Employer Branding nur für die «Grossen»?

Donnerstag, 06. Oktober 2022 - Karen Heidl
Während marktführende Konzerne im grossen Stil ihren Charme als potenzielle Arbeitgeber versprühen, spielen KMU ihre Stärken zu wenig aus – so das Resümee der Personalberater Vital Bigler und Simon Gutknecht von der Wilhelm AG.

Wilhelm ist auf Recruiting und Assessment spezialisiert. Rund 50 Mitarbeitende beraten in den Niederlassungen in Zürich, St. Gallen, Bern, Basel und Vaduz Kunden in verschiedenen Branchen – hauptsächlich KMU. Mit den Herausforderungen der Personalsuche für zwar erfolgreiche, aber weniger auffällige Unternehmen ist er bestens vertraut.

Vital Bigler, Geschäftsleiter Executive & Expert Search der Wilhelm AG in Zürich, zeigt im Gespräch mit Penso auf, dass gerade die überschaubareren Unternehmen auch Vorteile bieten, beispielsweise flache Hierarchien mit entsprechend kurzen Entscheidungswegen für neue Ideen. Viele familiengeführte KMU können mit dieser Familiarität eine besondere Unternehmenskultur schaffen, in der mehr auf der Beziehungsebene interagiert wird, berichtet Bigler von den Einblicken des Teams in diese Unternehmen. Häufig seien die Aufgaben für die einzelnen Mitarbeitenden vielfältiger; man könne in Projekten stärker bereichsübergreifend arbeiten.

«KMU sind häufig noch von den Besitzern geprägt, die die Werte vorgeben, die im Unternehmen gelebt werden. Heute wird viel über die Wertorientierung der Generation Z  gesprochen, die verstärkt nach Sinnhaftigkeit in ihrer beruflichen Tätigkeit sucht. Dabei ist genau diese klare Wertorientierung in KMU nicht zu unterschätzen», würdigt Bigler die
Stärke kleinerer Unternehmen. Simon Gutknecht, Leiter Geschäftsbereich Assessment & Outplacement, pflichtet ihm bei: «Ich beobachte, dass in KMU intrinsische Motivation stärker ausgeprägt ist. Die flachen Hierarchien schaffen ein unkomplizierteres Miteinander. Das bedeutet, dass Mitarbeitende oft mehr Befugnisse haben, um Entscheidungen zu treffen und wirksam zu werden. Als Recruiter im KMU muss man die Persönlichkeiten finden, die in solchen unkomplizierten Umgebungen arbeiten wollen.»

«Verlässlichkeit und Planbarkeit sind traditionelle Werte, die für viele Menschen wichtig sind. Dazu gehört auch die finanzielle Sicherheit, hinter der vielleicht Besitzer stehen, die nicht unbedingt immer das Maximum aus ihrem Unternehmen ziehen wollen», ergänzt Bigler.

Gutknecht weist auf einen anderen Aspekt hin, der eine Erscheinung einer sich dynamisch transformierenden Umwelt ist: Grössere Firmen reorganisieren ihre Strukturen regelmässig, was für Unruhe sorgen kann. «Neue Chefs wollen dort schnell Wirkung entfalten und neigen eher zu Eingriffen in die bestehende Organisation. KMU hingegen sind stärker berechenbar, sofern sie in stabilen Märkten agieren. Diese Stabilität ist ebenfalls ein Faktor auf der motivationalen Ebene von Menschen, die sich beruflich orientieren.» Dies sei vor allem jüngeren  Menschen nicht immer bewusst.

 

Vital Bigler ist Geschäftsleiter Executive & Expert Search bei der Wilhelm AG in Zürich.
Nebenberuflich engagiert er sich als Dozent und Prüfungsexperte für HR-Fachleute, bei der Berufsprüfung technischer Kaufleute und bei benevol, der Fachstelle für Freiwilligenarbeit.

