Gesetzeslage nach dem Covid-Schock: Nachbesserungsbedarf aus arbeitsrechtlicher Sicht

Mittwoch, 09. Dezember 2020 - Dr. Emanuel Tschannen
Die zweite Pandemie-Welle wälzt sich über die Schweiz, die nicht mehr so unvorbereitet ist wie anlässlich der ersten Welle. Doch wird das Gelernte wirklich umgesetzt? Oder fallen die primären Ziele einer Covid-Strategie einer Verzettelung zum Opfer? Eine Einschätzung von Dr. Emanuel Georg Tschannen.

Trotz durchgeführter Planungsarbeit [1] (alle Fussnoten sind am Ende des Artikels zu finden) traf die Corona-Epidemie im Februar 2020 auf einen scheinbar unvorbereiteten Staat [2]. Die Bilder von mit Toten beladenen Militärlastwagen in Norditalien befeuerten auch hierzulande die Angst vor dem Coronavirus (Sars-Cov-2) und der daraus folgenden Erkrankung (Covid-19 [3]). Bund und Kantone befürchteten eine Überlastung der Spitäler und insbesondere einen Mangel an Intensivpflegeplätzen, Beatmungsgeräten und Schutzmasken. Der Bundesrat reagierte besonnen und verschaffte sich durch die Anordnung von Sofortmassnahmen [4] Zeit. Im Kern wurde versucht, die Zahl der Neuinfektionen durch eine Verlangsamung des sozialen Lebens zu reduzieren [5]. Dieses Ziel konnte während der ersten Covid-Welle mit allgemeinverbindlichen Massnahmen erreicht werden. Wider Erwarten bilden aber noch heute, d.h. zu Beginn der zweiten Welle, primär Positivitätsrate und Reproduktionszahl Grundlage für den Erlass einschneidender Massnahmen [6]. Dies obschon heute bessere und aussagekräftigere klinische Daten aus der medizinischen Praxis vorliegen als zu Beginn der Pandemie. Diese Daten liessen allenfalls auch differenziertere und für die Allgemeinheit möglicherweise weniger einschneidende Massnahmen zu.

Seit dem 28. Februar 2020 wurde eine Vielzahl von teilweise mehrmals revidierten Spezialverordnungen erlassen: Alleine die Covid-19-Verordnung 2 wurde in den rund drei Monaten ihres kurzen Lebens insgesamt 24 Mal revidiert. Diese raschen Anpassungen steigerten die Qualität der Verordnungen nicht immer. Der Zeitdruck und das anfänglich bestehende Fehlen verlässlicher klinischer Daten mag die Entstehung von Widersprüchen und Ungleichbehandlungen erklären. Trotzdem ist es Fakt, dass die Grundrechte in der Schweiz durch die jüngste Entwicklung in einer, zumindest seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, noch nie dagewesenen Form sowie neuerdings auf unabsehbare Zeit eingeschränkt werden [7]. Deshalb und weil wir uns seit dem Ende der ausserordentlichen Lage gemäss Epidemiegesetz [8] und dem Inkrafttreten des Covid-19-Gesetzes [9] zumindest regulatorisch in tieferen Gewässern befinden, scheint der Zeitpunkt geeignet, die erlassenen Massnahmen aus arbeitsrechtlicher Sicht einzuordnen [10].

