Konferenz «Zukunft Personal»: Homeoffice ist nicht New Work – aber eine Chance

Mittwoch, 09. Dezember 2020 - Karen Heidl
Heike Bruch stellte auf der virtuellen Konferenz «Zukunft Personal» eine ­Bestandesaufnahme zu modernen Arbeitsformen vor – mit ernüchterndem ­Ergebnis: Die erzwungene Homeoffice-Situation solle Startpunkt für eine ­umfassende Transformation hin zu einer neuen, zukunftsorientierten Unter­nehmenskultur sein, lautete ihr Appell.

Zu Beginn ihres Vortrags ging Heike Bruch auf eine Analyse zum New-Work- und New-Culture-Index ein, die im Juni dieses Jahrs publiziert worden ist [1] (siehe Kasten zur Erläuterung der Indizes). Die Analysen basieren auf einer erstmals 2016 und danach jährlich durchgeführten Studie, in der 19000 Menschen aus 97 Unternehmen zu ihren Arbeitsformen befragt wurden. Dafür wurde der so­genannte New-Work-and-Culture-Check entwickelt [2], der Unternehmen für eine Analyse der eigenen Position von der Universität St. Gallen angeboten wird. Die Indizes wurden mit Daten zur Wettbewerbsfähigkeit der an der Studie beteiligten Unternehmen gemacht, sodass vier Arten von Unternehmen mit verschiedenen Merkmalen unterschieden werden können: modern Überforderte, das traditionelle Mittelfeld, erfolgreiche Pioniere und klassische Hochleister.

New-Work-Instrumente und Erfolgsfaktor New Culture

Im New-Work-Check werden acht Dimensionen untersucht:

  • Agile Methoden
  • Digitale Kommunikation
  • Digitale Technologien
  • Virtuelle Teams
  • Mobiles Arbeiten
  • Desk Sharing
  • Individualisierte Arbeit
  • Fluides Arbeiten

New Culture beschreibt die Erfolgsfaktoren für New Work:

  • Passende, flexible Strukturen
  • Vertrauenskultur
  • Selbstbestimmung
  • Führung mit Vision und Inspiration
  • Passende Führungskräfte, die eine Vorbildfunktion einnehmen

Seit Erstdurchführung der Studie hätten sich die Anteile der Unternehmensarten nicht signifikant verändert, so Bruch. Die klassischen Hochleister führten ihre Unternehmen eher traditionell, bildeten aber mit ihren Wirtschaftskennzahlen die Spitzengruppe, noch vor den erfolgreichen Pionieren, die die kleinste Gruppe ausmachten: Sie lägen vorne, was die Arbeitsformen der Zukunft angehe. Die modernen Überforderten nutzten die gleichen New-Work-Instrumente, gerieten aber in eine «Beschleunigungsfalle», eine Art Überhitzungszustand, wie eine Analyse der Forschungsgruppe aus dem Zeitraum April bis September 2020 deutlich zeige (siehe Abbildung).

Im Lockdown hätten die Unternehmen nur das umgesetzt, was unausweichlich war, nämlich virtuelle Teams und digitale Technologien implementiert, führte Bruch die Beobachtungen aus. Weitere Massnahmen seien im Wesentlichen nicht ergriffen worden. Ähnlich sehe es mit der Kultur-Thematik aus: Während des Lockdowns habe es keine signifikanten Veränderungen gegeben, um die Erfolgsvoraussetzungen für neue Arbeitsformen zu verbessern.

Homeoffice sei jedoch in den New-Work-Dimensionen nur ein Teilaspekt. Im Lockdown sei vielfach der Begriff New Work mit der Zwangs-Homeoffice-Situation gleichgesetzt worden. Bruch widersprach dieser Gleichsetzung vehement, denn entscheidend für den Begriff des New Work sei der Entscheidungsspielraum, also die eigenverantwortliche Wahlfreiheit, die in der Unternehmenskultur verankert sein müsse. Ohne die Elemente der New Culture blieben die New-Work-Instrumente unbrauchbar, so Bruch. Stattdessen trete ein Rückschritt ein. Dies sei derzeit zu beobachten, wenn etwa Führungskräfte ihren Mitarbeitern unterstellten, Homeoffice aus rein privaten Interessen zu präferieren.

