Regelungen zu variablen Lohnanteilen leben

Donnerstag, 07. Juli 2022 - Gregor Gubser
Eindeutigkeit, klares Verständnis des Systems durch die Mitarbeitenden, zuverlässige Umsetzungsprozesse und ein zum Unternehmen passendes Anreizsystem zeichnen ein funktionierendes Lohnmodell aus, erklärt Arbeitsrechtler Emanuel Tschannen.
Welche variablen Lohnanteile gehören in den Arbeitsvertrag, welche müssen nicht schriftlich vereinbart werden?

Rein rechtlich kann der Arbeitsvertrag formlos abgeschlossen werden, also auch mündlich. Das heisst, dass auch der Lohn nicht schriftlich vereinbart werden muss. Zudem gilt in unserem System die Wirtschafts-, Vertrags- und damit auch die Lohnfreiheit. Man ist frei, wie man den Lohn gestaltet: fix, kombiniert aus einem fixen und einem variablen Teil oder vollständig variabel.

Die Vergütungsstrategie eines Unternehmens ist ein zentraler HR-Prozess, der sich idealerweise aus der Unternehmensstrategie ableitet. Komplizierte Vergütungsmodelle mit variablen Anteilen sollten unbedingt im Vertrag oder in einem Reglement, das Vertragsbestandteil ist, festgehalten werden. Sonst entstehen Unsicherheiten. Aus Sicht des Mitarbeiters besteht nur dann ein Anspruch auf eine variable Sondervergütung, wenn dies explizit vereinbart wurde oder wenn diese über einen längeren Zeitraum ohne Vorbehalt oder konstant ausbezahlt wurde.

Gilt das für jede Form von variablen Lohnbestandteilen?

Unter variabel verstehe ich Vergütungen, die unregelmässig ausbezahlt werden und an Bedingungen geknüpft sind, die mit der Arbeit verbunden sind. Anspruchsvoll sind nicht Schicht-, Gefahren- oder Erschwerniszulagen, sondern Vergütungen, die individuelle Leistungen mit Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg honorieren wollen. Solche Leistungsanreize sollten immer detailliert vereinbart werden. Das ist letztlich auch ein Weg, um die Gleichbehandlung von Mitarbeitenden mit vergleichbarem Profil sicherzustellen. Nochmals: Komplexere Vergütungsmodelle müssen rein rechtlich nicht schriftlich vereinbart werden. Zur Vermeidung von Missverständnissen und Ungleichbehandlungen drängt sich eine schriftliche Vereinbarung aus praktischen Gründen jedoch auf. Will der Arbeitgeber nicht, dass die Sondervergütung später als Lohn oder unechte Gratifikation qualifiziert wird, muss er sich sowohl vom Grundsatz als auch von der Höhe her Freiwilligkeit vorbehalten und leben.

Letztlich gibt es so viele unterschiedliche Systeme, wie es Unternehmen gibt. Die Frage ist, was das Unternehmen mit der variablen Vergütung erreichen will: Sollen ausserordentliche Leistungen im Sinn einer echten Gratifikation – also im absoluten Ermessen des Arbeitgebers – honoriert, oder soll mit variablen Lohnanteilen eine Verhaltenslenkung der Mitarbeitenden bewirkt werden? Je mehr die Ausgestaltung in Richtung Lenkung geht, desto komplexer wird die Angelegenheit und desto eindeutiger sollte das Vergütungsmodell vereinbart werden.

Aus welchen variablen Lohnanteilen erwächst eine Rechtsverbindlichkeit, aus welchen nicht? Wo gibt es Stolperfallen, die ggf. einer expliziten schriftlichen Regelung bedürfen?

Was nicht vereinbart wurde, aber gelebt wird, bekommt mit der Zeit auch die Wirksamkeit einer Vereinbarung. Die gelebte Realität entscheidet also mit, ob eine Vergütung zu einem Lohnbestandteil wird, der auszuzahlen ist, oder ob es sich um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers handelt, auf die kein Anspruch besteht. Auf eine gelebte, echte Gratifikation im Sinne von Art. 322d Abs. 1 OR besteht kein Anspruch, da es im Ermessen des Arbeitgebers liegt, ob und in welchem Umfang sie ausgerichtet wird.

