Diskriminierung: Fortschritte in der Prävention

Dienstag, 14. Februar 2023
Sexuelle Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz sind Tatsachen. Um sie zu verhindern, bestehen inzwischen in den meisten Branchen Merkblätter, Ratgeber sowie Anlaufstellen und festgelegte Verfahren. Es fehlen aber aktuelle Angaben und Studien, wie verbreitet das Problem tatsächlich ist.

Rund 28% der Frauen und 10% der Männer in der Deutschschweiz und der Romandie erleben in ihrem Erwerbsleben sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Das stellte 2008 die bisher einzige Studie in der Schweiz dazu im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) und des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) fest.

Die im Februar 2022 von EBG und Seco veröffentlichte Studie «Sexuelle Belästigung in der Schweiz» hält fest, dass das strafrechtliche Delikt der sexuellen Belästigung von 2015 bis 2020 um fast ein Drittel auf 1435 registrierte Straftaten angestiegen ist. Ein relativ hoher Anteil der sexuellen Belästigungen geschehe am Arbeitsplatz. Empfohlen wurden deshalb ausdrücklich spezielle Befragungen zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz.

Die #metoo-Bewegung hat seit 2017 zu einer steigenden Sensibilisierung für das Thema geführt. Wie aktuell das Thema in der Schweiz ist, lässt sich nach einer Umfrage von Keystone-SDA bei verschiedenen Branchen und der öffentlichen Verwaltung nur erahnen. Auch Branchenverbände und Sozialpartner haben keine verlässlichen Zahlen zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz.

Pflege besonders exponiert

In der breiten Öffentlichkeit zu Reden gegeben haben seit 2020 wiederholte Berichte von Sexismus, Mobbing und Belästigung in der Medienbranche. Die Gewerkschaft Syndicom und das Schweizer Syndikat Medienschaffender sprechen von einem strukturellen Problem in vielen Medienunternehmen. Zu Persönlichkeitsverletzungen und Diskriminierung kommt es laut Daten der Schweizerischen Gesundheitsbefragung von 2017 häufiger in den Sektoren Verkehr, Logistik, Post, im Gesundheits- und Sozialwesen und der öffentlichen Verwaltung.

In der Pflege mit ihrem oft sehr engen Kontakt zu den Patienten, wo 85 bis 90% der Beschäftigten Frauen sind, gehe die sexuelle Belästigung in der Regel von Patienten aus, erklärt Pierre-André Wagner vom Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner. Auch Mobbing nehme in der Pflege zu angesichts der immer grösseren Arbeitsbelastung für die Pflegenden. «Die Studie von 2008 lieferte uns die statistische Basis dafür, dass sexuelle Belästigungen ein weit verbreitetes Übel sind, davor hörten wir davon in der Pflege lediglich durch einzelne anekdotische Rückmeldungen», sagt Wagner. Als Antwort darauf sei 2009 der bis heute stark nachgefragte Leitfaden "Verstehen Sie keinen Spass, Schwester?" zum Schutz vor sexueller Belästigung entstanden.

Nachfrage nach Hilfsangeboten gestiegen

Betroffene von Sexismus und Mobbing holen sich offenbar vermehrt Hilfe. Auf breites Interesse stossen seit 2017 die individuellen Online-Beratungen in verschiedenen Sprachen von belaestigt.ch. 2022 hat sich die Zahl der Anfragen verdreifacht, wie Aner Voloder Projektleiter bei der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich sagt. Die Trägerschaft stelle zudem einen deutlichen Anstieg von Anfragen von Firmen, Führungskräften und Personalverantwortlichen fest. Informationen erhalten diese unter kmukonkret.ch.

Nein heisst Nein

Sexuelle Belästigung passiert oft im Verborgenen und ohne Zeuginnen und Zeugen. Studien bestätigen, dass die Dunkelziffern bei sexueller Belästigung und Mobbing relativ hoch sind. Die Zürcher Investigativ-Anwältin Claudia Frische erklärt dies auch damit, dass sich Betroffene beispielsweise in einem Strafverfahren nicht exponieren wollen. Ausserdem werden vor allem verbale sexistische Äusserungen oft als «Witze, die ja gar nicht ernst gemeint sind», abgetan.

Aufschluss über allfällige Probleme in Betrieben könnten Umfragen bei Mitarbeitenden geben. Das Eidgenössische Personalamt (EPA) befragt beispielsweise alle drei Jahre die Mitarbeitenden der Bundesverwaltung im Rahmen der allgemeinen Personalbefragung auch, ob sie sexuelle Belästigung oder Mobbing erleben. Dieser Wert bewege sich insgesamt bei rund 1%, heisst es auf Anfrage. Von «keinen bekannten Fällen» weiss die der Berner Kantonsverwaltung.

Bewusstsein in Unternehmen gestiegen

Die Problematik ist inzwischen erkannt. 2004 hatten laut einer repräsentativen Befragung des Bundes in Privatwirtschaft und Verwaltung lediglich rund ein Drittel der Unternehmen konkrete Massnahmen gegen sexuelle Belästigung getroffen. Inzwischen bestehen fast in allen Branchen und grösseren Unternehmungen Merkblätter, Reglemente und Broschüren zum Thema sexuelle Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz. Sie sind in der Regel auch Online verfügbar. Sexismus und Mobbing werden auf wenigen Seiten oder in umfangreichen Broschüren als diskriminierend verurteilt, interne und externe Anlaufstellen, Beschwerdeinstanzen benannt und mehr oder weniger ausführlich das Vorgehen und die Konsequenzen bei Fehlverhalten festgehalten. (sda)

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