvereinbarungssystem passt zum Geschäftsfeld?
- Was zeichnet das Geschäftsfeld aus? Ist es stabil oder schwankend, vorhersagbar oder innovationsgetrieben, etabliert oder risikoorientiert, attraktiv für Wunschbewerberinnen oder eher nicht?
- Was gilt es zu belohnen? Und in welchen Zeiträumen?
- Mit welchen Anreizsystemen führt man intrinsisch motivierte Mitarbeitende effektiv zu konkreten Zielen?
Einen anderen Stellenwert hatte der variable Leistungslohnanteil in Form von Provisionen und Boni bei meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Verkauf. Trotz allgemeiner Verschwiegenheit zum Thema Lohn realisierte ich, dass Sales-Leute mitunter mehr verdienten als ihre Vorgesetzten aus dem Verlagsmanagement, was an dieser Provisionsregelung lag. Sie definierte abhängig vom erzielten Umsatz variable Lohnanteile zusätzlich zum vergleichsweise geringeren Festlohn. Tauschen
hätte ich mit dem Verkauf nie wollen, denn es lebt sich mit diesem Modell unter bestimmten Bedingungen äusserst unbequem.
In der erwähnten Aufbauphase des Digitalgeschäfts beispielsweise gab es noch keine Kundenbasis. Und da eben manche Entwicklungen nicht unbedingt linear verlaufen, war die Unzufriedenheit in der Verkaufsabteilung vorprogrammiert. Auch sonst beneidete ich die Sales-Teams nicht. Lief das Geschäft, waren die Kollegen in Partylaune und liessen sich die vielfältigen Ehrungen des Konzerns
zuteilwerden. Lief das Geschäft nicht, gab es kaum ein wirksames Mittel, die Motivation zu heben.
Fragen, die man stellen sollte:
- Welche Kennzahlen passen in die aktuelle Phase der Geschäftsentwicklung?
- Ist das Lohnsystem flexibel genug, um in verschiedenen Unternehmensphasen Leistungen im Verkauf zu belohnen?
- Wie wirkt sich das Provisionsmodell in Low-Performance- und High-Performance-Zeiten aus?
- Wie bindet man Menschen mit ausgeprägt extrinsischer Motivation in Krisenzeiten?
Intrinsische Motivation lässt sich über Boni für besondere Leistungen zwar positiv verstärken, was zur Mitarbeiterbindung beiträgt, aber monetäre Anreize sind nicht die Hauptmotivatoren. Intrinsisch motiviert zu sein, bedeutet allerdings im Umkehrschluss nicht, kein Verhältnis zu Geld zu haben.
Fragen, die man stellen sollte:
- Welche Leistungsziele sind für die Mitarbeitenden in verschiedenen Bereichen relevant?
- Wie sinnvoll sind Kennzahlensysteme?
- Wie planbar sind Projekt- oder Zeitziele?
- Welche Rolle spielt Teamarbeit im Verhältnis zur Arbeit Einzelner?
Andererseits sind ausgeschöpfte Provisionen auch keine Garanten für Motivation. Ich habe einmal einen Kollegen im Verkauf erlebt, der über Jahre dank einer günstigen Branchen- und Wirtschaftskonstellation finanziell weit über den Vergütungshorizont vergleichbarer Positionen und Branchen hinausschoss. Er verdiente in dieser Zeit nicht nur exorbitant viel, was mit Blick auf den Branchen-Benchmark den Verdacht zuliess, dass die Zielsetzungen nicht wirklich anspruchsvoll waren, sondern war auch ausgesprochen demotiviert, was wiederum den Verdacht zuliess, dass sich der Umsatz wohl noch hätte steigern lassen, wäre er voll bei der Sache gewesen. Was war passiert? Der Kollege befand sich in einem Dauerkonflikt mit seinem Chef. Es mangelte an gegenseitiger Wertschätzung.
Fragen, die man stellen sollte:
- Was sind die Vergütungs-Benchmarks in der Branche?
- Wie stellt man sicher, dass realistische, gleichwohl aber herausfordernde Ziele gesteckt werden?
- Was motiviert Menschen wirklich nachhaltig jenseits des Lohnsystems?
Ein kritisches Erweckungserlebnis hatte ich, als ich in einem Unternehmen über mein Jahressalär verhandelte und dabei von einem variablen Anteil die Rede war. Die Vereinbarung dazu war jedoch nicht Bestandteil des Arbeitsvertrags, wie ich leider feststellen musste. Auch war in der angeforderten schriftlichen Zusatzvereinbarung plötzlich von einem Bonus die Rede, nicht von einem variablen Lohnbestandteil. Auf das hiesige Arbeitsrecht vertrauend unterschrieb ich dennoch. Der Konflikt, der sich allerdings schon zu Beginn des Arbeitsverhältnisses abzeichnete, sollte mich in den folgenden Jahren in diesem Unternehmen in schier endlosen Bonusdiskussionen mit Mitarbeitenden begleiten – zu nebulös war die Haltung des Unternehmens zu den Voraussetzungen eines solchen Bonus, zu unpräzise erwiesen sich die individuellen Vereinbarungen, zu wenig detailliert das Reglement.
Fragen, die man stellen sollte:
- Was will das Unternehmen mit einem Bonussystem in wirtschaftlicher Hinsicht erreichen?
- Welche Rolle spielt das Freiwilligkeitsprinzip und was bedeutet das für die Höhe des Fixlohns?