Mitarbeitern die Wahlfreiheit zu geben, wie sie arbeiten möchten, ist für Bruch ein zentrales Element in einer zukunftsorientierten Unternehmensphilosophie. Gesetzliche Rahmenwerke müssten sich dem anpassen. Die Modernisierung der Arbeitsformen sei ein Wettbewerbsfaktor.

Führung im New-Work-Szenario

Mehr Selbstbestimmung (Unbossing) sei keineswegs ein Synonym für Laissez-faire, stellte Bruch klar. Zudem seien Purpose (Sinn) und Inspiration weitere wichtige Merkmale der transformationalen Führung, die sich im traditionellen Führungsmodell von der transaktionalen Führung, wie sie in den meisten Unternehmen heute vorherrsche, unterscheidet. Die transaktionale Führung nutze Instrumente wie Leistungsüberprüfung, MBO-Modelle, Boni. Allerdings gebe es Elemente in der transaktionalen Führung, die elementar seien, wenn Menschen ein Bedürfnis nach Orientierung hätten.

Transaktionale Führung
Transformationale Führung
  • Ziele und Beiträge konkretisieren
  • Ergebnisse kontrollieren
  • Offenes Feedback
  • Wertschätzung und Anerkennung
  • Vorbildhandeln
  • Inspirierende Motivation
  • Geistige Anregung
  • Individuelle Förderung und Coaching

Quelle:
Bass, Bernard M.; Aviolo, Bruce J. Transformational leadership development: Manual for the multifactor leadership questionnaire. Consulting Psychologists Press, 1990.

Für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen müssten transformationale Führungselemente gestärkt werden, sodass Menschen nicht nur Orientierung, sondern auch Sinn vermittelt werde. Dies sei schon immer die effektivste und erfolgversprechendste Art der Führung gewesen und auch in der New-Work-Transformation die Weichenstellung, um zu erfolgreichen Pionieren zu werden, so Bruch.

Eine weitere wichtige Führungskompetenz im New-Work-Szenario sei «Beidhändigkeit», was einerseits die Fähigkeit zu Effizienz und Exekution und andererseits die Fähigkeit zu Innovation und Exploration beschreibt.

Unterschiedliche Unternehmensbereiche benötigten unterschiedliche Ansätze, differenzierte Bruch die Anforderungen an Führungskräfte. Jeder Bereich und jede Arbeitsaufgabe habe eine eigene Kultur und auch Arbeitsform. Transaktionale Elemente schüfen eine Grundlage für Wahlmöglichkeiten. Das Prinzip «gleiche Regeln für alle» liefe nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hinaus. Vielfalt könne allerdings nur implementiert werden, wenn die Spielregeln transparent seien und die Führungskräfte entsprechende Handlungsspielräume hätten.

Anforderungen an Führungskräfte

Bruch machte deutlich, dass Führungskräfte sowohl Gestaltungskompetenzen wie Selbstmanagement, Emotionsregulation und Kontrollüberzeugung als auch Adaptionskompetenzen wie Polychronizität (Management mehrerer Aufgaben gleichzeitig), Stress Mindset, Unsicherheitstoleranz und Abgrenzungsfähigkeit mitbringen müssten. Adaptionskompetenzen seien aber um circa ein Drittel weniger stark verbreitet als Gestaltungskompetenzen. Ein «Alles-im-Griff»-Anspruch passe nicht in eine VUCA[3]-Welt, stellte Bruch fest. Führungskräfte müssten umlernen.

Nach dem Lockdown sei die «Rückkehr zum Alten» keine Option, genauso wenig wie «einfach loslassen». Transformation müsse gestaltet werden, und das gehe über das Homeoffice-Thema weit hinaus. New Work müsse in einem Geist des Dialogs mit den Mitarbeitenden gestaltet werden.

Zur Person

Prof. Dr. Heike Bruch ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung von Leadership und Direktorin am Institut für ­Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen. Ihre Forschungsthemen umfassen Leadership, Energie und Engagement, gesunde Hochleistung, neue Führungs- und Arbeitsformen.