Entschädigung von Umsatzeinbussen

Gemäss Art. 40 Epidemiegesetz (EpG) können die zuständigen (kantonalen) Behörden Veranstaltungen verbieten oder einschränken, Schulen und private Unternehmen schliessen sowie die Bewegungsfreiheit einschränken, um die Verbreitung übertragbarer Krankheiten in der Bevölkerung oder in bestimmten Personengruppen zu verhindern. Gemäss Art. 63 EpG sind allerdings genau diese Massnahmen von der Haftung des Staates ausgeklammert. Somit stellte sich zu Beginn der Corona-Epidemie die Frage, wer für die Umsatz- und Erwerbseinbrüche der aus den durch den Bundesrat angeordneten Massnahmen einstehen sollte. Wegen des Fehlens einer positivrechtlichen Zurechnungsnorm wäre der Schaden grundsätzlich durch die Geschädigten zu tragen gewesen. Dies schien dem Bundesrat offensichtlich weder sachgerecht noch sinnvoll. Daher wurden im Schnellzugstempo Instrumente geschaffen bzw. erweitert, die unterschiedlichen Anspruchsgruppen wie Unternehmen, Selbständigen und Arbeitnehmern den Ersatz zumindest eines Teils ihrer aus der Bewältigung der Krise resultierenden Umsatz- bzw. Erwerbseinbusse ermöglichten: So wurden insbesondere der Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung erweitert und neue Formen des Erwerbsersatzes geschaffen. Zusätzlich wurden den Unternehmen rasch Kredite zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen bereitgestellt, die durch den Bund abgesichert waren [11]. Dies erforderte die Anpassung bestehender sowie die Schaffung neuer Normen. Dabei stand der Verordnungsgeber unter Zeitdruck: Er musste schnell praktikable sowie möglichst kostengünstige Lösungen bereitstellen. Mit dem Covid-19-Gesetz wurde die gesetzliche Grundlage geschaffen, den Kulturbereich, Unternehmen, Eis­hockey- und Fussballklubs der professionellen Ligen sowie Medien [12] auch nach dem Ende der Notrechtssituation finanziell zu unterstützen. Weiter wurde auch der Ersatz des Erwerbs- bzw. Lohnausfalls von Selbständigen und arbeitgeberähnlichen Personen geregelt [13].

Der Bundesrat hat rasch Instrumente geschaffen bzw. modifiziert, um die ansonsten unbilligen Folgen des Fehlens einer positivrechtlichen Zurechnungsnorm für die aus den Covid-Massnahmen resultierenden Umsatz-, Erwerbs- und Lohneinbussen zu mildern. Der dabei an den Tag gelegte Pragmatismus ist zu begrüssen. Folge der zeitlichen Umstände ist aber ein Flickenteppich behördlicher Massnahmen und Instrumente zur finanziellen Bewältigung der Coronakrise, der auf den ersten Blick schwer zu erfassen ist. Strukturell wäre es zu begrüssen, wenn der Gesetzgeber den Haftungs­katalog des Epidemiegesetzes auf Massnahmen gemäss Art. 40 EpG ausweiten würde. Dadurch würden die Grundsätze der heute vorliegenden faktischen Staatshaftung direkt im Epidemiegesetz geregelt. Dies würde der Übersichtlichkeit dienen und zudem klarstellen, dass die Regeln auch dann gelten, wenn die Kantone restriktivere Covid-Massnahmen beschliessen als der Bund.

Kostenreduktion durch Kurzarbeit

Rasch war klar, dass die Personalkosten während der Krise mittels Kurzarbeit reduziert werden können. Anspruchsgrundlage bildet primär die sogenannte Härtefallregelung gemäss Art. 32 Abs. 3 AVIG [14]. Der Bundesrat hat mit der Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung [15] zumindest während der ersten Welle die Voranmeldung [16], Abrechnung [17] und Auszahlung von Kurzarbeit administrativ vereinfacht. Auch wurde der Kreis der Anspruchsberechtigten insbesondere auf arbeitgeberähnliche Personen ausgeweitet [18]. Allerdings endete diese Ausweitung am 1. September 2020 und wurde mit dem Beginn der zweiten Covid-Welle per 29. Oktober 2020 lediglich auf Arbeitnehmer auf Abruf erweitert [19]. Mit dem Verzicht auf die Anrechnung von Karenztagen [20] sowie dem Verzicht auf die Verrechnung mit bestehender Mehrarbeit wurde der Leistungsumfang in einem homöopathischen Mass vergrössert.

