Corona-Infektionsketten identifizieren mit der SwissCovid App – das ist Sache

Donnerstag, 04. Juni 2020 - Karen Heidl
In die Schweizer-Proximity-Tracing-App (kurz: Swiss PT, Distanzmessungs-Applikation) werden grosse Hoffnungen gesetzt. Es zeigt sich, dass die technischen, rechtlichen und psychologischen Herausforderungen immens sind. Deshalb ist es wichtig zu wissen, was die App kann.

Was die App leistet und was sie nicht leistet

Die SwissCovid App warnt nach dem Kontakt mit infizierten Personen. Ganz so simpel ist es allerdings nicht. Als Virusträger kann die App nur Nutzer identifizieren, die einen Infektionsstatus über ihre installierte App kommunizieren. Die App ist zudem nicht in der Lage, die Personen selbst zu identifizieren, auch nicht anhand  von  Gerätedaten  und  sonstigen  technischen  Markern.  Sie  sagt  Nutzern  lediglich,  dass  es  zu einem Kontakt mit einem infizierten App-Nutzer gekommen ist, welcher 15 Minuten lang kumuliert pro Tag in einer Distanz unter 2 Metern bestand. Nicht aber wo und wann. Wie dies funktioniert, zeigt die Infografik.

Freiwillige Kontrolle

Für den Einsatz der SwissCovid App gilt das Prinzip der informationellen Selbstbestimmung. Smartphone-Nutzer können selbst entscheiden, ob sie die App herunterladen wollen. Bei einer Covid-19-Diagnose erhalten Betroffene einen Covid-Code. Dieser kann freiwillig in die App eingegeben werden, um andere Nutzer, zu denen eine bestimmte von der App gemessene Kontaktintensität bestand, nachträglich zu warnen, und zwar bis zu 21 Tage nach Kontakt. Ältere Daten werden automatisch gelöscht. Der Sinn des Ganzen besteht darin, dass sich Personen, die aufgrund bestimmter Kontakte mit Covid-19-Positiven möglicherweise bereits infiziert sind, in freiwillige Selbstisolation begeben können. Nach Massgabe des Bundesamts für Gesundheit (BAG) ist ein Arztbesuch erst bei Symptomen angeraten, andernfalls wird kein Covid-19-Test durchgeführt.

Kritische Bedingungen

Die App kann keinen situativen Kontext, in dem der Kontakt stattfindet, ermitteln. Sie sammelt keine Lokalisierungsdaten, verwendet keine Kamera und erfasst keine Personendaten. Das Smartphone liegt vielleicht irgendwo herum, während sein Besitzer woanders unterwegs ist. Oder die Abstandsmessung via Bluetooth (und aller bekannten technischen Alternativen) ist schlicht zu ungenau. Es ist deshalb schwierig vorauszusehen, welche Konsequenzen der Einsatz der App haben wird. Möglicherweise werden zu viele unnötige Warnungen generiert. Aus Freiwilligkeit resultiert eine weitere Anforderung: Es dürfen Menschen keine Nachteile entstehen, wenn sie die App nicht verwenden. Mit anderen Worten: Ein Arbeitgeber kann den Einsatz nicht anordnen oder Restaurantbetreiber darf den Nachweis des App-Einsatzes nicht von seinen Gästen einfordern. Forscher der Oxford University schätzen, dass die App von mindestens 60 Prozent der Bevölkerung eingesetzt werden muss, damit sie die gewünschte Wirkung entfalten kann. Ob freiwillige Einsicht in die Sinnhaftigkeit dieser App eine ausreichende Nutzerbasis schaffen wird, muss sich noch zeigen.

Nach einer Warnung muss der Nutzer damit leben, dass er nur bei Symptomen auf Corona getestet wird. Die Inkubationszeit liegt allerdings zwischen zwei Tagen und zwei Wochen. Dies ist eine psychologische Belastung, die sich in psychosomatischen Beschwerden manifestieren kann (die WHO – World Health Organisation – hat hierzu verschiedene Briefings erarbeitet).

