Trends bei der Büroeinrichtung: Das Bürowohnzimmer

Donnerstag, 11. März 2021 - Karen Heidl
Gemeinschaft, Gesundheit, Nachhaltigkeit, Wohnlichkeit, Natürlichkeit, Multifunktionalität mit einem Schuss Vintage – dies ist der angesagte Style im Büro. Urs Clerici, CEO der Rüegg-Naegeli AG, erläutert die aktuellen Einrichtungstrends.
Herr Clerici, in vielen Unternehmen, die ich kenne, hat man nur neue Büromöbel gekauft, wenn es unumgänglich war. Zuerst wurde im Estrich nach Überbleibseln gesucht. Das war in gewisser Weise nachhaltig, allerdings wenig modern. Wie ist das heute?

Heute gibt es im Büroarbeitsumfeld andere Ansprüche. Unternehmen fragen sich, wie sie diesen Ansprüchen meist jüngerer Fachkräfte gerecht werden können, und wenden sich dann mit ihren Fragen an uns. Der Beratungsbedarf hat sich in den letzten zehn Jahren deutlich verstärkt.

Früher bestand ein Büro grob geschätzt zu ca. 70 % aus Tischen, Stühlen und Schränken, zu 10 % aus Verkehrswegen und zu 20 % aus Sitzungszimmern. Heute liegt der Anteil von Tischen, Stühlen und Schränken vielleicht noch bei 50 %, 30 % werden für die Mittelzone – also Kommunikation und Besprechung – verwendet, 10 % für Verkehrswege und 10 % für Entspannungszonen oder Ruheräume. Das zeigt, dass sich das Verhalten innerhalb der Büros sehr verändert hat.

Welche Raumplanungstrends sehen Sie für die nächsten Jahre?

Die Trends um die Themen Kommunikation und Remote Work verstärken sich derzeit – nicht zuletzt wegen der Massnahmen während der Corona-Pandemie. Dies wirkt sich auch auf die Arbeitswelt vor Ort mit dem Zonenkonzept aus.

Neu wird voraussichtlich die Zone für Entspannung und Gesundheit an Bedeutung gewinnen. Gemeinschaftszonen werden ebenfalls wichtiger, gerade wenn Remote Work stärker in den Arbeitsalltag einzieht. Dies können zum Beispiel Cafés oder Küchen sein. Ein weiterer möglicher neuer Trend könnte die Videozone als neue Kommunikationsform sein, in der Videos und andere digitale Medien produziert werden.

Urs Clerici

ist CEO der Rüegg-Naegeli AG (ruegg-naegeli.ch).

Das Unternehmen ist als Fachhandel für Büroausstattungen vor rund 100 Jahren in Zürich gegründet worden. 2019 expandierte das Unternehmen mit der Übernahme durch die Waldis-Gruppe. Das Angebotsportfolio der Rüegg-Naegeli AG umfasst neben Konzeption, Beschaffung und Einrichtung auch Veränderungs-Consulting vor und während der Einführung
neuer Arbeitsplatzmodelle.

Mit welchen Einrichtungswünschen korrespondieren diese Trends?

Es ist anzunehmen, dass in der nächsten Zeit mehr Desk-Sharing-Konzepte entwickelt werden. Gleichzeitig gibt es in den Präsenzzeiten einen erhöhten Bedarf an persönlichem Austausch. Deshalb sehe ich eine verstärkte Nachfrage nach Elementen, die Kommunikation in einem geschlossenen Raum ermöglichen, und nach Möbeln für offene Kommunikationszonen. Dies macht sich bereits heute in der Nachfrage bemerkbar. Hier gibt es auch innovative Möblierungskonzepte, beispielsweise multifunktionale Trennwände, an die Whiteboards, akustische Paneele, Bildschirme oder Tische gehängt werden können. So erhalten traditionelle Regale ganz neue Funktionen. Ein weiterer Trend: Mobile Raum-in-Raum-Systeme ermöglichen geschützte Kommunikation im Grossraum. Diese Räume verfügen über Strom, eine eigene Beleuchtung und eine Geräuschdämmung, so dass akustisch nichts nach aussen dringt. Derzeit wird noch an der Klimatisierung gearbeitet.

Wie kann man sich Ruhe- bzw. Gesundheitszonen vorstellen?

Dafür wurde zum Beispiel ein elektrisches Laufband entwickelt, das so konstruiert ist, dass man während der Laufbewegung am Laptop arbeiten kann. Ob dies ein Weg ist, wird sich zeigen. Man kann aber auch die allgemeine Fitness unterstützen, indem man entsprechende Geräte oder kleinere Gadgets für Übungen anbietet. Dies ist ein noch junger Trend. Etablierter sind Ruheräume.

Raum-in-Raum-System Framery Raum-in-Raum-System Framery
Welche Trends gibt es bei den Materialien?

Nachhaltigkeit und Green Living sind die wichtigsten Stichwörter zu den aktuellen Materialtrends. So spielen Pflanzen und eine natürliche Umgebung mit Holzoberflächen eine wichtige Rolle. Zudem vermitteln Naturmaterialien wie Holz oder Kork Wohnlichkeit, was ein weiterer Büroausstattungstrend ist. Auch Oberflächen und Fussböden aus recyceltem Plastik sind sehr beliebt. Das neu verarbeitete PET hat beispielsweise eine lärmdämmende Wirkung.