Insgesamt ist Kurzarbeit seit langem ein bewährtes Instrument zur Abfederung von «Teilarbeitslosigkeit» [21] bzw. zum Erhalt von Arbeitsplätzen bei vor­übergehenden Beschäftigungseinbrüchen. Kurzarbeit soll den Arbeitsausfall innerhalb eines bestehenden Arbeitsverhältnisses auffangen, für das eine primäre Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers vorliegt [22]. Aus dieser Logik folgt, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber je einen Beitrag zur Überbrückung des Erwerbsausfalls leisten sollen. Beim Arbeitnehmer besteht dieser Beitrag in einem auf 80 Prozent reduzierten Lohnersatzanspruch für die effektiv vorliegende Teilarbeitslosigkeit [23]. Der Arbeitgeber anderseits hat die Karenztage zu vergüten [24] und die Sozialabgaben auf dem ganzen Lohn abzuführen [25]. Das Instrument der Kurzarbeit eignet sich zur Abfederung der verordneten Covid-Massnahmen sehr gut. Vorteilhaft ist, dass Verwaltung, Kassen und Arbeitgebern in der Krise ein bereits bekanntes Instrument zur Verfügung steht. Weil die aus der Covid-Krise resultierenden Beschäftigungseinbrüche nicht durch die Arbeitgeber zu vertreten sind, wäre ein vollständiger Verzicht auf die Karenzzeit sowie eine Vergütung der überschüssigen Sozialversicherungsbeiträge durch die Arbeitslosenkasse folgerichtig. Auch die Ausweitung der Kurzarbeit auf alle Arbeitnehmer scheint mir in vergleichbaren Lagen angezeigt. Insgesamt wäre es nach meinem Dafürhalten sinnvoll, die Härtefallregel gemäss Art. 32 Abs. 3 AVIG in der Arbeitslosenversicherungsverordnung [26] analog den während der ersten Welle verordneten Erleichterungen und Ausweitungen zu konkretisieren. Damit wäre auch künftig klar, dass während der Dauer von behördlich angeordneten Massnahmen für alle betroffenen Unternehmen das erleichterte Kurzarbeits-Regime gemäss dem Prozess KAE-Covid-19 [27] gelten würde.

Erwerbsersatz für arbeitgeberähnliche Personen

Keinen Anspruch auf Kurzarbeit haben gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG arbeitgeberähnliche Personen [28]. Nach der Rechtsprechung ist dieser Ausschluss vom Entschädigungsanspruch absolut zu verstehen [29] und dient der Vermeidung von Missbräuchen [30]. Das Parlament hat Art. 15 des Covid-19-Gesetzes auf arbeitgeberähnliche Personen ausgeweitet [31]. Konkret steht Selbständigen und arbeitgeberähnlichen Personen seit dem 17. September 2020 [32] ein Anspruch auf Erwerbsersatz zu, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit aufgrund von Massnahmen im Zusammenhang mit der Bewältigung der Covid-19-Epidemie unterbrechen oder massgeblich einschränken müssen [33]. Voraussetzunag ist in beiden Fällen eine Erwerbseinbusse bzw. ein Lohnausfall [34]. Als massgebliche Einschränkung der Erwerbstätigkeit gilt grundsätzlich eine monatliche Umsatzeinbusse von mindestens 55 Prozent im Vergleich zum durchschnittlichen monatlichen Umsatz der Jahre 2015 bis 2019 [35]. Der Anspruch entsteht rückwirkend auf den Zeitpunkt der angeordneten Massnahme und endet mit deren Ende [36], voraussichtlich spätestens per 30. Juni 2021 [37]. Arbeitgeberähnliche Personen haben Anspruch auf Ersatz von 80 Prozent des entstandenen Lohnausfalls [38]. Gestrichen wurde die m.E. willkürliche Begrenzung des Anspruchs auf Personen, die 2019 ein versichertes Einkommen zwischen 10000 und 90000 Franken erwirtschafteten [39].

Die Lösung für arbeitgeberähnliche Personen scheint ein Gebot der Stunde zu sein. Trotzdem ist sie nicht über alle Zweifel erhaben. Ursprünglich war der Erwerbsersatz gemäss EOG [40] eine Entschädigung für den Erwerbsausfall von Dienstleistenden im Rahmen von Armee, Zivilschutz und Jugend+Sport. Seit 2015 wird auch die Mutterschaftsentschädigung durch das EOG geregelt. Mit der Ausweitung des Erwerbsersatzes auf von Erwerbsausfällen betroffene arbeitgeberähnliche Personen wird erneut ein Fremdkörper in die Erwerbsersatzordnung eingesetzt. Das zu lösende Problem wäre, zumindest in Bezug auf arbeitgeberähnliche Personen, besser über das Instrument der Kurzarbeit gelöst worden. Konkret sollte arbeitgeberähnlichen Personen von betroffenen Arbeitgebern ein Anspruch auf Kurzarbeit zugestanden werden. Dies wäre auch deshalb sachgerecht, da diese Arbeitnehmer Sozialversicherungsleistungen abführen wie alle übrigen Arbeitnehmer auch. Weil der Covid-bedingte Arbeitsausfall nicht Folge eines Missbrauchs, sondern einer behördlichen Anordnung ist, rechtfertigt sich meines Erachtens keine Schlechterstellung von arbeitgeberähnlichen Personen im Rahmen der Härtefallklausel gemäss Art. 32 Abs. 3 AVIG.