Ein weiterer kritischer Punkt ist die Lohnfortzahlung in der freiwilligen Quarantäne. Zur Lohnfortzahlung während der Quarantäne ist der Arbeitgeber nur gegen Vorlage eines Arztzeugnisses oder aufgrund einer Anordnung durch kantonale Behörden verpflichtet. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass Arbeitgebende die Fortzahlung bei freiwilliger Selbstisolation automatisch einstellen, denn auch Unternehmen haben ein natürliches Interesse an einer intakten Workforce. Homeoffice wird also aller Voraussicht nach noch weiterhin ein Thema bleiben. Dennoch besteht auch die Möglichkeit des Missbrauchs durch Mitarbeitende, sofern kein Nachweis der Dringlichkeit erbracht wird. Ein Arztzeugnis ist also weiterhin erforderlich.

Die technische Lösung für die App (siehe Abschnitt «Datenschutz») wird vehement und transparent vorangetrieben. Gesetzliche Rahmenbedingungen werden bislang unter Zeitdruck abgesteckt. Offen bleibt die Frage nach der Effektivität der App und die Frage, wann die Coronatests im Prozess der Kontaktketten-Erfassung durchgeführt werden sollten – mit oder ohne Symptome. Weitere Fragen schliessen sich an: Was ist, wenn zu wenige Nutzer die App installieren – kommt dann die Pflicht? Was ist, wenn Unternehmen Probleme bekommen, weil zu viele Warnungen generiert werden und quarantäne-bedingte Abwesenheiten den Betrieb beeinträchtigen? Was ist, wenn man als Nutzer zu häufig gewarnt wird und dies psychisch belastet? Was ist wenn… Wir werden es bald erfahren. Einen Versuch ist es wert!

Datenschutz – eine Frage der Technik

Die Abstandsmessung zwischen den Smartphones passiert bei der SwissCovid App via Bluetooth auf Basis der gemessenen Signalstärken im Sensornetzwerk, weshalb auch keine GPS-Daten, also Bewegungsprofile, erfasst werden. Signalstärken unterliegen Beeinträchtigungen: Die im Smartphone verbaute Hardware erzeugt verschiedene Sendestärken, blockierende Oberflächen im Raum oder an der Kleidung können Werte verfälschen. Mit anderen Worten: diese Messung hat Unschärfen (wie alle derzeit bekannten Möglichkeiten auf Standard-Smartphones).

Die Schweiz ging aus Datenschutzgründen bei der Entwicklung der SwissCovid App im Unterschied zu den EU-Staaten einen Sonderweg, und zwar den der dezentralen Erfassung von Messdaten (genannt DP-3T: Decentralized Privacy-Preserving Proximity Tracing) im Gegensatz zu PEPP-PT (Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing). PEPP-PT ist ein Verfahren, bei dem die Mess- bzw. Kontaktdaten unverschlüsselt auf den Smartphones der User gespeichert und im Falle einer Warnungsmeldung auf einen zentralen Server transferiert werden. Damit wird der zentrale Server zu einem datentechnischen Angriffspunkt. Deutschland schwenkte Ende April – nicht zuletzt auf Druck von Apple und Google – auf den dezentralen Ansatz um. Im dezentralen Ansatz DP-3T lässt sich aufgrund von Verschlüsselungsverfahren lediglich die Anzahl der kontaktierten Personen ermitteln, nicht deren Identität. Trotzdem kann man nicht eine hundertprozentige Anonymisierung konstatieren. Wäre dies der Fall, würden gar keine Personendaten bearbeitet. Im Fall der Swiss PT-App handelt es sich lediglich um eine Pseudonymisierung, wie die Juristen Meyerlustenberger Lachenal in einem Betrag zum Datenschutzrechtsaspekt der App ausführen. Somit müssen Anforderungen des Datenschutzgesetzes erfüllt werden, die allerdings Spielräume für Datenbearbeitung im Sinne der Verhältnis- und Zweckmässigkeit lassen. Sofern der Bund auf diese Daten zugreifen will, muss es hierfür eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden – was im Juni 2020 erfolgt ist.

Infografik SwissCovid App zum Download

So funktioniert die SwissCovid App - Grafik So funktioniert die SwissCovid App - Grafik

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