Vintage-Design steht hoch im Kurs, also Elemente aus alten Zeiten, die die Einrichtung ergänzen, beispielsweise Tapeten oder alte Holzleitern als Garderobe. Oder man stellt einen alten Leiterwagen oder Holzschrank in den Raum. Diese Elemente schaffen ein ganz anderes Raumgefühl. Dies ist vor allem bei der Gestaltung von Gemeinschaftsräumen wichtig.

Der Grossraum war in den letzten Jahren das grosse Ding. Könnte dieser Trend aus gesundheitlichen Gründen rückläufig sein?

Die Trends schwanken ja häufig von einem Extrem zum anderen, also zwischen den Polen Einzelbüros und Open Space. Ich kann mir vorstellen, dass der Grossraumtrend in Zukunft nicht mehr ganz so konsequent durchgesetzt wird und auch wieder Einzelbüros ermöglicht werden. Aber dies lässt sich noch nicht mit Sicherheit prognostizieren. Corona zeigt aber, dass es sicherer ist, wenn für Risikogruppen Konzepte geschaffen werden, die ermöglichen, auch in Pandemie-Zeiten vor Ort zu arbeiten. Dies ist aber im Moment noch nicht absehbar.

Ist Flexibilität – also das Verändern der Funktionsbereiche – ein Thema?

Flexibilität ist durchaus eine Anforderung bei der Gestaltung der neuen Arbeitswelt, aber nicht in jeder Zone. In den Kreativräumen, die verstärkt Eingang in die Büroumgebungen finden, ist Flexibilität wichtig. Tische sollten mit Rollen beweglich sein, Whiteboards können multifunktional eingesetzt werden – als Tisch oder als hängendes Board. Bei den Arbeitsplätzen und Sitzungszimmern ist der Trend zur Flexibilität inzwischen etwas abgeflacht. Grosse Besprechungsräume werden eher wieder verkleinert und geteilt.

Vom Tisch zum Whiteboard – Multifunktionsmöbel für Kreativräume Vom Tisch zum Whiteboard – Multifunktionsmöbel für Kreativräume
Ist Desk-Sharing tatsächlich ein Trend?

Vor einigen Jahren wurde das Thema noch sehr stark propagiert. Es hat aber eigentlich nicht viel mit Ideen zur neuen Arbeitswelt zu tun. Es gibt einfach viele Bereiche, wo Desk-Sharing nicht sinnvoll ist. Heute wird die Frage eines fest zugewiesenen Arbeitsplatzes eher an den Pensen der Büropräsenz festgemacht – bei einem Pensum über 60 % im Büro
bringt Desk-Sharing wenig. Die Personen mit hoher Präsenz tendieren ohnehin eher dazu, sich immer an den gleichen Platz
zu setzen. Diese Differenzierung ist die Erfahrung aus den letzten Jahren.

Gibt es Klassiker, die immer wieder kommen?

Ja, dazu gehören Design-Klassiker wie der Eames Chair von Vitra oder die Stühle von Fritz Hansen. Je nach Repräsentativbereich zählt dazu auch immer noch USM Haller. Die stabil verbauten USM-Regale lassen sich gut zur Raumstrukturierung einsetzen.

Flexible Nutzung von Regalen: «Dancing Walls» von Vitra Flexible Nutzung von Regalen: «Dancing Walls» von Vitra

Studien haben auch schon vor der Corona-Pandemie gezeigt, dass der Grossraum nicht nur wegen der Ansteckungsgefahr
die Gesundheit beeinträchtigen kann, sondern sich auch aufgrund des Lärmpegels als Stressfaktor erweist. Wenn Sie nun die Kommunikationszellen ansprechen, dann zeigt dies ja auch: Man kann nicht beides im Grossraum – konzentriert arbeiten und
kommunizieren.

Dies ist immer eine Konzeptfrage. Wir kennen offene Büroflächen schon sehr lange. Es gibt zwei Herausforderungen:
Licht und Lärm. In den neuen Arbeitsweltkonzepten, die seit ca. fünf Jahren realisiert werden, sind diese Faktoren berücksichtigt. Das bedeutet, dass Rückzugszellen für Kommunikation oder konzentriertes Arbeiten eingeplant sind. Wenn es
keine Rückzugsmöglichkeiten gibt, funktioniert das Konzept Grossraum nicht. Für die Akustik gibt es ebenfalls gewisse Grundregeln, beispielsweise, dass man sich für einen Kurzaustausch in eine offene Kommunikationszone zurückzieht
und dass im Raum auch fest verbaute und mobile Akustikmassnahmen berücksichtigt werden. Wenn man also die
Arbeitswelt sauber konzipiert, schafft man einen Mehrwert in einem Grossraum.

Die Arbeitserfahrung leidet immer dann, wenn das Konzept nicht konsequent umgesetzt worden ist oder wenn die Verhaltensregeln nicht eingehalten werden. Hier ist natürlich besonders die Führung als gutes Vorbild gefragt.

Wenn wir über neue Arbeitswelten sprechen, gibt es zwei grosse Themen: zum einen ein konsequentes Konzept als Teil der Gesamtstrategie des Unternehmens und zum anderen die Begleitung der Teams in diese neue Arbeitswelt. Die Unterstützung bei dieser Transition vom altbekannten Arbeitsmodell in das neue ist inzwischen neben Beratung und Konzeption ein wichtiges Arbeitsfeld für uns, für das wir Experten einsetzen. Die Menschen müssen die neu geforderten Kompetenzen erst erlernen, um sich wohlzufühlen. Die Begleitung ist auch ein wichtiges Signal der Wertschätzung.

USM-Regale als Biotop USM-Regale als Biotop

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