Die mit der Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung erfolgte Ausweitung des Anspruchskreises auf arbeitgeberähnliche Personen [41] hat sich bewährt. Lediglich der angerechnete Pauschalbetrag in der Höhe von 3320 [42] Franken schien eher tief angesetzt. Gerechtfertigt wurde dies (erneut) mit dem Argument der Missbrauchsbekämpfung [43]. Richtigerweise sollte arbeitgeberähnlichen Personen der gleiche Anspruch zustehen wie den übrigen Arbeitnehmern: Nämlich 80 Prozent des versicherten Verdiensts bis zur Höhe des sozialversicherungsrechtlichen Maximums, wie dies nun auch die Covid-19-Verordnung Erwerbsaufall vorsieht [44].

Differenzierender Arbeitnehmerschutz

Am 16. März 2020 wurde per Notrecht der Begriff der besonders gefährdeten Person [45] in das Arbeitsrecht eingeführt. Neben objektiven Abgrenzungskriterien werden Arbeitnehmer neuerdings auch gestützt auf subjektive Eigenschaften klassifiziert: In besonders gefährdete und andere (nicht besonders gefährdete) Arbeitnehmer. Bei der besonders gefährdeten Person handelt es sich um Menschen ab 65 Jahren sowie um jüngere, mit einer spezifischen gesundheitlichen Vorbelastung, die eine Corona-Erkrankung begünstigt [46]. Ein homogener Arbeitnehmerbegriff existiert demnach aus Sicht des Gesetzgebers nicht [47]. Zu diskutieren bleibt, ob sich die Gruppe der nicht besonders Gefährdeten aus (i) normal gefährdeten und (ii) nicht gefährdeten Arbeitnehmern zusammensetzt. Dieses dreigeteilte Konzept wäre insgesamt ein spannender Ansatz im Arbeitsrecht, das auch auf die grundsätzlich implizierte Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers Anwendung finden könnte. De lege ferenda könnten beispielsweise besonders, normal und reduziert schutzbedürftige Arbeitnehmer unterschieden werden, für die unterschiedliche arbeitsrechtliche Schutzvorschriften gelten würden.

Zwischen dem 16. März 2020 und dem 22. Juni 2020 galt für Arbeitgeber besonders gefährdeter Arbeitnehmer die Pflicht, diesen – seit dem 20. März 2020 nur noch soweit organisatorisch und technisch möglich – Homeoffice-Arbeit  [48] zu ermöglichen [49]. Gemäss Art. 4 Abs. 1 Covid-19-Gesetz kann der Bundesrat auch in der aktuellen Lage Massnahmen zum Schutz von besonders gefährdeten Arbeitnehmern anordnen und Arbeitgebern diesbezügliche Pflichten auferlegen. Gemäss Botschaft soll dabei der Kreis der besonders gefährdeten Personen «präzisiert» werden [50]. Am 18. Oktober 2020 hat der Bundesrat die Covid-19-Verordnung besondere Lage per 19. Oktober 2020 angepasst [51]. Mit der Anpassung wurde auch eine «Homeoffice-Empfehlung» erlassen [52], die allerdings nicht wirklich aussagekräftig ist.

Homeoffice-Empfehlung des Bundesrats

Gemäss Art. 10 Abs. 3 Covid-19-Verordnung besondere Lage haben Arbeitgeber seit dem 19. Oktober 2020 die Homeoffice-Empfehlungen des BAG zu beachten [53]. Auf diese wird in der Verordnung mittels Link in einer Fussnote verwiesen, was an sich bereits beachtenswert ist. Gemäss deutschem Verordnungstext sind Arbeitgeber gehalten, die genannten Empfehlungen des BAG «zu beachten». Daraus kann eine gewisse Freiwilligkeit abgeleitet werden, ob die «Empfehlung» auch tatsächlich umgesetzt wird oder nicht. Auch das ist beachtenswert. Konsultiert man den französischen und italienischen Verordnungstext, wird aus der Empfehlung eher eine Verpflichtung: Hat doch der Arbeitgeber die Empfehlungen zu «respektieren» [54]. Insgesamt scheint der Bundesrat aber (noch) keine zwingende Geltung der Empfehlung gewollt zu haben [55].