Dr. Simon Gutknecht war nach dem Studium der Psychologie und der BWL mehrere Jahre in der Finanzindustrie in den Bereichen Assessment und HR tätig. Heute ist er
Geschäftsleiter Assessment & Outplacement bei der Wilhelm AG. Er doziert an der Universität Zürich und an der Fachhochschule Nordwestschweiz.

KMU im Wettbewerb

Im Fazit kann man dies als Aufruf für Unternehmen verstehen, ihre Werte, die häufig implizit vorhanden sind, aber wenig explizit kommuniziert werden, bewusst im Recruiting einzusetzen, denn «als KMU kann man mit extrinsischen Anreizen kaum in den Wettbewerb mit Konzernen treten – bis auf wenige Ausnahmen. Also werden die intrinsischen Faktoren wichtig. Natürlich verdient man auch im KMU gut und fair. Auch als KMU muss man hinsichtlich der Löhne wettbewerbsfähig bleiben» stellt Gutknecht klar.

Wettbewerbsfähigkeit auf medialer Ebene ist ebenfalls ein Muss. «Die Webpräsenz muss modern sein, Social-Media-Kanäle müssen bespielt werden, denn auch KMU müssen sich medial dort bewegen, wo sich Nachwuchstalente aufhalten. Empfehlenswert ist, dass dort junge Mitarbeitende kommunizieren, wo junge Zielgruppen erreicht werden sollen», führt Bigler aus. Er empfiehlt zudem die Zusammenarbeit mit Hochschulen, wo man über Aus- und Weiterbildungen in Kontakt mit Nachwuchstalenten kommen kann. So könne man beispielsweise Dozenten oder Prüfungsexpertinnen entsenden. Darüber hinaus seien gezielte Werbekampagnen für Jobeinsteiger für die Bekanntheit der Arbeitgebermarke wichtig.

«KMU ist nicht gleich KMU. Manche Unternehmen sind stärker auf Innovation angewiesen als andere. Wichtig ist eine klare Positionierung mit einer klaren Value Proposition, damit potenzielle Bewerberinnen und Bewerber wissen, womit sie es zu tun haben», mahnt Gutknecht an und kommt auf die Rolle sozialer Medien zu sprechen: «Soziale Medien sind ein sehr wichtiger Faktor im Employer Branding, aber man muss sich abhängig vom Recruiting-Ziel ganz genau überlegen, wie man welche Plattformen einsetzt. Man braucht ein  superstrategisches, fokussiertes Vorgehen. Und wieder komme ich auf die Value Proposition des Unternehmens als Arbeitgeber zu sprechen: Man braucht Klarheit darüber, was man warum anbietet, um zielorientiert mit nachhaltigem Erfolg agieren zu können. Wichtig ist es, intrinsische Motivationen anzusprechen, die Gestaltungsspielräume und Mitwirkungsmöglichkeiten darzustellen.» Er schliesst mit einer Mahnung: «Die ersten Markenbotschafter sind die Angestellten, die die Führungs- und Organisationskultur
widerspiegeln und die Realität des Unternehmens verkörpern. Die schönsten Aktivitäten in den sozialen Medien bringen wenig, wenn diese Realität dann eine andere ist. Man kann ein noch so gutes Employer Branding betreiben: Wenn man ein A-Team verspricht, muss ein A-Team vor Ort sein.»

Wettbewerbsfähige Arbeitsbedingungen

Ganz allgemein sei es mit Blick auf Nachwuchstalente auch wichtig, moderne Arbeitsbedingungen zu bieten. Bigler regt an, sich beispielsweise mit anderen KMU  zusammenzuschliessen, um Austauschprogramme für Mitarbeitende zu organisieren. So könne man eine Vielfalt bieten, die sonst grösseren Unternehmen vorbehalten sei. Auch flexible
Arbeitszeit- und -ort-Lösungen zur Förderung der Life-Work-Balance seien heute State of the art – dabei ginge es nicht nur um die Möglichkeit zum Homeoffice, sondern auch um Konzepte wie Teilzeit oder Workations.

