Drei Säulen – aber kein System

Montag, 28. Juli 2025 - Nancy Wayland
Die Vorsorge droht zum Sorgenkind zu werden. Zwar sind Technik und ­Online-Tools vorhanden. Trotzdem fehlen Übersicht, Verständlichkeit und ­gemeinsame, systemübergreifende Koordination. Die Fairplay-Studie 2025 und das Vorsorge-Symposium vom Juni 2025 zeigen: Die Prinzipien des ­Drei-Säulen-Systems greifen nicht (mehr), wie sie sollten.

Die Fairplay-Studie 2025 der Zürich Versicherung bringt es nüchtern auf den Punkt: Nur 43 % der Befragten kennen den Begriff «Koordinationsabzug» – und nur ein Teil davon versteht auch seine Konsequenzen. Bei den Frauen geben gar nur 17 % an, sich gut über ihre Altersvorsorge informiert zu fühlen. ­Eigenverantwortung? Ja, theoretisch. Praktisch fehlt es an allem, was sie möglich macht: Übersicht, Verständlichkeit, Handlungsoptionen.

Diese strukturellen Lücken zeigen sich nicht nur als Zahlen in einer Studie – sie wurden auch beim diesjährigen Vorsorge-Symposium ganz konkret spürbar. Die von vps.epas – dem Herausgeber von Penso – organisierte Veranstaltung am 5. Juni stand unter dem Titel: «Die Versicherten und ihre Perspektiven – neue Bedürfnisse, neue Kommunikation, neue Geschäftsmodelle?» Sie bot damit einen idealen Rahmen, um genau diese Spannungsfelder sichtbar zu machen.

Im Rahmen der gemeinsam mit Hans-Jörg Scheitlin vom Verein BVG digital gestalteten Präsentation zum digitalen Vorsorgeausweis (digVA) stellte Michael Dritsas, Präsident des Verbands Digitalversicherung Schweiz (VDVS) und CEO von Vlot, die Frage: «Wissen Sie, wie hoch Ihre aktuelle Vorsorge­lücke im Alter wäre?» In der Mentimeter-Umfrage gaben 23% der rund 100 Teilnehmenden an, keine Lücken zu haben, 31% antworteten mit «Ja», 28% sagten «Ungefähr» und 19% «Nein».

Ein Moment der Ehrlichkeit – und ein Moment der Erkenntnis. Denn selten zeigt sich der innere Widerspruch eines Systems so deutlich wie hier: Die berufliche Vorsorge setzt auf Eigenverantwortung. Sie verlangt mündige Entscheidungen, langfristige Planung, finanzielle Kompetenz. Aber sie schafft die hierfür nötigen Voraussetzungen nicht.

Das wäre an sich schon bemerkenswert. Noch bemerkenswerter ist, wer gefragt wurde: Fachexperten. Menschen, die sich beruflich mit der 2. Säule befassen. Mit Produkten, Plattformen, Regulierung. Die Strategien entwerfen, Prozesse digitalisieren und Lösungen entwickeln. Und dennoch: Fast die Hälfte von ihnen kennt die eigene Vorsorgesituation nicht genau. Ein gutes Beispiel für die Sperrigkeit des Themas.

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Die Fairplay-Studie zeigt zudem: Nur 24 % der unter 35-Jährigen fühlen sich überhaupt zuständig für ihre Altersvorsorge. Sie verorten die Verantwortung eher beim Arbeitgeber. Und gleichzeitig sind fast 60 % davon überzeugt, dass die AHV für ihre Generation nicht mehr in vollem Umfang tragfähig sein wird. Es herrscht also nicht Gleichgültigkeit, sondern ein strukturelles Gefühl der Ohnmacht. Die Lücke zwischen Verantwortung und realer Gestaltungsmöglichkeit wächst – und mit ihr die Gefahr, dass das Schweizerische Vorsorge­system an Vertrauen und Relevanz verliert.

Diese Wahrnehmung ist nicht auf die breite Bevölkerung beschränkt. Auch unter den Fachleuten am Vorsorge-Symposium zeigt sich ein ähnliches Bild: 86% der Teilnehmenden sind der Meinung, dass bestehende Vorsorgeportale nicht ausreichen. 84% wünschen sich mehr Self-Service-­Angebote, um Eigenverantwortung zu fördern. Und 52% finden: Ein ganzheitliches Vorsorge-Dashboard sollte vom Bund kommen.

