Neue Perspektiven für Transformation gewinnen

Donnerstag, 13. Juli 2023 - Karen Heidl
Wenn Veränderung auf die Unternehmensagenda rutscht, stösst dies nicht bei ­allen Betroffenen gleichermassen auf Bereitschaft zum Umdenken. Wie sich ­Organisationen mit und nicht gegen ihre Mitarbeitenden transformieren können, war Gegenstand zweier Inputs auf der Learntec 2023.

Transformation ist für Unternehmen ein Balanceakt zwischen Exploitation, also dem Ausschöpfen des bereits erworbenen Wissens und vorhandener Erfahrungen, und der Exploration, worunter die Erkundung neuer Möglichkeiten verstanden wird. Dieses Ausbalancieren, das in der Fachliteratur als Ambidextrie bezeichnet wird, kann sich auf unterschiedliche Arten gestalten: Manche Unternehmen wechseln Phasen der Exploration und der Exploitation ab. Zeiten der Geschäftsmodellmodifikation in Start-ups beispielsweise können eine Phase der Exploration einleiten.

Eine komplette Trennung der Einheiten, in denen das Bestandsgeschäft fortgeführt wird, während in anderen neue Geschäftsmodelle oder Produkte entwickelt werden, wird als strukturelle Ambidextrie bezeichnet. In solchen Fällen ist davon auszugehen, dass für die Exploration andere Kompetenzen und Strukturen erforderlich sind, als dies im Bestandsgeschäft der Fall ist. Ein Beispiel hierfür ist die Medienbranche, in der ein erfolgreiches Digitalgeschäft in vielen Fällen durch Akquisition von sich eigenständig entwickelnden Digitalunternehmen etabliert werden konnte, die in der Folge als separate Organisation weitergeführt wurden. Zu unterschiedlich sind Mindset, Wissen, Marktperspektive in traditionell agierenden Verlagshäusern und in DotComs wie Homegate, Jobs.ch, AutoScout etc., die letztlich den Kleinanzeigenmarkt der gedruckten Zeitungen kannibalisiert haben.

Digital-Maturity-Modell zur ­Bestimmung von Einflussfaktoren

Dr. Kristina Schaaff, Professorin für digitale Transformation an der International University for Applied Sciences Erfurt, zeigte anhand des Digital-Maturity-Modells von Forrester Research die Einflussfaktoren für Transformationen auf. Das Modell sieht vier Komponenten vor.

Komponente Kultur: Die Unternehmenskultur prägt, wie geführt und gelernt wird und wie Kompetenzen erworben werden. Exploration könne in der Kultur verankert werden, so Schaaff, indem man Mitarbeitenden Eigenverantwortung ermögliche. Entmutigung der Mitarbeitenden aufgrund einer nicht ausreichend unterstützenden Unternehmenskultur sei ein häufiges Hindernis für Transformation. Wichtigste Erfolgsfaktoren seien eine transparente Kommunikation, substanzielles Feedback und vorbildhafte, kollaborative Führungskräfte.

Komponente Organisation: Flache Organisationen unterstützten Kollaboration, erklärte Schaaff. Die Organisation regle zudem, welche Ressourcen beispielsweise in Form von Geld oder Personal zur Verfügung gestellt werden. Eine klare Zuweisung von Ressourcen an Innovationsprojekte sei ein wichtiger Schlüssel, um Transformation voranzutreiben. Limitierte Ressourcen gehörten zu häufigen Hindernissen für Veränderungen.

Komponente Technologie: Technische Grundlagen für Transformationen müssen geschaffen bzw. erneuert werden. Ein häufig festzustellendes Risiko bestehe gemäss Schaaff darin, dass sich externe technologische Entwicklungen so schnell vollziehen, dass Unternehmen damit nicht mehr Schritt halten könnten.

Komponente Insights: Unternehmerische Initiativen basieren auf Annahmen, die aufgrund von Daten getroffen werden (sollten). Welche Daten intern und extern erhoben, ausgewertet und genutzt werden, präge Transformationen.

Faktor Mensch in der Transformation

Dem zentralen Faktor Mensch als Treiber oder Blockierer in der Transformation widmete sich ein Vortrag von Hermann Ladner, CEO Life Institut für wirksame Führung und Transformation in Zofingen. Ladner berät Organisationen in Transformationsphasen – und warnt vor dem Begriff New Work. Dieser sei verbrannt und löse bei Menschen die unterschiedlichsten Assoziationen aus, die nicht immer positiv sein müssen. «New Work beginnt im Kopf», ist sein Statement – er will zeigen, wie anhand explorativer Dialoge Teams ihre Selbstüberzeugungen miteinander bearbeiten können.