Auf Lohn hingegen besteht immer ein zwingender Anspruch. Ebenso auf unechte Gratifikationen, also auf Sondervergütungen, deren Ausrichtung im Grundsatz zugesagt, aber deren Höhe nicht fest vereinbart wurde. Wenn also beispielsweise ein Anteil am Unternehmenserfolg vereinbart wurde. Diese Unterscheidung zwischen Gratifikation und Lohn gilt auch für den sogenannten Bonus, einen Begriff, den das Gesetz nicht definiert. Ist ein Bonus fest zugesagt und deshalb Lohn, besteht ein Anspruch auf Auszahlung. Ist der Bonus hingegen freiwillig, handelt es sich um eine Gratifikation und es besteht kein durchsetzbarer Anspruch auf Auszahlung.

Wird allerdings eine variable Sondervergütung während drei Jahren im selben Umfang ausgerichtet, so wird diese grundsätzlich zum Lohnbestandteil. Und selbst wenn alle Zahlungen explizit unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgen, Veränderungen im Geschäftsverlauf aber nicht mitberücksichtigt werden, können diese nach zehn Jahren zu einem festen Lohnbestandteil werden. Dann wird sogar aus einer an sich echten Gratifikation eine unechte Gratifikation und damit Lohn. Das muss durch die gelebte HR-Praxis ausgeschlossen werden.

Meines Erachtens decken sich bei nachhaltigen variablen Vergütungsmodellen die rechtliche Vereinbarung, das jeweilige subjektive Verständnis des Vergütungsmodells durch die Parteien und die gelebte HR-Praxis, die das vereinbarte Vergütungsmodell umsetzt. Decken sich die drei Dimensionen nicht, entstehen Unstimmigkeiten und Streit.

Solange eine freiwillig ausgezahlte, variable Sondervergütung akzessorisch zum Grundlohn ausgerichtet wird, sie also eine Nebenleistung zum vereinbarten Lohn darstellt, behält sie ihren freiwilligen Charakter. Macht sie aber den Hauptanteil der Entlohnung aus, dann mutiert sie zum Lohn. Dies ist aus Überlegungen des Sozialschutzes entstanden, damit Arbeitgebende Angestellte – zum Beispiel für ein Callcenter – nicht mit variablen Löhnen ködern können, die im Idealfall entstehen könnten, in der Praxis aber kaum zu erreichen sind. Ausgenommen von dieser Regelung sind sehr hohe Einkommen, die das Fünffache des schweizerischen Medianlohns übersteigen: Wer bei einer Grossbank 2 Mio. Franken verdient und nochmals einen Bonus von 3 Mio. in Aussicht hat, ist nicht auf Sozialschutz angewiesen.

Was passiert im Falle eines Ausscheidens aus dem Unternehmen mit den variablen Lohnbestandteilen?

Hier muss man wiederum zwischen Lohn respektive unechter Gratifikation und echter Gratifikation unterscheiden. Bei einer unechten Gratifikation besteht ein Anspruch auf Auszahlung pro rata, bei einer echten Gratifikation hingegen nicht. Wenn vereinbart wurde, dass eine Sondervergütung nur unter bestimmten Bedingungen ausgerichtet wird, zum Beispiel, dass die Mitarbeitende zu einem bestimmten Zeitpunkt noch angestellt sein muss, besteht beim Austritt vor diesem Zeitpunkt kein Anspruch – auch nicht anteilsmässig. Leistungslöhne wie Provisionen sind geschuldet, da sie Lohncharakter haben und sich auf bereits geleistete Arbeit beziehen.

Formen von variablen Lohnanteilen

Leistungsabhängige Vergütung/Provision: Wird monatlich ergänzend zum Basis-/Fixlohn oder ausschliesslich ausgerichtet und ist an Bedingungen geknüpft. Typisch sind Abschluss-, Erfolgs- oder Umsatzbeteiligung. Handelt es sich bei der variablen Vergütung um Lohn, dann sind die Vergütungen anteilsmässig auch im Falle einer Arbeitsunfähigkeit sowie während den Ferien zu bezahlen.

