Kolumne: Die zunehmende Ich-Solidarität!

Dienstag, 30. Januar 2024 - Beatrix Bock

Eigentlich sind Solidaritäten ein grundlegendes Prinzip der Sozialpolitik und der Sozialversicherung. Zunehmend wird das Prinzip der Solidarität durch den Ich-Faktor ausgehöhlt. Damit wird die Verantwortung für die Gemeinschaft mutwillig aufs Spiel gesetzt. So kann eine Solidargemeinschaft nicht funktionieren!

Solidaritäten zwischen Jung und Alt, zwischen Reich und Arm, zwischen Gesund und Krank und zwischen den Regionen sind wesentliche Elemente von funktionierenden Sozialversicherungen. Wir wollen die grossen Lebensrisiken absichern. Wir vertrauen darauf, dass in einem solchen Fall die Sozialversicherungen greifen und damit die Solidaritäten spielen. Gerade in Krisenzeiten wird nach mehr Solidarität gerufen, wenn die Sozialversicherungen gefährdet scheinen und das Vertrauen schwindet.

Die grosse Umverteilung haben wir in der AHV, die schon lange in Schieflage ist. Mit der Reform AHV 21 nachhaltig saniert? Fehlanzeige, die Nach-Baby-Boomer-Generationen werden die Kosten tragen respektive die Suppe auslöffeln und müssen schon bald die nächste Reform vorbereiten. Heute konsumieren – zahlen gerne später (oder bei der AHV: die nächsten Generationen). Bei Schieflage soll es der Staat richten. Bloss keine Einbusse bei den Ich-Ansprüchen.

Die Solidarität soll ein Band zwischen den Finanzierenden und den Begünstigten herstellen. Wird dieses überstrapaziert oder erweisen sich begünstigte Personen als nicht würdig, drohen rasch Sanktionen. Wir sind nicht bereit, Leistungen bedingungslos zu geben. Daher werden Rahmenbedingungen für den Bezug abgesteckt, die durch die Solidaritätsgemeinschaft anerkannt werden. Wir beobachten eine stetige Ausweitung des Leistungskatalogs mit neuen Extras und die hartnäckige Forderung aus der Ich-Perspektive nach weiterer Entlastung an allen Ecken.

«Wir beobachten die hartnäckige Forderung aus der Ich-Perspektive nach weiterer Entlastung an allen Ecken.»

Steigende Krankheitskosten bedeuten auch steigende Prämien. Der explosionsartig gewachsene Massnahmenkatalog zur Kostendämpfung übersieht, dass die medizinische Versorgung unserer Bevölkerung besser wird. Wer will schon darauf verzichten? Dass dies nicht kostenlos passiert und via Solidarität alle zur Kasse gebeten werden, führt regelmässig zum Ärgernis. Hand aufs Herz: Wer krank ist, möchte für sich auch die beste Versorgung. Zahlen sollen aber solidarisch alle anderen.

Ein gutes Beispiel von Ich-Solidarität sind die parlamentarischen Mütter, die unter dem Titel «Vereinbarkeit von Mutterschaft und Parlamentsmandat» für sich Sonderrechte bei der Mutterschaftsentschädigung durchgeboxt haben. Alle anderen Mütter dürfen während der Mutterschaft nicht arbeiten – sie würden den Anspruch verlieren. Nun soll die Parlamentsarbeit plötzlich keine Arbeit mehr sein, obwohl klar ist, dass die Sozialversicherungen wacker abgerechnet werden. Zum Glück kann via EO jeder Extrawunsch finanziert werden.

Auch in der beruflichen Vorsorge schichten wir mit zu hohen Umwandlungssätzen fleissig Vorsorgegelder um. Auch hier verunmöglicht die Ich-Solidarität gerne faire Lösungen. Grosszügige Übergangsbestimmungen geben ein Mehr für ausgewählte Personen. Solange viele Personen glauben, dass die Mehrkosten bloss von der Vorsorgeeinrichtung getragen werden, wird sich das nicht ändern. Stattdessen zahlen die aktiven Versicherten die Renten mit. Das Solidaritätsprinzip ist doch klasse!

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