Grenzgänger im Homeoffice

Donnerstag, 13. Juli 2023 - Vanessa Prins, Lucien Sonderegger
Die Mehrheit der Unternehmen lässt heute Arbeit im Home­office zu. Betrifft dies Grenzgänger, müssen neben der Sozialversicherungsunterstellung auch Auswirkungen auf die Steuerpflicht beachtet werden.

Homeoffice ist seit der Pandemie aus der Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken. In einer kürzlich durchgeführten Studie gaben über 50% der Firmen an, dass Homeoffice als bedeutender Schlüssel für die Anziehung und Bindung von Talenten gilt. Über 84% der Teilnehmenden dieser Studie gaben an, auch nach dem Ende der Pandemie ihren Mitarbeitenden Homeoffice anbieten zu wollen – in vielen Fällen sogar im grenzüberschreitenden Kontext.[1]

Homeoffice führt in verschiedenen Rechtsgebieten zu neuen, teilweise unbekannten Herausforderungen, unter anderem im Arbeits-, Datenschutz-, Migrations- sowie Sozialversicherungsrecht – und nicht zuletzt im Steuerrecht. Was also müssen Arbeitnehmende und Arbeitgebende aus steuerrechtlicher Sicht beachten? Grenzüberschreitendes Homeoffice zeichnet sich in diesem Artikel dadurch aus, dass die Arbeitstätigkeit des Arbeitnehmenden sowie der Sitz des Arbeitgebers mit dem Wohnsitzland nicht deckungsgleich sind. Ein besonderer Fokus wird – nebst den allgemeinen Besteuerungsregeln im internationalen Kontext – auf die spezifischen Grenzgängerregelungen mit den Nachbarländern der Schweiz gelegt.

Allgemeine Besteuerungsgrundsätze von internationalen Arbeitnehmenden

Natürliche Personen werden für ihre unselbständigen Erwerbseinkünfte grundsätzlich an jenem Ort steuerpflichtig, wo die Arbeit tatsächlich physisch ausgeführt wird. Werden nun bestimmte oder auch nur vereinzelte Arbeitstage bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen nicht mehr physisch am Sitz des Arbeitgebers, sondern im Homeoffice im Ausland geleistet, kann dies zu einer anderen Zuweisung des Besteuerungsrechts des Arbeitslohns führen.

Für Arbeitgebende können in diesem Zusammenhang steuerrechtliche Pflichten aufkommen, die es zu verstehen und umzusetzen gilt. Dabei muss zwingend eine Unterscheidung zwischen den nationalen Besteuerungsregeln und den internationalen Zuteilungsregeln der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) getroffen werden. Während nur nationale Steuergesetze eine Steuerpflicht begründen können, ist es die Aufgabe der Doppelbesteuerungsabkommen, festzulegen, ob ein auf der Grundlage des nationalen Steuerrechts bestehendes Besteuerungsrecht eingeschränkt wird.

Bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen wird grundsätzlich zwischen Grenzgängern und Wochenaufenthaltern unterschieden. Ein Grenzgänger pendelt typischerweise täglich zwischen seinem Wohnort und seiner Arbeitsstätte im Ausland und kehrt am gleichen Tag an seinen Wohnsitz zurück. Internationale Wochenaufenthalter hingegen sind Personen, die während der Woche in der Schweiz arbeiten und am Wochenende jeweils an den Familienort im Ausland zurückkehren.[2]

Viele Unternehmen ziehen es vor, für ihre in der Schweiz beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmenden die Quellensteuer auf dem vollumfänglichen Erwerbseinkommen einzubehalten und abzurechnen.[3] Dies obwohl in vielen grenzüberschreitenden Konstellationen lediglich die in der Schweiz verbrachten Arbeitstage steuerpflichtig wären.[4] Dies ist ein vorsichtiger, aber praktikabler Ansatz, der sicherstellt, dass die Arbeitgeberpflichten erfüllt werden. Mit diesem Verfahren werden aber die Lasten auf die Arbeitnehmenden übertragen, die sicherzustellen haben, dass sie persönlich rechtzeitig (bis zum 31. März des Folgejahrs) eine Neuveranlagung der Quellensteuer beantragen.