Es herrscht also breite Einigkeit: Die Menschen brauchen eine systemübergreifende Übersicht über ihre berufliche Vorsorge. Und tatsächlich tut dies dringend not, wie die nachfolgenden Ergebnisse deutlich machen.

Was passiert, wenn Informationen nicht ankommen

Laut Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS, 2023) beziehen nur rund 54 % der Frauen überhaupt eine Pensionskassenrente – gegenüber 74 % der Männer. Auch bei den Einkäufen zeigt sich eine tiefe Ausschöpfung: Gemäss Swisscanto-Studie 2024 tätigen lediglich 9 % der Versicherten regelmässig Einkäufe in ihre Pensionskasse.

Literaturhinweis:

Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG (2025): Fairplay-Studie 2025 – So denkt die Schweiz über Altersvorsorge, Vorsorgelücken und Verantwortung. Zürich.

Studie laden

In der Fairplay-Studie gaben 12% der Pensionierten an, dass sie freiwillige Einzahlungen in die Pensionskasse rückblickend als verpasste Chance betrachten. Das heisst konkret: Sie hätten gerne früher oder mehr in ihre Pensionskasse eingezahlt. Dazu passt auch, dass 30% der Pensionierten angeben, dass sie rückblickend zu wenig oder zu spät in die Säule 3a eingezahlt haben – das ist die am häufigsten bereute Entscheidung im Altersvorsorgebereich.

Was alle diese Ergebnisse verbindet: Nicht der Mangel an Eigenverantwortung, sondern auch der Mangel an Informationszugang. Die Möglichkeiten werden nicht ausgeschöpft – weil das System voraussetzt, was es nicht bereitstellt: Orientierung.

Stellen wir uns vor, es gäbe ein Dashboard, das auf einen Blick zeigt: alles im grünen Bereich oder eben auch nicht. Dem ich entnehmen kann, wo allenfalls Lücken bestehen und welche Handlungsmöglichkeiten ich habe – für meine gesamte berufliche Vorsorge (1., 2. und 3. Säule). Genau diese Art von Unterstützung fehlt und mit ihr die Chance, Eigenverantwortung wirksam werden zu lassen.

Digitalisiert bleibt fragmentiert

Es wäre sehr unfair, zu behaupten, die Branche tue nichts. Viele Vorsorgeeinrichtungen bieten heute bereits Tools an, die Rentenverläufe simulieren, Pensionskassenausweise digital bereitstellen oder Einkäufe online ermöglichen. Doch all das bleibt fragmentiert.

Die Schweiz verfügt über ein Drei-Säulen-System, das erst im Zusammenspiel die erwartete Sicherheit schafft. Wenn aber jede Säule isoliert optimiert wird, ohne gemeinsame Sicht, verliert das System als Ganzes seine Wirksamkeit.

Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass am Vorsorge-Symposium 2025 drei konkrete Lösungsansätze vorgestellt wurden.

  • vlot ist einer der ersten Anbieter, der eine ganzheitliche und dynamische Vorsorgeübersicht über alle Säulen bietet und digitale Vorsorgeausweise aktiv integriert. Versicherte erhalten simulationsbasierte Empfehlungen – verständlich, personalisiert, datenbasiert.
  • BVG digital stellt mit dem digVA genau diese Datenstruktur bereit: einheitlich, offen, anschlussfähig – ohne zentrale Infrastruktur, aber mit maximaler Interoperabilität.
  • iPension von Neosis wiederum bietet ein agnostisches B2C-Portal, das alle drei Säulen integriert (z. B. inkl. Online-IK-Auszug der AHV in Echtzeit) und eine benutzerfreundliche Übersicht schafft.

Diese drei Pioniere zeigen, wie Orientierung geschaffen werden kann,
die Eigenverantwortung ermöglicht. Heute, nicht irgendwann. Die Frage, ob aus technischer Sicht Lösungen – z.B. auch unter Einbindung von ­Legacy-Systemen – möglich sind, stellt sich damit nicht mehr.

Offen bleibt einzig die Frage, ob die involvierten Akteure die Dringlichkeit der Situation anerkennen und ihre Kräfte bündeln, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln, statt sich in ­Parallelprojekten zu verzetteln.

Take Aways

  • Die berufliche Vorsorge fordert Eigenverantwortung, schafft aber die dafür nötigen Voraussetzungen nicht.
  • Das Drei-Säulen-System zerfällt in Einzelinitiativen. Ohne Gesamtübersicht verliert es seine Wirkung.
  • Lösungen sind möglich. Es braucht Koordination statt Konkurrenz, um sie umzusetzen.

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