19. Ostschweizer Personaltag: Wenn für Wachstum die Menschen fehlen

Montag, 09. Oktober 2023 - Karen Heidl
Personalentwicklung und -bindung sollten beim diesjährigen Ostschweizer Personaltag im Fokus liegen. Die Vorträge gaben Einblicke in relevante ­Fragestellungen, unterschiedliche Herangehensweisen und neuropsychologische Rahmenbedingungen, damit sich Menschen in ihren Fähigkeiten entwickeln und eine Bindung zu ihrem Unternehmen aufbauen.

«Personalentwicklung ist mehr als Weiterbildung», sagte Carina Oswald, Oswald HR, im Begrüssungsinterview mit der Tagungs-Moderatorin Sabine Bianchi. «Es geht darum, dass man gezielt Massnahmen zur Förderung von Führungskräften und Mitarbeitenden bietet und eine Win-Win-Situation für Arbeitgebende und Mitarbeitende schafft.»

Eine Studie von Dr. Sybille Olbert-Bock, Professorin für Leadership an der Ostschweizer Fachhochschule OST, zeigt, dass Personalentwicklung bei vielen Unternehmen noch nicht richtig angekommen ist. «Fehlen Fachkräfte oder fehlen Arbeitskräfte?», fragte die Referentin und präsentierte dazu einige Studienergebnisse aus dem Swiss HR Benchmark. Während das Bild hinsichtlich der Initiativen im Recruiting in den Unternehmen auf ein breites Instrumentarium hindeutet, zeigt sich bei Fragen der Personalbindung ein weniger aktives Handlungsfeld in den Schweizer Firmen. Gleich, ob es um Kompetenzmodelle und Richtlinien zur Entwicklung von Kompetenzen geht, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder um betriebliches Gesundheitsmanagement: Die Umfrageergebnisse zeigen eher niedrige Aktivitätsniveaus. Diese Ergebnisse liessen darauf schliessen, dass die Dringlichkeit von Personalentwicklung noch zu wenig erkannt werde.

Personalbedarf strategisch planen

Der Personalberater Dr. Kai Berendes, Management Zentrum St. Gallen, betont, dass man über längere Zeiträume die Personalbedarfe und die benötigten Kompetenzen im Unternehmen planen sollte, da Effekte von Personalentwicklungsstrategien nicht in kurzen Zeiträumen zu erzielen seien. «Um Entscheidungen zu treffen, wie viele Lernende man aufnimmt, muss man mindestens zwei bis drei Jahre in die Zukunft schauen», mahnte er und ergänzte: «Die demografische Entwicklung wird die Unternehmen noch mindestens zehn Jahre beschäftigen.» Die Austritte der Boomer-Generationen würden in vielen Unternehmen Lücken hinterlassen.

Die Analyse des Personalbedarfs der Zukunft beginne mit einer Analyse des Bestands: Welche Situation liegt vor hinsichtlich Altersstruktur, Fluktuation, Fachkräftemangel und weiterer Faktoren, die in spezifischen Branchen einen Einfluss haben können? Wann könnten welche Lücken entstehen? Eine zweite Fragestellung sollte sich auf die Leistungserbringung und die Zukunft des Geschäftsmodells richten: Wie wird in Zukunft die Leistung erbracht? Welche Entwicklungen gibt es im Geschäftsumfeld des Unternehmens? Dies seien strategische Fragen, deren Bearbeitung verschiedener Perspektiven im Unternehmen bedürfe.

Berendes empfahl, die gängigen Stellhebel, mit denen zukünftige Personalbedarfe gelöst werden können (siehe Grafik), zu reflektieren und Szenarien zu entwickeln. Neue Ideen für geeignete Massnahmen seien in allen Ansätzen gefragt: Warum sollte man nicht über Teilzeit-Ausbildung nachdenken? Warum nicht im Sinne der Mitarbeiterbindung Nebenjobs zulassen? Was hindert daran, Alumni-Netzwerke zu entwickeln, um die Tür für Mitarbeitende, die sich noch in anderen Arbeitsumgebungen ausprobieren wollen, offen zu halten? Das Arbeiten mit Szenarien kläre Planungsprämissen. Selbst wenn sich ein Plan aufgrund unvorhergesehener Veränderungen ändern müsse, seien mit einer solchen Reflexion kritische Punkte der strategischen Personalentwicklung einfacher zu identifizieren.

