Sozialversicherungsleistungen für Familien

Donnerstag, 13. April 2023 - Gregor Gubser
Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, ist generell nicht einfach. Finanzielle ­Unterstützung bieten Familien­zulagen, Erziehungsgutschriften und Entschädigungen für den Mutterschafts- oder Vaterschafts­urlaub.

Das Familienbild wandelt sich im Lauf der Zeit. Anfangs und Mitte des 20. Jahrhunderts, als die ersten Sozialversicherungen in der Schweiz etabliert wurden, ging man vom klassischen Modell verheirateter Eltern mit Kindern aus. Die Aufgabenverteilung war klar: Der Mann geht als Versorger einer Erwerbsarbeit nach, während die Frau sich um Haushalt und Nachwuchs kümmert. Heute ist das Familienbild heterogener. Patchworkfamilien, Ein-Eltern-Haushalte und gleichgeschlechtliche Ehe sind nur einige Stichworte. Zudem teilen sich die Eltern immer mehr sowohl die Erwerbs- als auch die Erziehungsarbeit.

Diesem Wandel folgen auch die Sozialversicherungen. Weil in Gesellschaft und Politik Konsens darüber besteht, dass sowohl Familien, aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert werden sollten, gibt es mittlerweile eine Reihe von Sozialversicherungsleistungen, die dieses Ziel unterstützen.

Familienzulagen

Erwerbstätige Eltern haben Anspruch auf Familienzulagen, die sich gemäss Familienzulagengesetz (FamZG) in Kinder-, Ausbildungs-, Geburts- und Adoptionszulagen unterscheiden lassen. Das FamZG legt die Mindesthöhe der Zulagen fest, die Kantone können aber auch höhere Zulagen vorsehen. Alle Zulagen folgen dem Prinzip «Ein Kind, eine Zulage». Das heisst, wenn beide Elternteile erwerbstätig sind, wird die Zulage – nach im Gesetz festgelegten Kriterien – nur einem Elternteil ausgerichtet. Arbeitet der nachrangig berechtigte Elternteil in einem Kanton mit höheren Zulagen, wird eine Differenz­zulage ausgerichtet.

Kinderzulagen (mindestens 200 Franken) werden bis zum vollendeten 16. Altersjahr des Kinds ausgerichtet. Ausbildungszulagen (250 Franken) höchstens bis zum 25. Altersjahr, sofern das Kind in Ausbildung ist. Geburts- und Adoptionszulagen werden lediglich in einigen Kantonen ausgerichtet. Weitere Informationen zu den Anspruchsvoraussetzungen, der Finanzierung und dem Ablauf der Abrechnung sowie die Zulagenhöhen in den Kantonen sind im Fokus Familienzulagen zusammengefasst.

Entschädigung für Eltern aus der EO

Die Erwerbsersatzordnung (EO) wurde ursprünglich eingerichtet, um den Erwerbsausfall von Dienstleistenden (Militär-, Zivilschutz- und Zivildienst) zu entschädigen. Seit der Einführung der Mutterschaftsentschädigung (MSE, auch Mutterschaftsurlaub genannt) sind mehrmals weitere Leistungen dazugekommen.

Die MSE können Mütter beanspruchen, die vor der Niederkunft erwerbstätig waren und beabsichtigen, nach dem Mutterschaftsurlaub weiterhin erwerbstätig zu sein. Die MSE wird während maximal 14 Wochen ausgerichtet und beträgt 80% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, maximal jedoch 220 Franken pro Tag (Stand 2023). Nimmt die Mutter die Erwerbstätigkeit vor Ablauf der 14 Wochen wieder auf, endet damit der Anspruch auf MSE.

Seit 2021 gibt es den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub (VSE), für den im Wesentlichen dieselben Massgaben gelten wie für die MSE (80% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, maximal 220 Franken pro Tag). Im Interview erläutert Andreas Dummermuth, wie sich die VSE seit dem 1. Januar 2021 etabliert hat. Die VSE steht auch der Ehefrau der Mutter zu.

Noch jung ist die Adoptionsentschädigung. Sie ist seit dem 1. Januar 2023 in Kraft und wird für zwei Wochen ausgerichtet. Diese Zeit können die Adoptiveltern frei untereinander aufteilen. Anspruch haben Personen, die ein Kind adoptieren, das weniger als vier Jahre alt ist. Die Leistungshöhe ist analog der MSE/VSE.

Vom Parlament in der Frühlingssession 2023 beschlossen, aber noch nicht in Kraft ist, der 16-wöchige Urlaub für hinterlassene Eltern. Stirbt ein Elternteil kurz nach der Geburt des Kinds, hat der überlebende Vater oder die überlebende Mutter Anspruch auf den kumulierten Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub (14 plus 2 Wochen), also insgesamt 16 Wochen.

Noch weiter davon entfernt, im Gesetz aufgenommen und umgesetzt zu werden, ist eine Forderung der eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF). Sie schlägt eine durch die EO finanzierte Elternzeit von insgesamt 38 Wochen vor. Diese 38 Wochen sollen in den ersten 18 Lebensmonaten des Kinds bezogen werden müssen, zum grössten Teil aber nicht gleichzeitig. Vater und Mutter sollen innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zwei Wochen gemeinsame entschädigte Elternzeit haben – so ist es bereits heute. Bleiben soll das Arbeitsverbot von 8 Wochen für Mütter nach der Geburt. Die Frauen können neu zusätzlich über 15 Wochen Elternzeit verfügen und davon bis zu 7 Wochen dem Vater abtreten. Die übrigen 15 Wochen Elternzeit sind für Väter reserviert. Die Elternzeit soll am Stück oder gestaffelt bezogen werden können. Mütter können also 16 bis 23 Wochen Elternzeit beziehen und Väter 15 bis 22 Wochen.

