Werden Frauen bei KI zurückgelassen?

Freitag, 31. Januar 2025 - Karen Heidl
Aktuelle Studien zeigen, dass Frauen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) weniger experimentierfreudig und optimistisch sind. Drohen ihnen Nachteile?

Bereits seit den 1980er Jahren ist bekannt, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Adaption von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) gibt. Die ersten Studien zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Anwendung von IKT wurden schon in den 1980er und 1990er Jahren durchgeführt. Diese frühen Arbeiten konzentrierten sich auf die Geschlechterunterschiede in der Computer- und Internetnutzung sowie im Zugang zu diesen Schlüsseltechnologien. In den 1990er Jahren stellten Studien fest, dass Männer tendenziell häufiger und intensiver das Internet nutzten als Frauen. Dies wurde häufig auf technologische Stereotype zurückgeführt: Frauen wurden weniger mit technologischen Fähigkeiten assoziiert, was ihren Zugang zu und ihre Nutzung von IKT negativ beeinflusste. In den 2000er Jahren erweiterten sich die Forschungsfragen um digitale Kompetenzen der Geschlechter, Selbstvertrauen im Umgang mit Technologien und die Rolle von Bildung und Sozialisation bei geschlechtsspezifischen Unterschieden sowie die Auswirkungen auf Beruf und Karriere. Die Integration von Frauen in die digitale Wirtschaft und ihre Nutzung fortschrittlicher Technologien wie KI sind auch heute noch von grosser Bedeutung.

Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Nutzung von KI

Eine aktuelle dänische Studie[1] untersuchte die Adaption von ChatGPT in elf verschiedenen Berufen, die stark von KI betroffen sind. Die allgemeine Adaptionsrate erweist sich als bemerkenswert hoch: Etwa die Hälfte der befragten Arbeitnehmenden hat angegeben, ChatGPT zu verwenden, wobei die Nutzung zwischen den Berufsgruppen stark variiert. Softwareentwickler haben die höchste Adaptionsrate (79%), während Finanzberater die niedrigste (34%) aufweisen. Die Studie zeigt folgende Nutzungsunterschiede:

  • Jüngere, weniger erfahrene und hochqualifizierte Arbeitnehmer nutzen ChatGPT häufiger.
  • Frauen nutzen ChatGPT deutlich weniger als Männer. Der Gender-Gap beträgt etwa 20 Prozentpunkte, selbst innerhalb desselben Berufs (zum Beispiel Journalismus), in dem exakt die gleichen Tätigkeiten von Männern und Frauen durchgeführt werden.
  • Berufe mit hoher technischer Affinität, wie IT und Marketing, zeigen höhere Adaptionsraten.
  • In Berufen mit strikteren Datenschutzanforderungen oder geringerer technischer Orientierung (z.B. Lehrer) ist die Nutzung eingeschränkt.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Umfragen der OECD[2]: 41% der befragten männlichen Arbeitnehmer gaben an, auf irgendeine Weise mit KI zu interagieren, während nur 29% der weiblichen Arbeitnehmerinnen diese Aussage machten. Diese Unterschiede zeigen sich unabhängig vom Wirtschaftssektor und beziehen sich auf Interaktionen mit KI-Tools wie ChatGPT oder andere generative KI.

Männliche KI-Nutzer gaben häufiger an, dass KI ihre Produktivität und ihre Arbeitsbedingungen verbessert hat. Männer sind auch eher der Ansicht, dass KI die Löhne in ihren Sektoren erhöhen könnte, während Frauen häufiger Sorgen äusserten, dass KI ihren Arbeitsplatz in den nächsten zehn Jahren gefährden könnte.

Auch weist die Motivation von Männern und Frauen im Umgang mit KI Unterschiede auf. So berichten Männer häufiger, dass sie spezialisierte KI-Fähigkeiten besitzen und motiviert sind, mehr über KI zu lernen. Frauen geben hingegen häufiger an, dass sie vor der Nutzung von KI-Tools wie ChatGPT Schulungen benötigten.

Sind Frauen vom Nutzen einer technischen Applikation aber überzeugt, nutzen sie diese ebenso intensiv wie Männer.

Gründe für den Gender-Gap in der KI-Nutzung

Die Ursachen für diese Unterschiede scheinen auch heute noch ähnlich beurteilt zu werden wie in den frühen Studien zu geschlechtsspezifischen Unterschieden der IKT-Nutzung. Zum einen entstehen sie aus spezifischen beruflichen Rollen und korrespondierenden Bildungsunterschieden: Männer sind häufiger in Berufen tätig, in denen KI Aufgaben augmentiert, beispielsweise IT, Wissenschaft, Ingenieurwesen und Management, und die oft höhere Bildungsabschlüsse voraussetzen.

