Ihr müsst Business verstehen!

Freitag, 23. Oktober 2020 - Karen Heidl
Die Rolle des HR-Managements im digitalen Wandel beschäftigte Referenten und Teilnehmende des 16. Ostschweizer Personaltags. Das Hightech-Unternehmen SAP sieht die Personaler im «Navigator Seat», während Frank Rechsteiner dem Publikum attestiert: «Digitalisierung ist nicht Eure Kernkompetenz.»

Mehr als 200 Teilnehmende trafen sich in St. Gallen, um sich über das Thema «HR 4.0: Menschen und Maschinen» zu informieren und die Rolle des HR in der Transformation zu diskutieren.

HR als Zukunftsgestalter

Den Auftakt machte René Fitterer, Chief Technology Officer bei SAP: Gerade für ein Hightech-Unternehmen müsse die Digitalisierung neue Geschäftsfelder eröffnen; es müsse in der Top-Liga der Digitalisierer mitspielen, wolle es seine Zukunft sichern. Dafür benötige es entsprechend hochqualifizierte Informatiker und Business Developer auf allen Ebenen. «HR rocks», fasste Fitterer die Kernaussage seines Vortrags über die Folgen des Corona-beschleunigten digitalen Wandels zusammen. Ein Statement, das anlassgerecht auch auf seinem T-Shirt prangte. Damit betonte Fitterer, dass die HR-Funktion massgeblich eine attraktive Arbeitgebermarke und Unternehmenskultur gestaltet, die sich für Mitarbeitende aufstellt, die sich ihrer Ansprüche bewusst sind. Jeder sollte sich fragen, wie sein Job in zehn Jahren aussehen wird, und zwar vor dem Hintergrund des technologischen Wandels, empfahl er. HR könne helfen, Rangfolgediskussionen zu führen – wo stehen bestimmte Funktionsbereiche oder wo werden sie künftig im Hinblick auf die Unternehmensstrategie stehen?

Mehr Schein als Sein

Die digitale Welt bringt auch viele neue Berufsbilder mit sich. Findet zumindest Jannike Stöhr aus Berlin, die einige Jahre im HR bei Volkswagen gearbeitet, einen Selbstfindungsprozess mit Schnuppertagen bei verschiedenen Unternehmen verbracht und darüber ein Buch geschrieben hat. Heute ist sie als Coach tätig und betreibt eine Agentur für sogenannte Future Skills. Die stellte sie mit Beispielberufen wie VR-Experience-Designerin, Service-Designerin, Fachärztin für Ökopsychosomatik, Chief Connection Officer, Decomplexer, Filter Bubble Burster oder Unternehmensphilosophin vor. Allerdings fällt dabei auf, dass diese Jobprofile durchaus nicht neu sind, sondern heute nur anders heissen und mit anderen Tools arbeiten als in vordigitalen, weniger von Anglizismen geplagten Zeiten. Es ist wohl die Attitüde der Berliner Start-up-Szene, jede Neuerfindung auch gleich für originell zu halten. Auch so funktioniert Innovation.
Oder so: «Mist zu bauen» setzt Kreativität frei – liessen die Kabarettisten und Berater Stefan Stahl und Marco Zbinden vernehmen. Als Beispiele erinnerten sie an die Erfindung von Silikon oder Penicillin – Produkte, die zufällig auf der Suche nach anderen Lösungen entstanden sind. Mist zu bauen sei zudem ein Privileg des Menschen, im Gegensatz zur künstlichen Intelligenz (KI). Was humorvoll gemeint war, aber leider nicht ganz stimmt. Zwar irren Menschen, aber auch eine KI muss mit Algorithmen versorgt werden oder entwickelt eigene, die allerdings auf Vorannahmen beruhen, die nicht immer zweifelsfrei gesichert sind. KI kann sich irren. KI-Systeme werden zum Glück nicht als Kreativitätsschleudern konzipiert, sondern zum Abarbeiten serieller, teilweise analytischer Aufgaben nach Regelsystemen. Ob dabei einmal etwas Ähnliches wie Silikon herauskommt, muss man abwarten.