Die Schweiz sieht in den DBA mit den angrenzenden Staaten Deutschland, Frankreich, Liechtenstein und Italien abweichende steuerliche Beurteilungen mit entsprechend anderer Zuweisung des Besteuerungsrechts für Grenzgänger vor. Keine entsprechende Regelung wurde hingegen mit Österreich getroffen.

Die Schweiz und ihre Nachbarländer

Im Zuge der Abflachung der Pandemie sind die COVID-19-Vereinbarungen im Bereich der Einkommenssteuer grösstenteils ausser Kraft getreten. Somit gelten für die Grenzgänger aktuell nun wieder die üblichen, teilweise leicht modifizierten Besteuerungsregeln.

Deutschland

Art. 15a des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Deutschland regelt die Besteuerung der Grenzgänger und sieht vor, dass das Einkommen eines Grenzgängers mit Wohnsitz in Deutschland grundsätzlich in Deutschland zu besteuern ist, wobei die Schweiz maximal 4.5% des Bruttobetrags der Vergütung im Rahmen der Quellensteuer einbehalten darf. Deutschland rechnet die in der Schweiz erhobene Quellensteuer der deutschen Einkommenssteuer an.

Die Grenzgänger-Eigenschaft entfällt, wenn eine Anzahl von 60 sogenannten Nicht-Rückkehrtagen pro Kalenderjahr vorliegt. Als Nicht-Rückkehrtag gilt ein Tag, an dem es dem Arbeitnehmer abends aus beruflichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, an ­seinen Wohnort zurückzukehren. Sollte die Anzahl Nicht-Rückkehrtage überschritten werden, wird der Arbeitnehmer nach den allgemeinen Zuteilungsnormen des Doppelbesteuerungsabkommens besteuert. Internationale Wochenaufenthalter gelten somit nie als Grenzgänger im Sinne des Abkommens.

Gemäss Verständigungsvereinbarung zwischen der Schweiz und Deutschland ist eine Homeoffice-Tätigkeit im Wohnsitzland nicht als Nicht-Rückkehrtag zu betrachten und ist somit nicht schädlich für die Aufrechterhaltung des Grenzgängerstatus.[5] Das Schweizer Unternehmen kann also weiterhin 4.5% als Quellensteuer einbehalten, sofern die nötigen Bestätigungen vorliegen.[6]

Liechtenstein

Ähnlich wie in Deutschland sieht das DBA zwischen der Schweiz und Liechtenstein (Art. 15 Abs. 4) ebenfalls vor, dass die Erwerbseinkünfte von Grenzgängern im Wohnsitzstaat besteuert werden. Bei der Konstellation mit Liechtenstein darf die Schweiz als Tätigkeitsstaat allerdings keine Quellensteuern einbehalten. Auch in den Vereinbarungen mit Liechtenstein gibt es eine Schwelle von sogenannten Nicht-Rückkehrtagen, die auf total 45 pro Jahr angesetzt ist. Wird diese Schwelle von 45 berufsbedingten Nicht-Rückkehrtagen überschritten, qualifiziert sich der Arbeitnehmende nicht als Grenzgänger, und es greifen die ordentlichen Besteuerungsregeln, womit der Schweiz das Besteuerungsrecht basierend auf den in der Schweiz geleisteten Arbeitstagen zufällt.

Mit Liechtenstein wurde bereits vor der Pandemie vereinbart, dass Homeoffice-Tage nicht als «schädliche» Nicht-Rückkehrtage gelten.[7] Der Arbeitgeber hat folglich weiterhin keine Quellensteuer abzuführen.