Die fürsorgliche Förderung von Homeoffice-Arbeit durch den Verordnungsgeber ist an sich zu begrüssen. Noch 2017 klassifizierte das Seco Homeoffice-Arbeit (Telearbeit) als «atypisch-prekär» [56]. Weil Homeoffice-Arbeit kein eigener Vertragstypus des Obligationenrechts ist, richtet sich die Qualifikation dieser auf Arbeitsleistung gerichteten privatrechtlichen Vereinbarung nach der konkreten, parteiautonomen Vereinbarung. Auf Homeoffice-Arbeit gerichtete Verträge sind mit anderen Worten Innominatkontrakte, auf die das Arbeitsgesetz nicht unbesehen Anwendung findet [57]. Diese Betrachtung erhöht den Handlungsspielraum der Parteien und entspricht, zumindest in Bezug auf gut ausgebildete Kopfarbeiter, dem überwiegenden Bedürfnis der Parteien. In der Praxis ist die überwiegende Handhabung von Homeoffice-Arbeit als Ausweitung des vertraglich zulässigen Arbeitsorts auf die privat genutzten Räume des Arbeitnehmers zu verstehen. Solche Homeoffice-Weisungen konkretisieren einen bereits bestehenden Arbeitsvertrag, weshalb Homeoffice-Arbeit grundsätzlich den Regeln des Arbeitsgesetzes untersteht. Konkret hat der Arbeitgeber daher auch im Homeoffice die Arbeitszeit zu erfassen und die Pausenregeln durchzusetzen. Dieser etwas unpraktische Ansatz lässt sich parteiautonom nicht beheben. Dazu wäre vielmehr eine Anpassung des Arbeitsgesetzes erforderlich, die der Bundesrat derzeit indessen nicht an die Hand nehmen will [58]. Meines Erachtens wäre es angezeigt, Homeoffice-Arbeit von den Regeln des Arbeitsgesetzes immer dann auszunehmen [59], wenn dem Arbeitnehmer durch das Homeoffice eine im Vergleich zur Arbeit im Büro erhöhte zeitliche Flexibilität zugestanden und seine Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber technisch nicht systematisch überwacht wird. Dies, weil von solcher Homeoffice-Arbeit betroffene Arbeitnehmer nicht gleichermassen schutzbedürftig sind, wie der idealtypische Fabrikarbeiter, der dem Schutzkonzept des Arbeitsgesetzes nach wie vor Pate steht.

Kritisches Fazit: Primärziele noch im Fokus?

Der Bundesrat zielt auf die Bewältigung der Covid-19-Epidemie [60]. Fraglich ist, ob die getroffenen Massnahmen tatsächlich stets dem konkreten Schutz des Individuums vor Sars-Cov-2 dienten oder ob dieses Primärziel aufgrund der Komplexität sowie der, zumindest anfänglich bestehenden, ungenauen Datenlage bisweilen durch Sekundärziele wie den Schutz knapper Güter (z.B. Masken und Beatmungsgeräte), die Erhaltung knapper Ressourcen (z.B. Pflegeplätze auf Intensivstationen) oder den Erhalt der internationalen Mobilität (Stichwort Tourismus) überlagert wurde. Eine auf klinische Daten basierende, nach Risikogruppen differenzierende Covid-Strategie wurde bisher, soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht. Daher liegt der Schluss nahe, dass auch acht Monate nach Erlass der Covid-19-Verordnung 1 primär auf kurzfristige Veränderungen von statistischen Daten wie Reproduktionszahl und Positivitätsrate reagiert wird. Fehlt jedoch eine am Primärziel ausgerichtete Covid-Strategie, können Kantone und Bundesämter auch keine nachhaltigen und differenzierten Massnahmen daraus ableiten [61]. Vielmehr besteht die Gefahr einer undifferenzierten Verzettelung, wodurch einerseits das Primärziel aus den Augen verloren geht und anderseits vermeidbare Kosten resultieren, die künftig sozialisiert werden müssen. Zum Schutz der Wirtschaft sowie zur Verhinderung von unnötigen und schlimmstenfalls unbefristeten Grundrechtseinschränkungen drängen sich nach Risikogruppen abgestufte Massnahmen, die auf ­klinischen Daten beruhen, auf.