«In meiner Rekrutierungspraxis begegnet mir immer wieder die Vorstellung, dass Homeoffice bereits ausreicht, wenn es um flexible Arbeitsbedingungen geht. Der Komplex ist  allerdings grösser.» Bigler misst dem Stichwort New Work und damit verbunden einer Führungskultur, die auf Vertrauen basiert, hohe Relevanz bei.

Weiterbildung und Entwicklungsmöglichkeiten

Ganz wichtig sei es, so Gutknecht, dass man Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten aufzeige, egal in welchem Umfeld das Unternehmen agiert. Hier liege häufig eine Motivation, sich lieber bei grossen Unternehmen zu bewerben. Auch als kleineres KMU sollte man versuchen, seine Möglichkeiten aufzuzeigen und diese dann auch zu leben.

Emotionen zeigen, Engagement darstellen

Unternehmen stellten auf ihren Websites zwar häufig Produkte und Unternehmensinformationen dar, aber sie zeigten nicht, wer dahinterstehe, kritisiert
Bigler häufiger beobachtete Schwachpunkte der Unternehmenspräsentation. «Menschen arbeiten schliesslich für Menschen, und es ist immer empfehlenswert, das Team zu zeigen,
Testimonials und Videos online zu präsentieren. Viele Unternehmen sind neben ihrem angestammten Geschäft häufig anderweitig aktiv: Sie unterstützen Vereine, beteiligen sich an Veranstaltungen am Standort oder unterstützen ihre Mitarbeitenden in besonderer Weise – sie reden aber nicht darüber. Soziales Engagement, Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen sind für potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten immer ein Plus.»

Dabei sei ein altmodischer Auftritt ebenso schwierig, wie zu hip zu sein, gibt Gutknecht zu bedenken. «Zu hip wirkt manchmal auch einfach nicht authentisch. Es gibt einen schmalen Grat zwischen unglaubwürdig und interessant.»

Fazit: Empfehlungen

Gefragt nach ihren wichtigsten Handlungsempfehlungen für die Entwicklung einer Arbeitgebermarke, die sie KMU auf den Weg geben würden, hat Simon Gutknecht eine ganz einfache, aber eindringliche Antwort parat: «Es tun!» Und Vital Bigler ergänzt: «Arbeitgebermarke ist Chefsache. Employer Branding muss nicht immer der Chef machen, aber die Geschäftsleitung muss voll und ganz dahinterstehen. Es muss auch nicht immer mit Kosten verbunden sein, aber es geht darum, dem Thema Aufmerksamkeit und Priorität zu geben.»

Take Aways

  • KMU bieten intrinsisch motivierten Menschen viele Vorteile gegenüber Konzernen, zum Beispiel flache Hierarchien, bereichsübergreifende Arbeitsweisen, familiäre Unternehmenskultur und häufig stabilere Arbeitsumfelder.
  • Mittelständische Unternehmen sollten ihre Employer Value Proposition (EVP) sehr klar darstellen.
  • Die Hervorhebung von Projekten und Engagements für Gesellschaft und Umwelt kann die EVP unterstützen.
  • Menschen arbeiten mit Menschen: Webpräsenzen sollten sich nicht auf technische Inhalte konzentrieren, sondern auch die Menschen im Unternehmen zeigen. Aktivitäten in sozialen Medien können einen emotionsstarken Auftritt unterstützen.
  • Flexible Arbeitsbedingungen und andere New-Work-Aspekte wie moderne Führung sind im Wettbewerb um gute Mitarbeitende auch für KMU unabdingbar.
  • Berufliche Entwicklungsmöglichkeiten sind häufige Gründe für die Jobsuche in grösseren Unternehmen. Kleinere Unternehmen sollten versuchen, Möglichkeiten aufzuzeigen.

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