Italien

Mit Italien zeigt sich die Rechtslage etwas komplizierter. Lange galt – und gilt weiterhin – eine Grenzgänger-Regelung, die eine ausschliessliche Besteuerung im Tätigkeitsstaat vorsah. Diese wird allerdings nicht mehr lange in Kraft sein, da sich die Schweiz und Italien auf eine neue Regelung geeinigt haben, die jedoch erst nach der noch ausstehenden Ratifizierung durch das italienische Parlament in Kraft treten wird.[8] Die neuen Regelungen sehen vor, dass «neue» (es gelten grosszügige Übergangsbestimmungen) Grenzgänger auch im Ansässigkeitsstaat besteuert werden können, während der Tätigkeitsstaat nur noch 80% der Erwerbseinkünfte besteuern kann. Eine allfällige Vermeidung der Doppelbesteuerung hat im Wohnsitzstaat zu erfolgen. In Bezug auf die Behandlung von Homeoffice-Tagen bei Grenzgängern bleibt das neue Abkommen noch sehr vage und besagt lediglich, dass die beiden Länder sich weiterhin gegenseitig zu dieser Thematik austauschen.[9]

Bis zum 31. Januar 2023 galt mit Italien noch die Covid-Ausnahmeregelung, die für Homeoffice-Tage eine Fiktion vorsah und diese als im Tätigkeitsstaat verbrachte Arbeitstage betrachtete.[10]

Frankreich

Die Schweiz und Frankreich haben in der zweiten Jahreshälfte 2022 eine Verständigungsvereinbarung unterzeichnet, die am 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist.[11] Ein Nachtrag zum Abkommen ist aktuell in Ausarbeitung, dessen genauer Inhalt nach Unterzeichnung und Ratifizierung veröffentlicht wird. Dies ist gegen Ende des ersten Halbjahrs 2023 vorgesehen.

Die Vereinbarung ist eine nachhaltige Steuerregelung für das Ausüben von Homeoffice, die Mitarbeitern mit Wohnsitz in Frankreich erlaubt, bis zu 40% ihrer Arbeitstätigkeit im Homeoffice auszuüben, ohne dass dies Auswirkungen auf den Grenzgängerstatus sowie die Besteuerung der Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit hat. Damit die 40%-Regelung Anwendung findet, muss es sich bei der Tätigkeit im Wohnsitzstaat um «Telearbeit» handeln. Dies setzt voraus, dass die Tätigkeit mittels digitaler Informations- und Kommunikationstechnologie ausserhalb der Räumlichkeiten des Arbeitgebers sowie auch in dessen Räumlichkeiten ausgeübt werden kann. Zudem beinhaltet dieser Begriff auch vorübergehende Geschäftsreisen in einen Drittstaat oder den Wohnsitzstaat, deren Dauer 10 Tage im Jahr nicht überschreiten darf.

Mitarbeitende, die beispielsweise regelmässig in Frankreich (Wohnsitzstaat) einen Tag pro Woche bei Kunden Arbeitstätigkeiten nachgehen, fallen nicht unter die neue Vereinbarung. Auf diese Mitarbeiter sind die generellen Zuteilungsnormen des DBA anzuwenden. In solchen Fällen können Schweizer Arbeitgebende dazu verpflichtet sein, eine ausländische Quellensteuer in Frankreich einzubehalten und abzuführen. Die Entrichtung ausländischer Quellensteuer gilt jedoch in der Schweiz als verbotene Handlung für einen fremden Staat und ist somit ein Straftatbestand.[12]

Zu beachten ist: Bei Kantonen ohne ­Sonderabkommen haben Mitarbeitende grundsätzlich die Wahl, ob sie von den Bestimmungen der Vereinbarung profitieren möchten oder ob im Wohnsitz geleistete Arbeitstage dort besteuert werden sollen.

Fazit

Aufgrund der zahlreichen länderspezifischen Regelungen ist es schwierig, generelle Aussagen zu den Implikationen von Homeoffice zu treffen. Arbeitgeber werden aber kaum umhinkommen, Homeoffice zu einem gewissen Ausmass weiterhin zu ermöglichen. Im grenzüberschreitenden Kontext empfehlen wir, Homeoffice zu reglementieren. Dies kann zum Beispiel mit einer internen Homeoffice-Policy, in der gewisse Schwellen für entsprechende Länder definiert werden, und einer Meldepflicht geschehen. Damit einhergehend empfehlen wir Arbeitgebenden bei Mitarbeitenden, die grenzüberschreitend tätig sind, das Führen eines Kalendariums. Nebst den Schwellen in Bezug auf das Steuerrecht sind vor allem auch die Regeln zur Unterstellung für die Sozialversicherungspflicht zu beachten (siehe Artikel Bollier).