Betreuungsentschädigung

Ebenfalls über die EO finanziert und seit 1. Juli 2021 in Kraft ist der 14-wöchige Betreuungsurlaub respektive die Betreuungsentschädigung (BE). Der Betreuungsurlaub kann in Anspruch genommen werden, wenn ein Kind wegen Krankheit oder Unfall schwer beeinträchtigt ist. Ein Ehepaar, das die Betreuung gemeinsam organisiert, kann die total 14 Wochen frei aufteilen. Die EO-Taggelder betragen auch hier 80% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, maximal 220 Franken.

Im März 2023 hat das Parlament eine Motion gutgeheissen, die die Präzisierung der Anspruchsvoraussetzungen vorsieht: Von einer schweren Beeinträchtigung soll immer dann ausgegangen werden, wenn ein mindestens viertägiger Spitalaufenthalt für die Behandlung und Genesung nötig ist. Der Bundesrat empfahl den Vorstoss zur Ablehnung, muss nun aber gegen seinen Willen einen Umsetzungsvorschlag erarbeiten.

Erziehungs- und Betreuungsgutschriften

Erziehungsgutschriften sind fiktive Einkommen, die den Erziehungsberechtigten (Eltern) bei der Rentenberechnung in der AHV gutgeschrieben werden. Bei Ehepartnern je hälftig, bei alleinerziehenden die gesamte Gutschrift. Damit werden die Renten von Personen erhöht, die Kinder unter 16 Jahren betreuen.

Betreuungsgutschriften verfolgen wie Erziehungsgutschriften das Ziel, die AHV-Rente von betreuenden Personen zu verbessern. Betreuungsgutschriften müssen allerdings jährlich neu geltend gemacht werden. Sie werden Personen gutgeschrieben, die regelmässig Angehörige betreuen, die eine Hilflosenentschädigung erhalten. Angehörige sind Verwandte in auf- oder absteigender Linie: Eltern, Grosseltern, Ehegatte, Kinder ab 16 Jahren. Den Verwandten gleichgestellt sind Schwiegereltern und Stiefkinder sowie Lebenspartnerinnen und -partner, die seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen mit der versicherten Person einen gemeinsamen Haushalt führen. Wer bereits eine Erziehungsgutschrift erhält oder selbst im Rentenalter ist, kann nicht gleichzeitig eine Betreuungsgutschrift erhalten.

Betreuung von Angehörigen

Neben Regelungen in den Sozialversicherungsgesetzen sind auch Freitage und Lohnfortzahlungspflichten im Arbeitsgesetz (ArG) und im Obligationenrecht (OR) geregelt. Demnach kann pro Ereignis ein dreitägiger Urlaub für die Betreuung respektive die Organisation der Betreuung eines Familienmitglieds oder eines Lebenspartners mit gesundheitlicher Beeinträchtigung beansprucht werden. Ausser bei Kindern beträgt der Urlaub maximal zehn Tage pro Jahr (Art. 36 Abs. 3 und 4 ArG sowie Art. 329h OR). Die beiden Gesetze regeln im Wesentlichen dasselbe, wobei im ArG ein Arztzeugnis verlangt wird, im OR hingegen nicht.

Unterstützung von Kinderbetreuung

Ebenfalls zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie tragen Angebote zur Kinderbetreuung bei. Krippenplätze sind zwar keine Sozialversicherungsleistungen, werden aber von der öffentlichen Hand unterstützt. Anspruchsvoraussetzungen und Umfang der Unterstützung sind kantonal und kommunal geregelt. Nachdem der Bundesrat die Mitfinanzierung des Bunds nach Ablauf eines Anschubprojekts 2024 einstellen wollte, hat sich nun der Nationalrat für eine Fortsetzung und weitergehende Unterstützung ausgesprochen. Er verlangt, dass der Bund 20% der durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes finanziert.

Links zu detaillierten Informationen

Fokus Familienzulagen
Fokus Familienzeit
Fokus Angehörigenbetreuung

Merkblätter und Broschüren der Infostelle AHV/IV

Take Aways

  • Die Sozialversicherungen tragen in erster Linie mit finanzieller Unterstützung oder Absicherung zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei. Einerseits durch die Familienzulagen, die das Familienbudget stärken, andererseits durch die Finanzierung des Erwerbsausfalls während Mutterschafts-, Vaterschafts- oder Betreuungsurlaub.
  • Die Erziehungs- oder Betreuungsgutschriften tragen zu besseren AHV-Renten von Personen bei, die regelmässig Angehörige betreut haben.
  • Daneben fördert die öffentliche Hand die Care- und Erziehungsarbeit durch Regelungen für kurzfristige Absenzen zur Betreuung von kranken Kindern und Angehörigen sowie durch finanzielle Beteiligung an externer Kinderbetreuung.

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