- Welche Erwartungen der Mitarbeitenden will man erfüllen, welche nicht?
- Welche Anreize für welches gewünschte Verhalten will man setzen?
Nicht zuletzt aufgrund dieser aufreibenden Erfahrung wurde ich in späteren beruflichen Stationen zu einer Verfechterin von pauschalen Teamzielen, sowohl unternehmensübergreifend in Form einer Gewinnbeteiligung der gesamten Belegschaft (auch in Form von Optionen oder Aktien) als auch in Verbindung mit Performance-Zielen einzelner Bereiche. Für die monetäre Anerkennung von aussergewöhnlichen individuellen oder Teamleistungen bevorzugte ich sogenannte Spot-Boni. Wenn es für Spot-Boni allerdings kein stringentes System zur Bestimmung der Bonushöhe im Verhältnis zur Leistung und zur Identifikation belohnungswürdiger Leistungen gibt, hängt schnell wieder der Haussegen schief: Ist der Rahmen für Spot-Boni nicht sauber definiert, sehen sich die Mitarbeitenden mit unklaren Massstäben konfrontiert. Dies kann zu Konflikten oder enttäuschten Erwartungen führen, vor allem dann, wenn der Bonus in derselben Form zu häufig wiederholt wird, was ihn auch arbeitsrechtlich in die Nähe eines geschuldeten Lohnanteils rückt.
Rahmenrichtlinien für variable Lohnsysteme gestalten
Leistungsabhängige Provisions- oder Kommissionssysteme werden meistens – aber nicht immer – an ein Festgehalt angedockt. Variable Lohnanteile wie Prämien oder Zielvereinbarungen ergänzen ein Festgehalt.
Das Lohnsystem legt die Bemessungsgrundlage (z.B. Umsatz, Anzahl neu gewonnener Kunden, Gewinn vor Steuern und Abschreibungen oder andere Kennzahlen) fest. Empfehlenswert sind Angaben zum Referenzsystemen für vereinbarungsrelevante Kennzahlen, die aus systemtechnischen oder buchhalterischen Gründen in verschiedenen Systemen abweichend dokumentiert sein können.
Daneben muss festgehalten werden, wie in der Praxis Umsatz- oder andere Ziele vereinbart werden und für welche Berechnungszeiträume dies geschieht. Die Prozesse sollten transparent und zuverlässig umgesetzt werden können und auch entsprechend präzise beschreibbar sein (siehe dazu die Ausführungen von Urs Klingler).
Die Auszahlungsmodalitäten sollten ebenfalls festgelegt werden (monatlich, quartalsweise, jährlich, Umgang mit monatlichen Akontozahlungen auf eine erwartete Provision etc.). Es sollte aus der Vereinbarung auch ersichtlich sein, ob Teilzahlungen erfolgen, wenn die zugrundeliegenden Kennzahlen und Ziele nicht zu 100 % erreicht worden sind, und wie dann etwaige Teilzielerreichungen berechnet werden. Vor übermässiger Komplexität sei an dieser Stelle gewarnt. Die Provision oder der variable Lohnanteil kann von einer Individual- und/oder Teamleistung abhängig gemacht werden. Bei einem Provisionssatz gibt es Varianten: Er kann mit steigendem Umsatz konstant gleich bleiben oder sich progressiv oder degressiv entwickeln. Auch kann die Provisionierung ab einem Mindestumsatz oder bis zu einem Höchstumsatz limitiert werden. Welche Regelung jeweils sinnvoll ist, hängt mit der Vorhersagbarkeit des Geschäftsverlaufs zusammen und damit, ob dieser gleichmässig ist oder saisonal stark schwankt.
Sonderklauseln, die bei einem Ein- oder Austritt aus dem Unternehmen wirksam werden, gehören ebenfalls in ein Reglement. Hier wird geregelt, ab welchem Ein- bzw. bis zu welchem Austrittsmonat Mitarbeitende an der Provisions- oder Bonusregelung in welchem Ausmass teilhaben.
Gratifikationen, Boni, Sonderprämien oder Spot-Boni
Gratifikationen, Boni, Sonderprämien oder Spot-Boni sind in der Regel keine vertraglich vereinbarten Lohnbestandteile, weshalb sie aber nicht willkürlich erscheinen dürfen. Es sind transparente, interne Richtlinien und Entscheidungskriterien für Führungskräfte empfehlenswert, wie bereits oben zum Thema Spot-Boni ausgeführt.
Ansprüche aus regelmässig vereinbarten Boni und Gratifikationen sind aus arbeitsrechtlicher Sicht nicht immer ganz eindeutig. Strittig ist hier die Frage, ob diese Gratifikations- oder Lohncharakter haben. Mehr dazu lesen Sie im Interview mit Emanuel Tschannen.
Take Aways
- Lohnmodelle, die mit variablen Lohnanteilen operieren, sollten hinsichtlich der Vereinbarungsprozesse, Komponenten und Sonderbedingungen gut dokumentiert und für jeden Mitarbeitenden nachvollziehbar sein.
- Bevorzugt ein Unternehmen Bonuszahlungen auf freiwilliger Basis, sollten auch hierfür die Basisbedingungen transparent sein, um überhöhte Erwartungen einzudämmen und der Gefahr einer Gewöhnung an regelmässige Boni entgegenzuwirken.
- In Lohnverhandlungen sollte unmissverständlich aufgezeigt werden, welche Lohnbestandteile geschuldet sind und welche auf freiwilliger Basis entrichtet werden.