Echte Gratifikation: Bei der echten Gratifikation handelt es sich um eine Sondervergütung, die weder im Grundsatz geschuldet noch in ihrer Höhe bestimmt ist (Art. 322d Abs. 1 OR). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann eine Gratifikation nur dann vorliegen, wenn entweder ihre Ausrichtung selbst oder zumindest die mit der Ausrichtung verbundene betragsmässige Höhe im freien Ermessen des Arbeitgebers liegt.

Unechte Gratifikation: Regelmässige oder vorbehaltlose Gratifikationen sind sogenannt unechte Gratifikationen und daher Lohn. Die unechte Gratifikation ist typischerweise vom Grundsatz her geschuldet und von der Höhe her unbestimmt.

Bonus: Der Bonus ist eine aus dem angelsächsischen Raum stammende Vergütungsform, die im Obligationenrecht nicht explizit geregelt ist. Es handelt sich typischerweise um eine variable Vergütung, die aus Geldleistungen und/oder der Zuteilung von Aktien oder Optionen bestehen kann. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob es sich beim Bonus um Lohn oder eine freiwillige Nebenleistung zum Lohn handelt.

Nacht-, Sonntags-, Gefahrenzulagen: Derartige Zulagen sind entweder in Franken oder in Prozent des Fixlohns definiert. Sie entschädigen (teilweise von Gesetzes wegen) für Unannehmlichkeiten im Rahmen der zu erbringenden Arbeitsleistung.

Zeit-/Akkordlohn: Lohn, der auf Basis von effektiv geleisteten Stunden oder anhand verarbeiteter Stückzahlen ausgerichtet wird.

Welche Regelungen empfehlen Sie als Arbeitsrechtsexperte für den Fall des Ausscheidens aus dem Unternehmen in den Arbeitsvertrag aufzunehmen, um einen fairen Ausgleich variabler Lohnanteile sicherzustellen?

Entscheidend ist, welche Vergütungsstrategie das Unternehmen verfolgt. Es gibt kein Richtig oder Falsch, allenfalls grob stossende Regelungen. Grundsätzlich kann man alles miteinander vereinbaren. Die Frage ist jedoch: Was ist der Zweck des Vergütungsmodells? Möchte das Unternehmen die Mitarbeitenden binden und den Wechsel zu einem Konkurrenten erschweren, dann könnte die Regelung im Nachhinein als unfair empfunden werden. Will das Unternehmen eine nachhaltige Leistungssteigerung erreichen und die talentierten Mitarbeitenden halten, ist das in der Regel unproblematisch. Persönlich bin ich der Auffassung, dass positive Modelle, die die Leistung der Mitarbeitenden fair honorieren, insgesamt nachhaltiger sind. Damit sollte auch keine Unzufriedenheit entstehen, die dann in den Markt getragen wird. Wenn immer nur über den Bestfall gesprochen wird, der in der Praxis dann nicht eintritt, entsteht Unzufriedenheit. Daraus müssen nicht zwingend rechtliche Konflikte entstehen, aber es führt zu Unruhe im Unternehmen und letztlich zu einer schlechten Reputation im Markt.

Was ist in Ihren Augen in diesem Zusammenhang grob stossend?

Grundsätzlich empfinde ich weniger die vereinbarte Regelung als stossend, als vielmehr den intransparenten Prozess. Wenn also ein Vergütungsmodell Hintertüren hat, die so nicht kommuniziert werden. Oder wenn die gelebte HR-Praxis von der Vereinbarung und dem Willen der Parteien einseitig abweicht oder sich über die Zeit zuungunsten einer Partei ein Ungleichgewicht bildet.

Welche Konflikte um variable Lohnanteile erleben Sie in Ihrer Praxis immer wieder?

Probleme entstehen, wenn die Vergütung nicht der Erwartung entspricht. Wenn Mitarbeitende mit der Aussicht auf hohe Boni angelockt werden und die Realität dann anders aussieht. Beispielsweise weil das Modell Schlupfwinkel hat, die nicht kommuniziert und erkannt wurden. Arbeitgebende sollten meines Erachtens keine falschen Erwartungen schüren. Man muss von realistischen Parametern ausgehen und klar aufzeigen, zu welcher realistischen Entschädigung die Regelung führt. Bei Verkäufern, deren Löhne an Umsätze gebunden sind, gilt es, die Erwartungshaltung zu dämpfen.