Arbeitgeber entlasten

Genauso wenig wie sich die verordneten Massnahmen an Sekundärzielen ausrichten dürfen, darf eine Externalisierung der aus den Massnahmen resultierenden Umsatz- und Erwerbseinbussen auf Arbeitgeber und Selbständige erfolgen. Solange Bund und Kantone keine nach Risikogruppen differenzierenden Massnahmen verfügen, sondern der aktuellen Herausforderung vielmehr grobschlächtig mit Einschränkungen der Wirtschafts- und Bewegungsfreiheit begegnen, haben sie auch für die daraus resultierenden Umsatz- und Erwerbsausfälle aller Betroffenen einzustehen. Der Staat hat mit anderen Worten die Wahl, ob er einfache, aber teure Massnahmen oder differenzierte und weniger teure Massnahmen verfügt. Keine Option ist der Erlass einfacher Massnahmen ohne Übernahme der daraus folgenden Verantwortung. Derzeit drängen sich nicht mehr, sondern punktgenauere Massnahmen auf. Die Härtefallregelung gemäss Art. 32 Abs. 3 AVIG ist analog dem Prozess KAE-Covid-19 [62] administrativ zu vereinfachen und im Leistungsumfang zu erweitern. Konkret sollten alle betroffenen Arbeitnehmer, auch höher leitende Mitarbeitende und arbeitgeberähnliche Personen, für Kurzarbeit angemeldet und abgerechnet werden können. Die sozialversicherungsrechtliche Ungleichbehandlung von arbeitgeberähnlichen Personen muss zumindest in diesem Rahmen beendet werden. Das antizipierte Missbrauchspotenzial rechtfertigt in Fällen behördlicher Massnahmen keine Diskriminierung.

In Krisen sind flexible, pragmatische Lösungen gefragt. Privatrecht ist flexibel und kann Probleme bedarfsgerecht lösen. Die Unterstellung von Home­office-Arbeit unter die Regeln des Arbeitsgesetzes ist in aller Regel nicht sachgerecht, weil Arbeitnehmer, die ihre Arbeit von zuhause aus erledigen können, nicht des Schutzes eines Fabrikarbeiters bedürfen, der den Arbeitnehmerschutznormen des Arbeitsgesetzes Pate stand. Auch wenn der Bundesrat das heisse Eisen nicht anpacken mag: Eine Entschlackung des Arbeitsgesetzes sowie nach der effektiv bestehenden Schutzbedürftigkeit differenzierende Arbeitnehmerschutznormen wären zeitgerecht und geeignet, den Werkplatz Schweiz zu stärken. Die Krise zeigt, dass der Staat, auch wenn er in bester Absicht handelt, nicht alle Probleme alleine lösen kann. Die Verarbeitung der Krise wird insbesondere Arbeitgeber und Arbeitnehmer fordern. Daher wäre es angebracht, ihnen die erforderliche Flexibilität zuzugestehen, die anstehenden Herausforderungen eigenverantwortlich anzugehen.