Die Autoren der Studie gehen zudem auf geschlechtsspezifische Überzeugungen ein: Frauen sind weniger sicher in ihren Einschätzungen zur Produktivität von ChatGPT, reagieren jedoch stärker auf externe Informationen. Männer zeigen ein höheres Vertrauen in ihre technologischen Fähigkeiten und engagieren sich aktiver, etwa durch selbständige Nutzung von Schulungsmaterialien. Frauen berichten häufiger, dass sie geführte Schulungen benötigen, bevor sie KI-Tools nutzen können, und haben oft weniger Vertrauen in ihre eigenen technologischen Fähigkeiten. Dies könnte ihren Zugang zu KI-basierten Tools einschränken.

Auch diese Analysen sind keineswegs neu. Selbst nach mehreren Generationswechseln und höherem Digitalisierungsgrad der Alltagswelt hat sich die Situation nicht wesentlich gewandelt. Auch wenn sie in Mint-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) gleich gute Leistungen wie Jungen erbringen, entscheiden sich Mädchen seltener für wissenschaftliche oder technische Berufe. Traditionelle Rollenbilder und der noch immer vorherrschende Mangel an weiblichen Vorbildern führen dazu, dass sich junge Frauen weniger für technische Berufe interessieren. So sind sie in Berufen, die typischerweise hohe KI-Exposition aufweisen, unterrepräsentiert. Sie machen laut OECD in den Berufen IT-Technologiefachkraft, Wissenschaftlerin oder Ingenieurin weniger als 35% der Beschäftigten aus. Diese Berufe bieten oft bessere Möglichkeiten, von KI zu profitieren. Gleichzeitig sind Frauen in Berufen mit hohem Automatisierungsrisiko wie beispielsweise Büroberufen stark überrepräsentiert. Dies erhöht ihre Risiken durch KI, anstatt ihnen neue Chancen zu bieten.

Empfehlungen

Das OECD-Papier empfiehlt, dass in Unternehmen und auch in der Ausbildung besondere Anstrengungen unternommen werden sollten, um Frauen in Berufen mit hohem Automatisierungsrisiko auf den Übergang in KI-bezogene Berufe vorzubereiten.

Flexible Arbeitsbedingungen und die Unterstützung von frauengeführten Technologieunternehmen können helfen, Frauen in der Technologiebranche zu halten und zu fördern.

Schulungsprogramme, die auf die Bedürfnisse von Arbeitnehmenden abgestimmt sind, können Barrieren überwinden. Frauen benötigen gezielte Unterstützung, um den Gender-Gap zu schliessen. Dies bedeutet beispielsweise, dass Unternehmen bei der Organisation von Projektgruppen, die sich mit KI-Einführungen beschäftigen, darauf achten, dass sich Frauen im gleichen Masse an diesen Vorhaben beteiligen und führende Rollen übernehmen.

KI-Systeme sollten zudem sorgfältig überwacht und reguliert werden, um geschlechtsspezifische Vorurteile zu vermeiden. Politische Entscheidungsträger müssten sicherstellen, dass Antidiskriminierungsgesetze auch für KI-Systeme gelten, und diese kontrollieren.

Zukünftige Auswirkungen

Die Studie betont, dass ChatGPT und ähnliche Technologien das Potenzial haben, die Produktivität zu steigern und bestehende Ungleichheiten zu verringern. Allerdings ist eine proaktive Unterstützung notwendig, um sicherzustellen, dass alle Arbeitnehmenden gleichermassen von Technologie-Know-how profitieren können.

Fazit

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Nutzung und Adaption von KI beruhen auf strukturellen und kulturellen Barrieren. Politik und Wirtschaft können durch Bildung, gezielte Fördermassnahmen und die Überwachung von KI-Systemen dazu beitragen, diese Kluft zu schliessen und sicherzustellen, dass sowohl Frauen als auch Männer gleichermassen von den Vorteilen der KI profitieren. Ein besonderer Fokus sollte auf den Abbau von Stereotypen und die Schaffung von Möglichkeiten für Frauen in technologieorientierten Berufen gerichtet werden. Innerhalb von Unternehmen sollte gezielt auf Partizipation von Frauen in KI-Projekten und KI-User-Communities geachtet werden.

[1] Humlum, A. and E. Vestergaard (2024), The Adoption of ChatGPT, SSRN Electronic Journal.
[2] OECD (2024) Policy Brief: Algorithm and Eve, How AI will impact women at work.

Take Aways

  • Studien zeigen, dass Frauen KI-Tools wie ChatGPT deutlich weniger nutzen als Männer. Der Gender-Gap beträgt gemäss einer dänischen Studie bis zu 20 Prozentpunkte, selbst innerhalb gleicher Berufe.
  • Männer arbeiten häufiger in technisch orientierten Berufen mit hoher KI-Exposition (z.B. IT, Ingenieurwesen), während Frauen oft in Berufen tätig sind, die von Automatisierung bedroht sind.
  • Frauen berichten häufiger von fehlendem Vertrauen in ihre technischen Fähigkeiten und sehen grösseren Schulungsbedarf für den Umgang mit KI-Tools.
  • Unternehmen wird empfohlen, bei KI-Projekten darauf zu achten, dass Frauen mindestens im gleichen Masse partizipieren wie Männer und möglichst leitende Rollen übernehmen, um als Rollenvorbilder zu agieren.

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