Oft entstehen Konflikte, weil das Ego verletzt wurde. Wenn beispielsweise einem langjährigen, gut ausgebildeten Mitarbeitenden gekündigt wird und die Kündigung nicht nur betriebsbedingt etwa aufgrund der Aufgabe eines Geschäftsteils begründet ist. Der betroffene Mitarbeiter hat sich für das Unternehmen eingesetzt und ist nun enttäuscht.

Solche Emotionen sind dann der Zunder, an dem sich Konflikte zu Regelungen entfachen, die unklar formuliert oder gelebt wurden. Streit gibt es oft auch dann, wenn man von der Regelung nicht dasselbe Verständnis hat oder deren Handhabung als willkürlich wahrgenommen wird. Wenn nach einer Kündigung die Gratifikation auf null gestrichen wird, kann das als eine Art «Retourkutsche» oder Bestrafung empfunden werden. Auf Seiten der Arbeitnehmenden bestehen oft auch falsche Erwartungen an variable Vergütungen, die stark auf der individuellen Performance beruhen. Dies, weil die eigene Leistung nur subjektiv verzerrt wahrgenommen werden kann.

Was raten Sie Unternehmen, wenn sie variable Lohnmodelle einführen wollen?

Wichtig ist, nicht einfach das Modell eines anderen Unternehmens zu kopieren. Dann besteht das Risiko, dass Anreize falsch gesetzt werden und nicht das widerspiegeln, was für das eigene Unternehmen relevant ist. Wenn beispielsweise nicht die richtigen Leistungen belohnt werden, werden gute Mitarbeitende vergrault und die falschen angelockt. Allenfalls wäre dann das Unternehmen mit Fixlöhnen oder einer einfachen Gewinnbeteiligung sogar besser bedient. Ein Unternehmen ohne variable Vergütung ist nicht automatisch ein schlechtes Unternehmen.

Es gibt kein Richtig oder Falsch. Aber es gibt branchenspezifische Standards. In der Finanzbranche zum Beispiel geht es kaum ohne variable Vergütungen. Unabhängig von der Branche gilt aber: Wenn über variable Lohnteile ein Leistungsansporn erreicht und wichtige Talente gebunden werden sollen, muss sich das Lohnsystem zwingend aus der Unternehmens- und HR-Strategie ableiten. Darum ist es essenziell, dass das Vergütungsmodell gut überlegt ist und die richtigen Messgrössen gesetzt sind. Schliesslich muss man auch richtig kommunizieren und das Vereinbarte in der Praxis leben. Dann gibt es keine grundsätzlichen Probleme – was im Einzelfall nicht jeden Streit verhindert, das Risiko aber minimiert.

Take Aways

  • Arbeitsverträge und damit auch Löhne müssen von Gesetzes wegen nicht schriftlich vereinbart werden. Je komplexer und individueller jedoch ein Vergütungsmodell ist, umso empfehlenswerter ist eine klare, schriftliche Vereinbarung.
  • Werden über mehrere Jahre als freiwillig deklarierte Leistungen regelmässig ausgerichtet, so erhalten diese den Charakter von Lohn und sind geschuldet.
  • Die rechtliche Regelung, das subjektive Verständnis und die HR-Praxis sollten möglichst deckungsgleich sein. Weichen sie voneinander ab, entstehen falsche Anreize, Unzufriedenheit und Streit.
  • Ein Anreizsystem, das über das Lohnmodell geschaffen werden soll, muss zum jeweiligen Unternehmen passen. Eine One-size-fits-all-Lösung gibt es nicht.

Zur Person

Dr. iur. Emanuel Tschannen ist Rechtsanwalt und Eigentümer der Elfenau Schweiz AG. Er berät Unternehmer und KMU in Fragen des Arbeits-, Vertrags- und Gesellschaftsrechts und vertritt Parteien vor Gericht.

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