Fussnoten

1 Vgl. Faktenblatt des Bundesamts für Bevölkerungsschutz vom 01.07.2015 (zuletzt besucht am 09.11.2020) sowie die 5. Auflage des Influenza-Pandemieplans des Bundesamts für Gesundheit (BAG) von 2018 (zuletzt besucht am 09.11.2020).
2 So wurde Covid-19 noch am 28.01.2020 durch das BAG für die Schweiz als keine oder sehr geringe Gefahr eingestuft. Dies obschon anscheinend kurz davor eine mit dem Virus infizierte Reisegruppe aus Wuhan (China) durch die Schweiz gereist war (Quelle: Sonntagszeitung vom 20.09.2020; zuletzt besucht am 09.11.2020).
3 Kleinschreibung für die deutsche Sprache gemäss Verordnung über die Abstützung der Covid-19-Verordnungen auf das Covid-19-Gesetz vom 07.10.2020 (AS 2020 3971).
4 Dies umfasste vorerst ein Veranstaltungsverbot (Art. 2 Abs. 1 der Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus [Covid-19] vom 28. Februar 2020 [Covid-19-Verordnung 1; AS 2020 573] sowie Art. 6 Abs. 1 der Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus [Covid-19] vom 13. März 2020 [Covid-19-Verordnung 2; AS 2020 773], die Erschwerung des Grenzübertritts (Art. 3 Abs. 1 CO-VID-19-Verordnung 2) sowie das Verbot des Präsenzunterrichts an Schulen (Art. 5 Abs. 1 [Präsenzunterricht] Covid-19-Verordnung 2).
5 Zum Massnahmenpaket: Emanuel Georg Tschannen: Das Corona-Massnahmenpaket des Bundesrats, in: Jusletter 14. 04.2020 (zit. Tschannen).
6 Dies ist jedenfalls der Eindruck, den man von der Medienkonferenz des Bundesrats vom 28.10.2020 erhält (zuletzt besucht am 09.11.2020).
7 Vgl. Verordnung vom 28.10.2020 betreffend Änderung der Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Verordnung besondere Lage) vom 19.06.2020 (SR 818.101.26) vom 28.10.2020 (AS 2020 4503) sowie Art. 15 Covid-19-Verordnung besondere Lage.
8 Art. 7 Epidemiegesetz (EpG; SR 818.101).
9 Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz) vom 25.09.2020 (SR 818.102).
10 Die folgende Aufzählung ist das Resultat der Beratungstätigkeit des Autors und erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.
11 Vgl. dazu die Verordnung zur Gewährung von Krediten und Solidarbürgschaften in Folge des Coronavirus (Covid-19-Solidarbürgschaftsverordnung) vom 25.03.2020 (SR 951.261). Die Frist für Kreditgesuche ist für Unternehmen am 31.07.2020 und für Start-ups am 31.08.2020 abgelaufen (Art. 11 Abs. 1).
12 Vgl. Art. 11 (Massnahmen im Kulturbereich), Art. 12 (Härtefallmassnahmen für Unternehmen), Art. 13 (Massnahmen im Sportbereich) und Art. 14 (Massnahmen im Medienbereich) Covid-19-Gesetz (Fn. 9).
13 Vgl. Art. 15 Covid-19-Gesetz (Fn. 9) und Art. 2 Abs. 3 sowie Abs. 3bis der Verordnung über Massnahmen bei Erwerbsausfall im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19) vom 20.03.2020 (Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall; SR 830.31) in der Fassung vom 04.11.2020 (AS 2020 4571).
14 Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (AVIG) vom 25.06.1982 (SR 818.102).
15 Verordnung über Massnahmen im Bereich der Arbeitslosenversicherung im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19) vom 20.03.2020 (Covid-19-Verordnug Arbeitslosenversicherung; SR 837.033).
16 Vgl. Art. 8b Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung (Fn. 15; in Kraft seit dem 26.03.2020; AS 2020 1075).
17 Art. 8g Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung (Fn. 15; in Kraft seit dem 09.04.2020; AS 2020 1201).
18 Vgl. Art. 1 und Art. 2 Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung (Fn. 15; AS 2020 877). Zudem waren neuerdings Arbeitsausfälle anrechenbar, die befristet oder temporär abgeschlossene Arbeitsverträge sowie Lehrarbeitsverträge betrafen (Art. 4). Seit dem 09.04.2020 waren auch Arbeitnehmer auf Abruf unter Umständen Anspruchsberechtigt (Art. 8f).
19 Vgl. Verordnung betreffend Änderung der Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung (Fn. 15) vom 28.10.2020 (AS 2020 4517).
20 Vgl. Art. 3 Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung vom 20.03.2020 (Fn. 15; AS 2020 877). Bereits am 13.03.2020 wurde die Karenzzeit gemäss Art. 32 Abs. 2 AVIG (Fn. 14) i.V.m. 50 AVIV (Fn. 26) von drei Tagen auf einen Tag reduziert (AS 2020 779).
21 Vgl. Botschaft zu einem neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die In-solvenzentschädigung (AVIG) vom 02.07.1980, BBl 1980 489-687 (Botschaft AVIG), 559.
22 Vgl. Botschaft AVIG (Fn. 21), 560.
23 Art. 34 Abs. 1 AVIG (Fn. 14).