Transformation in neun Schritten

Bruch schlägt für eine konsequente Transformation neun Schritte vor. Am Startpunkt jeder Veränderung steht das Bewusstsein für die Dringlichkeit: Die Beschleunigungsfalle habe sich jetzt aufgetan, wie Bruch am Anfang ihrer Ausführungen darlegte. Um ihr zu entgehen, sei es jetzt, zu diesem kritischen Zeitpunkt, notwendig, einen Transformationsprozess zu starten, um die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen zu erhalten. Dazu bedürfe es einer sichtbaren Haltung der Führung – das Signal ins Team müsse klar sein. Ein Zukunftsbild schaffe Orientierung über die künftige Aufstellung des Unternehmens. Dazu empfiehlt Bruch ein Roadmapping, um kurzfristige Aktivitäten ganzheitlich festzulegen. Hier könne ein New-Work-and-Culture-Check unterstützen. Eine moderne, transformationale Führung müsse gestärkt und mit Werkzeugen ausgestattet werden, beispielsweise für Führung auf Distanz und Krisenmanagement. Mit der DNA beschreibt Bruch die Kulturelemente eines Unternehmens; diese empfiehlt sie bewusst zu analysieren und dann festzulegen, welche Elemente gestärkt bzw. entwickelt oder «verlernt» werden sollten. Dies sei kein Top-down-Prozess, sondern müsse im Dialog miteinander passieren. Mit regelmässigen Pulse-Checks sollte überprüft werden, wo die Menschen im Unternehmen im Veränderungsprozess stehen, um Beschleunigungsfallen zu identifizieren. Die Entwicklung expliziter New-Work-Spielregeln im Dialog über alle Hierarchiestufen empfiehlt Bruch als förderlichen Prozess: Eine gemischte Taskforce könne die Stärken und Schwächen der Unternehmenskultur vor und während der Coronakrise analysieren, um dann die Stärken zusammenzutragen und daraus Regeln zu entwickeln. Abschliessend müsse eine gesunde Hochleistung (Fokus auf Gesundheit) gesichert werden: Diejenigen Unternehmen, die jetzt die Themen New-Work und New-Leadership entwickelten, würden nach der Coronakrise völlig anders positioniert sein als diejenigen, die jetzt Opfer einer Beschleunigungsfalle würden, Mitarbeiter verlören und eine entmutigte Führung hätten.

Die Lockdown-Erfahrung habe für diesen Prozess den Startpunkt markiert, schloss Bruch ihren Appell.

Quelle: Der Artikel basiert auf dem Vortrag «New Leadership: Zwischen Purpose und Überhitzung» von Prof. Bruch vom 16. Oktober 2020.

[1] Bruch/Meifert (2020): New Work in der Bewährungsprobe. Personalmagazin 6/2020, S. 6–7. Oder https://www.haufe.de/personal/hr-management/auswirkungen-der-corona-krise-auf-new-work_80_514890.html
[2] https://newwork-web.reflact.com
[3] VUCA: Abkürzung aus dem Englischen für Volatilität,
Unsicherheit, Komplexität (Complexity), Ambiguität.

Links

«New Work, jetzt! Neun Schritte für eine echte Transformation»,
mit Empfehlungen zum schrittweisen Vorgehen

Video «Leadership 4.0 zwischen Speed und Beschleunigungsfalle»

Take-Aways

  • Homeoffice ist ein Element von mehreren, durch die sich die Arbeitsformen des New Work auszeichnen.
  • Neue Arbeitsformen erfordern eine entsprechende Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor, eine New Culture.
  • Unternehmen, die in der Gefahr einer Beschleunigungsfalle schweben, können jetzt die Chance nutzen, eine Transformation ihrer Unternehmens- und Führungskultur zu starten.
  • Für die Transformation werden neun Schritte empfohlen: Schaffung eines Bewusstseins für Dringlichkeit, klare Haltung des Top-Managements, Entwicklung eines Zukunftsbilds, ein Roadmapping, Stärkung und Unterstützung für transformationale Führung, Analyse und Entwicklung der Unternehmenskultur, Change-Monitoring im Team, explizite New-Work-Spielregeln, Fokus auf gesunde Hochleistung.

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