Überzeugungen entstehen individuell aus unterschiedlichen Motivationen, die in Persönlichkeiten, gesundheitlichen, Lebens- oder Arbeitsumständen begründet sein können. Für die einen ist beispielsweise ein Firmenhandy eine Zumutung und Bedrohung der Privatsphäre, andere haben gar Angst vor Funkstrahlung, während es für wieder andere mehr Flexibilität oder sogar Statusgewinn bedeutet. Solche Überzeugungen können in Transformationen Konfliktpotenzial im Team darstellen oder zu gesundheitlichen Problemen oder Entmutigung führen. Explorative Dialoge haben zum Ziel, so Ladner, divergierende Sichtweisen in eine gemeinsame Vision zu überführen. Die von ihm beschriebene Vorgehensweise umfasst fünf Schritte.

Schritt 1: Erkennen divergierender Sichtweisen innerhalb des Unternehmens

In einem computergestützten Interview richten in diesem Schritt die Teilnehmenden ihren Blick auf die gemeinsamen Herausforderungen der Zukunft. Ziel ist es, eine Art «Topografie» von Sichtweisen zu generieren, was nach Meinung der Teilnehmenden aus welchen Gründen gut und weniger gut läuft.

Schritt 2: Validierung der individuellen Sichtweisen in Selbstreflexion

In einem strukturierten mehrstufigen Denkprozess erforschen die Akteure individuell die eigenen Annahmen. Ziel ist, alternative Sichtweisen zu erkennen und implizite Annahmen explizit zu machen. Unproduktive Emotionen werden erkannt und das gegenseitige Verständnis wächst.

Beispiel aus der Praxis:
In einer Institution bildete in Eskalationsfällen mit Kunden immer eine Gruppe der fähigsten Mitarbeitenden eine Taskforce. Dies wurde nicht nur von Mitarbeitenden negativ bewertet, die bei dieser Gruppe aussen vor blieben: «Wenn eine Taskforce gebildet wird, kommen immer dieselben Personen zum Zug. Es wäre gar nicht erwünscht, dass ich mich zur Mitarbeit melde.» Auch in der Gruppe der Taskforce-Mitarbeitenden kam diese Lösung wegen der Mehrarbeit nicht durchweg gut an.

Schritt 3: Zugrundeliegende Annahmen erforschen

In einem strukturierten mehrstufigen Denkprozess erforscht jeder für sich die zugrundeliegenden Annahmen. Ziel ist in diesem Schritt, sich für die alternativen Sichtweisen weiter zu öffnen und potenziell limitierende Annahmen zu erkennen. Unproduktive Emotionen sollen sich auflösen und das gegenseitige Verständnis soll weiterwachsen.

Zurück zum Praxisbeispiel:
Die Annahme «Bei der Bildung einer Taskforce sind nur die fähigsten Mitarbeitenden willkommen» wird reflektiert: «Der mit dieser Annahme verbundene Denkprozess hat mir die Augen geöffnet. Mir wurde bewusst, dass es an uns selbst liegt, wenn wir ständig überlastet sind.»

Schritt 4: Limitierende Annahmen auflösen

In Eins-zu-eins-Gesprächen werden die Teilnehmenden eingeladen, limitierende Annahmen aufzulösen. Ziel ist, Konflikte aufzulösen und Fronten abzubauen, um eine Grundlage für verbesserte Zusammenarbeit zu finden.

Statement zu einer solchen Auflösung aus dem Praxisbeispiel:
«Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Es gibt niemanden, der es positiv findet, wenn sich nur die fähigsten Mitarbeitenden an einer Taskforce beteiligen wollen.»

Schritt 5: Einen neuen Modus Operandi vereinbaren

Das Team vereinbart neue Vorgehensweisen.

In den Schritten 3 bis 5 wird das Team von einem Experten bzw. Coach begleitet.

Dieses Beispiel zeigt anschaulich, dass Kommunikation und das Stellen von relevanten Fragen Schlüssel sind, um Überzeugungen zu verändern und das Team zu «empowern» – um hier eine häufig abstrakt bleibende Lieblingsvokabel des New-Work-Wortschatzes zu benutzen. Es zeigt auch, dass Kommunikation aufwendige Arbeit ist, die in Transformationen nicht nur die Ressourcen der Führungskräfte benötigt, sondern auch die des Teams.

Links:

Life Institut für wirksame Führung und Transformation
Prof. Dr.-Ing. Kristina Schaaff, Professur für Digitale Transformation mit Schwerpunkt AI

Quelle:
Die Referate wurden anlässlich der Veranstaltung Learntec 2023 am 25. Mai 2023 in Karlsruhe gehalten: learntec.de

Take Aways

  • Einer der häufigsten Gründe, dass Transformationen scheitern, ist Widerstand aus der Belegschaft.
  • Gründe für Widerstände können vielfältig und diffus sein.
  • Im intensiven Austausch mit Mitarbeitenden können Sichtweisen verändert und Blockaden abgebaut werden.
  • Dieser Prozess ist aufwendig, führt aber langfristig zu einer verbesserten Team- und Transformationsarbeit.
  • Davon profitiert die Unternehmenskultur langfristig.

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