Weiterbildung bringt Arbeitgeberattraktivität weiter

Für Byörn Mattle, Leiter HR und Academy beim mittelständischen Unternehmen Jansen AG in Oberriet (Stahlsysteme), spielen Weiterbildung und kompetenzbasierte Personalentwicklung zentrale Rollen in der HR-Arbeit – und zwar nicht nur für die Qualifizierung des eigenen Personals, sondern auch für die Attraktivität der Arbeitgebermarke. Die grösste Herausforderung im HR in den nächsten Jahren sieht er darin, «den Spagat zwischen Mensch und Maschine zu schaffen». Mitarbeitende dürfen nicht aus den Augen verloren werden, wenn Analysetools regierten. Ziel der Digitalisierung müsse es sein, Freiräume für wertschätzende Tätigkeiten anstelle von Administration zu schaffen.

Die Rolle des HRM in der digitalen Transformation

Bei einer Podiumsdiskussion zur Frage, ob HR-Manager eine führende Rolle bei der Digitalisierung einnähmen, reagierten die Diskutanten verhalten. Byörn Mattle sieht sie als mögliche Treiber, die Mitarbeitende bei Veränderungen unterstützen und begleiten können. Jannine Stöhr konstatiert aus ihren Einblicken in Unternehmen, dass HR-Abteilungen häufig vom mittleren Management trotz des Wohlwollens aus dem Vorstand ausgebremst werden. Die gesamte Organisation müsse hinter einem Kulturwandel stehen, HR könne den nicht losgelöst vorantreiben. Ähnlich ordnete René Fitterer die HR-Funktion ein: Sie sei wichtig für die Umsetzung der Wachstums- und Transformationsstrategie. HR nehme dabei nicht den Fahrersitz ein, eher den Beifahrersitz als Navigator.

Personalgewinnung als Beispiel für die integrale Rolle des HRM

Frank Rechsteiner, Personal- und Strategieberater aus München, verstärkte diese Sichtweise und betonte die integrale Rolle des HR-Managements bei der Umsetzung der Unternehmensstrategie. «Die Herausforderungen in der Personalgewinnung lassen sich nicht mit Technologie lösen, denn Technologie löst keine Probleme mit der Bewerberlage, sie vermittelt keine Unternehmenswerte und begeistert Bewerberinnen auch nicht», führte er dazu aus. Eine erkennbare Strategie sei das Wichtigste; nach dieser hätten sich alle Funktionen und Aufgaben im Unternehmen auszurichten. Dies bedeute, dass Arbeitsweisen im Recruiting so anzupassen seien, dass sich das Unternehmen bei potenziellen Kandidaten in ein attraktives Licht rücken könne. «HR wird nie Treiber der Digitalisierung sein. Warum? Sie hat nur wenig Digitalkompetenz. HR hat ganz andere Kompetenzen, nämlich die Menschen.» Vier Punkte gab Rechsteiner dem Publikum auf den Weg:

Man soll akzeptieren und respektieren, dass die Macht der Entscheidung über die Kandidaten nicht bei den Unternehmen liegt.

Wenn sich kein Bewerber findet, dann muss sich das Unternehmen verändern.

HR-Abteilungen brauchen eine aktive Zusammenarbeit mit der Fachabteilung: «Sie müssen das Business verstehen.» HR hat eine moderative Rolle. Gute Bewerber wollen mit der Fachabteilung direkt sprechen. In der moderativen Rolle müssen Bewerberinnen und Fachabteilung möglichst schnell zusammen-gebracht werden.

HR-Abteilungen brauchen aktive Unterstützung von der Geschäftsführung. Wenn die Fachabteilung den Prozess blockiert oder verzögert, muss die Geschäftsführung eingreifen. Falls dies nicht passiert, ist HR auf einem verlorenen Posten.

Der traditionelle Bewerbungsprozess, der sich über Wochen zieht, habe ausgedient, so Rechsteiner. Er empfiehlt die Verdichtung: Mehrere Interviews an einem Tag unter Einbeziehung der Fachabteilungen und Teammitglieder. Wenn nötig, sollte der Arbeitsvertrag schon bereitliegen.

Rechsteiner endet mit einem Appell an die Selbstverantwortung, denn Leadership heisse zu reflektieren, wie Prozesse und Situationen für die Zukunft verbessert werden können und entsprechende Veränderungen vorzunehmen. Dies hätten HR-Manager selbst in der Hand. Jedes Unternehmen habe das Potenzial, sich positiv und attraktiv darzustellen. Dazu müsse es sich allerdings bewusst machen, dass es nach aussen eine Blackbox ist.

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