Der Zeithorizont für eine Personalplanung sei nicht zu unterschätzen. Dafür gebe es zwei Indikatoren: Die Geschäftsdynamik und welche Zeit für spezifische Ausbildungen benötigt werde, bis die «time to productivity» erreicht sei. Je nach Personaldynamik müssten Zeithorizonte geplant werden, die länger sein können als die strategischen Geschäftshorizonte.

Ein Beispiel aus der Praxis

Barbara Ehrbar-Sutter ist Inhaberin und Geschäftsführerin der Breitenmoser Appenzeller Fleischspezialitäten AG. Der 1896 gegründete Familienbetrieb ist seit 2007 in ihrem Besitz und seitdem von 40 auf 120 Mitarbeitende gewachsen. Gefragt nach einer Strategie beim Thema Personalentwicklung scheint Intuition massgeblich zu sein. Es habe nie Probleme bei der Rekrutierung gegeben. «Wir arbeiten viel mit Mitarbeiter-Empfehlungen. Häufig kommen wir ohne Inserat aus.» Den guten Ruf des Unternehmens führt sie auf das menschliche Miteinander zurück: «Man muss Menschen gern haben. Man muss ihnen Wertschätzung entgegenbringen, ihnen zuhören und vermitteln, dass sie einem wichtig sind», führte sie aus. Informelle Kommunikation spiele hier eine wichtige Rolle. Das ist zeitintensiv, das wurde auf Nachfrage deutlich. Inzwischen wurde auch Beekeeper als Tool eingeführt, um die Kommunikation über die verteilten Standorte zu verbessern. Unterstützt wird Ehrbar-Sutter von der ganzen Familie: Die 80-jährige Mutter kümmere sich um die Personaladministration. Der Sohn sei inzwischen in das Unternehmen eingetreten, und bei Bedarf packe die ganze Familie in allen Bereichen des Unternehmens an.

Psychologische Sicherheit

Führungskultur war auch das Thema des HR-Experten Matthias Mölleney, peopleXpert, als er von Next Generation Leadership sprach. Er stellte drei Expertentypen gegenüber, um deutlich zu machen, wo Unterschiede liegen.

Expert Leadership: Bei diesem Typus sei meist der beste Experte Chef und nicht unbedingt derjenige, der am besten führen könne. Der «Beste» schaffe zudem eine Defizitorientierung im übrigen Team. In diesen Konstellationen werde viel über Einzelgespräche geführt. Anweisungen zu geben und wenig Unterstützung einer Teamleistung sei in dieser auf die Führungsperson fokussierten Kultur üblich. «Volksredner» dagegen seien eher die Achiever, die nach dem Motto «Wo ich bin, ist vorne» führen. Extrinsische Motivation und Bonus-Kultur zeichneten das Führungsklima aus.

Mit der Catalyst Leadership nähere man sich der Next Generation Leadership. Dieser Führungsstil entwickle sich allmählich. Er setze auf Team-Eigenverantwortung, umfasse Coaching und Enabling ebenso wie Leadership, wo auch mal die Richtung vorgegeben werde. Verantwortung werde an das Team delegiert und Lösungskompetenzen würden gefördert. Befähigen und Leading schlössen einander nicht aus, dies werde nach Mölleneys Meinung derzeit häufig falsch diskutiert. «Es braucht beides, Ambidextrie zwischen Vertrauen und Kontrolle. Beides muss man beherrschen.»

Hochperformante Teams zeichneten sich gemäss einer Google-Studie von 2016 vor allem durch psychologische Sicherheit aus. Diese korreliert am stärksten mit Leistung, neben anderen Faktoren wie Zuverlässigkeit, Struktur und Klarheit, Sinn und Wirksamkeit. Mitarbeiterzufriedenheit habe als Messgrösse für Performanz keine gleich starke Ausprägung. Psychologische Sicherheit sei eine Voraussetzung für einen sogenannten Growth Mindset im Gegensatz zum Fixed Mindset (siehe Grafik).