24 Art. 37 lit. b AVIG (Fn. 14). Derzeit beträgt die Karenzzeit einen (1) Tag (vgl. Verordnung zur Änderung von Art. 50 Abs. 2 AVIV (Fn. 26) vom 01.07.2020 [AS 2020 2875]).
25 Art. 37 lit. c AVIG (Fn. 18).
26 Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 31.08.1983 (AVIV; SR 837.01).
27 Vgl. Prozess KAE Covid-19 des Seco (zuletzt besucht am 09.11.2020).
28 Als arbeitgeberähnliche Person gilt, wer in seiner Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligter oder als Mitglied eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmt oder massgeblich beeinflussen kann (Art. 31. Abs. 3 lit. c AVIG).
29 BGE 123 V 234 E. 7a.
30 BGE 122 V 270 E. 3.
31 Art. 15 Abs. 2 Covid-19-Gesetz (Fn. 9).
32 Vgl. Art. 11 Abs. 1 Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall (Fn. 13).
33 Vgl. Art. 2 Abs. 3 lit. a und Abs. 3bis lit. a Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall (Fn. 13)
34 Vgl. Art. 2 Abs. 3 lit. b und Abs. 3bis lit. b Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall (Fn. 13)
35 Vgl. Art. 2 Abs. 3ter Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall (Fn. 13)
36 Vgl. Art. 3 Abs. 3 und Abs. 4 Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall (Fn. 14)
37 Vgl. Art. 6 Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall (Fn. 13)
38 Vgl. Art. 5 Abs. 2quater Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall (Fn. 13)
39 Vgl. die alte Fassung von Art. 2 Abs. 3bis Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall (Fn. 13) gemäss der Verordnung vom 16.04.2020 (AS 2020 1257).
40 Bundesgesetz über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (EOG) vom 25.09.1952 (SR 834.1).
41 Vgl. Art. 2 Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung (Fn. 15; AS 2020 877).
42 Vgl. Art. 5 Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung (Fn. 15; AS 2020 877).
43 Vgl. Erläuterungen des Seco zur Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung, 7 (zuletzt besucht am 09.11.2020).
44 Vgl. Art. 5 Abs. 2quater Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall (Fn. 13).
45 Art. 10b Abs. 1 Covid-19-Verordnung 2 (Fn. 4).
46 Art. 10b Abs. 2 Covid-19-Verordnung 2 (Fn. 4).
47 Auch das Arbeitsgesetz unterscheidet zwischen höher leitenden und anderen Mitarbeitern. Erstere unterstehen dem Arbeitsgesetz nicht (vgl. Art. 3 lit. d ArG; SR 822.11).
48 Zum Begriff: Tschannen (Fn. 5), Rz. 20.
49 Vgl. Art. 10c Covid-19-Verordnung 2 (Fn. 4).
50 Botschaft zum Covid-19-Gesetz (Fn. 9) vom 12.08.2020, BBI Nr. 38 vom 12.08.2020, 6598.
51 AS 2020 4159.
52 Art. 10 Abs. 3 Covid-19-Verordnung besondere Lage (Fn. 7).
53 «Die Unternehmen werden aufgefordert, wie im Frühling 2020 die Empfehlungen des BAG während der Covid-19-Epidemie bezüglich Homeoffice zu beachten» (vgl. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/ausbrueche-epidemien-pandemien/aktuelle-ausbrueche-epidemien/novel-cov/so-schuetzen-wir-uns.html; zuletzt besucht am 09.11.2020).
54 «L’employeur respecte» (Französisch) bzw. «I datori di lavoro rispettano» (Italienisch).
55 Medienmitteilung des Bundesrats vom 18.10.2020 (zuletzt besucht am 09.11.2020).
56 Die Entwicklung atypisch-prekärer Arbeitsverhältnisse in der Schweiz; Nachfolgestudie zu den Studien von 2003 und 2010, unter Berücksichtigung neuer Arbeitsformen, Schlussbericht vom 10.10.2017, im Auftrag des Seco (zuletzt besucht am 09.11.2020).
57 Vgl. dazu Emanuel Georg Tschannen: Der Homeoffice-Vertrag als Innominatkontrakt, recht 2018, 3 ff.
58 Medienmitteilung des Bundesrats vom 14.10.2020 (zuletzt besucht am 09.11.2020).
59 Bspw. durch eine Ausnahme vom persönlichen Geltungsbereich gemäss Art. 3 ArG, analog dem Heimar-beitnehmer (vgl. Art. 3 lit. f ArG).
60 Vgl. Titel des Covid-19-Gesetzes (Fn. 9).
61 Die auch gemäss dem Wortlaut von Art. 40 EpG («Personengruppen») durchaus gewollt und möglich wären.
62 Vgl. Fn. 27.

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09.12.2020
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Ohne Arbeit kein Lohn – dieser Grundsatz gilt nicht absolut. Lohnfortzahlungs­anspruch besteht bei einer Covid-19-bedingten Arbeitsunfähigkeit aus medizinischen Gründen. Auch bei verordneter und unverschuldeter Quarantäne muss die Arbeitgeberin Lohn ausrichten, wobei die EO-Entschädigung mitberücksichtigt wird. Nur teilweise geschützt sind Arbeitnehmende bei Kündigungen im Zusammenhang mit Quarantänemassnahmen.

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