Auch zu beachten ist, dass im Ausland tätige Mitarbeitende eine allfällige Betriebsstätte im Ausland begründen könnten. Wird für in der Schweiz beschränkt Steuerpflichtige die Quellensteuer vollumfänglich abgerechnet, ist es empfehlenswert, als Arbeitgeber die Arbeitnehmenden auf eine allfällige Korrektur auf persönlichem Weg sowie die entsprechenden Fristen hinzuweisen.

[1] Vialto Partners Remote Work Survey: The New Work Environment, Oktober 2022.
[2] Zu berücksichtigen ist jeweils, dass diese Bezeichnungen sich auf die steuerrechtliche Behandlung beschränken und mit jenen des Migrationsrechts (G-Bewilligung) nicht deckungsgleich sind.
[3] Nach den Bestimmungen des Kreisschreibens Nr. 45 ESTV (12. Juni 2019) ist bei der Bemessung der Quellensteuer von 240 Arbeitstagen pro Jahr auszugehen. Im Ausland geleistete Arbeitstage sind davon auszunehmen.
[4] Kreisschreiben Nr. 45 der ESTV (12. Juni 2019) betreffend Quellenbesteuerung des Erwerbseinkommens von Arbeitnehmern.
[5] Vereinbarung zwischen der Schweiz und Deutschland über ganztägig am Wohnsitz verbrachte Arbeitstage von Grenzgängern zur Anwendung der Grenzgängerregelung in Art. 15a DBA CH-D vom 15./18. Juli 2022.
[6] Formular Gre-1 Ansässigkeitsbescheinigung für Grenzgänger und Formular Gre-3 Bescheinigung des Arbeitgebers über die Nichtrückkehr an mehr als 60 Arbeits­tagen.
[7] Vereinbarung zwischen der Schweiz und Liechtenstein betreffend Anwendung von Art. 15 Abs. 4 des DBA CH-FL vom 14. November 2016.
[8] Gütliche Einigung im Sinne von Art. 26 Abs. 3 des Abkommens vom 9. März 1976 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung bestimmter anderer Fragen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 22. Dezember 2022.
[9] Gemeinsame Erklärung von Italien und der Schweiz zum Freundschaftsabkommen vom 18./19. Juni 2020, datiert 22. Juli 2022.
[10] Vereinbarung nach Art. 26 Abs. 3 des Abkommens vom 9. März 1976 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung bestimmter anderer Fragen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen betreffend die Vorschriften über das Einkommen nach Art. 15 Abs. 1 und 4 des Abkommens und Art. 1 des Abkommens vom 3. Oktober 1974 zwischen der Schweiz und Italien über die Besteuerung von Grenzgängern und über den finanziellen Ausgleich für italienische Grenzgemeinden im Anschluss an die im Rahmen der Bekämpfung der Ausbreitung von COVID-19 getroffenen Massnahmen vom 1. November 2021.
[11] Verständigungsvereinbarung zwischen den zuständigen Behörden der Schweiz und Frankreichs über die Bestimmungen, die auf die Einkünfte gemäss Art. 17 Abs. 1 des Abkommens vom 9. September 1966 zwischen der Schweiz und Frankreich zur Beseitigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Verhinderung der Steuerhinterziehung und -umgehung anzuwenden sind, datiert 22. Dezember 2022.
[12] Art. 271 StGB.

Take Aways

  • Grundsätzlich besteht die Steuerpflicht im Erwerbsland.
  • Die Besteuerung von Grenzgängern und Wochenaufenthaltern ist in den Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit unseren Nachbarländern detailliert geregelt und kann vom Grundsatz abweichen.
  • Je nach Abkommen führt eine Tätigkeit im Homeoffice zu einer Verschiebung der Steuerpflicht von einem Land ins andere.
  • Ein Homeoffice-Reglement mit nach Land unterschiedlichen Schwellen kann das Unternehmen vor unliebsamen Überraschungen schützen.

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