Seit 2017 Verdoppelung des Anteils psychisch belasteter Jugendlicher

Donnerstag, 28. April 2022
Seit Beginn der Covid-19-Pandemie berichten immer mehr Menschen über grössere psychische Belastungen. Besonders Jugendliche leiden: Zwischen 2017 und 2020/21 hat sich der Anteil der Betroffenen laut einem neuen Bericht mehr als verdoppelt.

Die wichtigsten Ergebnisse des Berichts

  • Seit Pandemiebeginn berichten mehr Personen von erhöhter psychischer Belastung. Bei den Jungen hat sich der Anteil der Betroffenen zwischen 2017 und 2020/2021 mehr als verdoppelt.
  • Es gab 2020 weniger Konsultationen in der ambulanten Psychiatrie (Praxen und Spitäler) als 2019, trotz Möglichkeit fernmündlicher Kontakte.
  • Seit 2012 nehmen die psychiatrischen Hospitalisierungen von Kindern und Jugendlichen kontinuierlich zu. Im ersten Pandemiejahr 2020 zeigt sich vor allem ab September eine Zunahme. Diese betrifft insbesondere Mädchen und junge Frauen mit Depressionen.
  • Hospitalisierungen aufgrund eines mutmasslichen Suizidversuchs haben bei Kindern und Jugendlichen seit 2017 deutlich zugenommen – insbesondere bei Mädchen und jungen Frauen

Die Hospitalisierungen von Kindern und Jugendlichen in psychiatrischen Kliniken nehmen zwar bereits seit 2012 kontinuierlich zu, wie das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) in seinem am Donnerstag veröffentlichten Bericht über die psychische Gesundheit schreibt. Seit September des ersten Coronavirus-Jahr 2020 zeigte die Kurve aber nach oben. Hauptbetroffen waren Mädchen und junge Frauen, die an Depressionen litten. Auch die Spitaleinlieferungen nach Suizidversuchen nahmen ab 2017 deutlich zu, wiederum vor allem durch Mädchen und junge Frauen. Bei den ab 19-Jährigen liess sich keine solche Entwicklung feststellen.

Die Polizeistatistiken lassen im ersten Pandemiejahr keinen Anstieg der Suizidversuche erkennen. Aufgrund der Zunahme der Beratungsanrufe auf Nottelefonen wie jenes der Pro Juventute geht das Obsan von einer hohen Dunkelziffer aus. Genaueres lässt sich erst nach Vorliegen der Suizidzahlen 2020 sagen.

Frauen depressiv - Männer mit Alkoholproblem

Die Hauptdiagnosen für einen Eintritt in eine Klinik waren über die Gesamtbevölkerung gesehen affektive Störungen mit 32.8%, Substanzmissbrauch mit 20% (vor allem Alkohol mit 13.3%) und Schizophrenie oder wahnhafte Störungen mit 16.6%.

Die Störungen waren geschlechtsspezifisch ausgeprägt: 37.7% der Frauen litten unter Depressionen. Bei den Männern waren mit 27.7% der Substanzmissbrauch - besonders von Alkohol - und affektive Störungen mit ebenfalls 27.7% am häufigsten.

Insgesamt mussten 2020 gut 5700 Personen in eine psychiatrische Klinik. Pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohnern ergibt das eine Hospitalisierungsrate von 6.6 Personen. 7.5 waren es bei den Erwachsenen, 2.8 bei den Kindern und Jugendlichen unter 19 Jahren. Dabei stieg die Rate bei den Jüngeren um 6% gegenüber dem Vorjahr.

59 von 1000 in Behandlung

Insgesamt wurden im Berichtsjahr rund 520000 Patientinnen und Patienten in einer psychiatrisch-psychologischen Praxis behandelt. Das entspricht 59 von 1000 Versicherten. Nach Alter betrachtet waren 32 von 1000 Heranwachsenden unter 19 Jahren in Behandlung sowie 66 von 1000 Erwachsenen.

Das waren zwar weniger als 2019. Von 2012 bis 2019/20 stieg die Rate der Behandelten indessen um 26%. Bei unter 19-Jährigen betrug der Anstieg 40%, bei den Erwachsenen 25%.

Die Kosten der obligatorischen Krankenversicherung im Psychiatriebereich beliefen sich 2020 auf rund 2,2 Mrd. Franken. Das entspricht 6.4% der Kosten der Grundversicherung von 34.1 Milliarden Franken. Seit 2006 ist dieser Anteil relativ stabil.

Schwächere trifft es häufiger

Im Allgemeinen war die Gesamtbevölkerung 2020 durchaus glücklich und zufrieden. 77.4% fühlten sich in der entsprechenden Datenerhebung von Januar bis Juni 2020 wie in den Vorjahren meistens glücklich. Um Auswirkungen der Pandemie zu messen, greifen diese Daten allerdings zu kurz, wie das Obsan schrieb.

Studien lassen aber darauf schliessen, dass die Pandemie soziale und gesundheitliche Ungleichheiten verschärfte. So wurde bei bereits davon betroffenen Personen mit niedrigerem Einkommen und schlechterer Ausbildung eine Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens beobachtet. Auch Personen mit Vorerkrankungen fühlten sich schlechter. (sda)

Obsan-Bericht zur psychischen Gesundheit im Detail

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