Fixed Mindset vs. Growth Mindset

Fixed Mindset​

  • Ich meide Heraus­forderungen​
  • Ich schaffe das nicht​
  • Ich erwarte Aner­kennung​
  • Ich mag kein Feedback​
  • Ich fühle mich bedroht durch den Erfolg anderer

Growth Mindset​

  • Ich bin offen für Herausforderungen​
  • Ich kann das lernen​
  • Ich arbeite hart, um besser zu werden​
  • Ich lerne durch ­Feedback​
  • Ich lasse mich vom Erfolg anderer inspirieren​

«Wir brauchen gelingende Beziehungsgestaltungen, flexible Strukturen, digitale Balance, gelebte Agilität und ein Denken in Möglichkeiten», fasste Mölleney zusammen. Und selbst wenn man Menschen nicht möge, könne es genügen, sich für sie zu interessieren. Wertschätzung sei die Wahrnehmung des ganzen Menschen mit seinen Facetten.

Lebenslanges Lernen

Was die Hirnforschung zu Gedächtnis, Emotionen und Kreativität sagt, verriet der deutsche Neurologe und Buchautor Prof. Dr. Manfred Spitzer dem Publikum. Einer der wichtigsten Fortschritte der Hirnforschung in den letzten 50 Jahren sei die Erkenntnis, so Spitzer, warum es Synapsen gibt. Synapsen sind für die Kapazitäten des Gehirns zuständig. Das Gehirn verändert sich ständig, während die Synapsen kommunizieren. Lernen schafft neue Synapsen (Neuroplastizität; lesen Sie dazu auch den Fokus «Faszination Gehirn»). Das Gehirn verändert sich nach Massgabe der Benutzung. Wenn Nervenzellen miteinander kommunizieren, wachsen sie. Wiederholungen lassen Gewohnheiten entstehen, die nicht mehr bewusst reflektiert werden müssen – das ist Lernen. Lernen sei abhängig von der Kultur und Umweltbedingungen.

Emotionen könne man sich als Lernbeschleuniger vorstellen. Erfahrungen, die starke Emotionen auslösen, merke sich das Gehirn besonders gut, auch wenn Wiederholungen nicht stattfinden. Emotionen regelten die Neuromodulation, die die Arbeitsweise des Gehirns bestimmt: Ist man eher ängstlich und fokussiert oder ist man entspannt und kreativ? Das seien situationsbedingt unterschiedliche Reaktionsweisen. Angst sei eine Überlebenstechnik und man könne nicht kreativ sein, wenn man ängstlich ist. Menschen schwankten um diese Pole. Diese seien zum Teil genetisch festgelegt und vielen Menschen nicht bewusst.

An Bildung bei Kindern zu sparen sei ein Systemfehler, echauffierte sich Spitzer. Die meisten Probleme, die später entstehen, könnte man mit Bildung in der frühen Kindheit verhindern. Er erklärte diese Haltung mit dem folgenden Zusammenhang: «Wer es gewohnt ist zu lernen, hat es immer leichter, Neues zu lernen. Jemand, der bereits fünf Sprachen spricht, tut sich leichter eine weitere zu lernen als jemand, der noch nie eine Sprache lernte. Das Gehirn ist nicht limitiert. Man kann unendlich viele Informationen speichern. Wenn man allerdings alt ist und nie viel gelernt hat, dann ist das Gehirn kaum mehr lernfähig.» Die Gefahr, an Demenz zu erkranken, sei in diesem Fall erhöht, wie Studien zeigten. Wenn Kinder digitale Medien nutzten, die die Entwicklung von Lernfähigkeiten behinderten, beispielsweise eine Künstliche Intelligenz zum Schreiben, dann sei die Demenz vorprogrammiert.

Growth Mindset bedeute, das Gehirn zu trainieren, schloss Spitzer seine Ausführungen.

Take Aways

  • Der Swiss HR Benchmark zeigt, dass Personalentwicklung in vielen Unternehmen noch nicht ausreichend verankert ist, insbesondere hinsichtlich der Frage nach Fachkräfte- oder Arbeitskräftemangel.
  • Kai Berendes vom Management Zentrum St. Gallen empfiehlt, Personalbedarfe über längere Zeiträume zu planen und aus der Unternehmensstrategie abzuleiten.
  • Matthias Mölleney unterscheidet drei Expertentypen in der Führungskultur. Catalyst Leadership nähert sich der Next Generation Leadership an, setzt auf Team-Eigenverantwortung und schliesst sowohl Coaching als auch Leadership ein.
  • Prof. Dr. Manfred Spitzer betont, dass die neurologischen Voraussetzungen für lebenslanges Lernens bereits in der Kindheit entstehen.

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